Landsberg - Für Otto Lechner hat das Akkordeon eine dunkle Seite: „Es ist gewissermaßen ein psycho-akustischer Unsicherheitsfaktor, die Schnittstelle von Maschine und Emotion", sagt er - und traut sich Unerhörtes: die Interpretation von Pink Floyds Ikone, dem Album „The Dark Side of the Moon", in seiner ganz eigenen, exzeptionellen Spielweise. Lechner überträgt die Bombastik der Rockband auf Blasebalg, Tasten und Knöpfe. Und das (fast) im Alleingang.
Die ersten Laute des legendären Albums sind Stimmen, ein Rattern, leise schon eine Kasse. Auch Lechners Auftritt startet in Hintergrundgeräuschen. Bis das Akkordeon die wohl zahlreichen Menschen ins Blut tätowierten Takte von „Breathe" aufgreift - und den Titel durch ein tonlosen Ziehen des Balgs, ein „Atmen", zitiert. Bodenständiger, erdiger als das Original, auch, weil Lechners Stimme der klaren und höheren David Gilmours einen Gegenpol setzt. Dennoch, das Rauschen, der Klangteppich, das Volumen: alles da. Rhythmischer, denn der Balg des Akkordeons, „seine horizontale Atmung", wie Lechner sagt, teilt die Musik Pink Floyds anders. Dass die Grundidee dennoch erkennbar bleibt, liegt auch an einer Eigenart des Akkordeons: Töne liegen bei ihm teilweise so knapp nebeneinander, dass sie reiben. Lechner nennt diese Differenz „Schwebung" - und wer würde Pink Floyds Musik ein Schweben absprechen?
Fürs Schweben sorgen auch Gitarre und Theremin, beide jeweils für einen Song eingesetzt. Karl Ritters leitet seinen Auftritt mit dem Schlagen des Gitarrenhalses auf den Boden ein, bevor er bei „Any Colour you like" bisher ‚Ungehörtes' virtuos und griffig darbietet. Pamela Stickneys Instrument ist das Schweben sozusagen immanent: Das Theremin wird berührungslos gespielt. Mit minimalen, präzisen Handbewegungen steuert Stickney bei „Time" die ‚Spielantennen' - und erzeugt das unvergleichliche ‚Wimmern'. Oder auch einen magenergreifenden Bass.
Kafka und TangoNatürlich ist Nachahmung nicht Lechners Absicht. Seinen Stempel drückt er unter anderem ‚wörtlich' auf, mit Kafkaeskem: Auszüge aus dessen Aufzeichnungen, Aphorismen wie: „Der Gefangene war eigentlich frei, selbst verlassen hätte er den Käfig können, die Gitterstangen standen ja meterweit auseinander." Dass Pink Floyds Musik Lechners Puls atmet, dafür sorgt mit einem Augenzwinkern eine Kuckucksuhr statt Wecker und Standuhrenschlag bei „Time"; dafür sorgen Lechners Percussion-Einsätze auf dem Akkordeon, ein stimmloses Schlagen, Streichen der Tasten und Knöpfe sowie des Korpus; dafür sorgen Anklänge an Blues und den argentinischen Tango, schon allein instrumentenbedingt. Und wenn Lechner zu „Eclipse" am Ende mit einer verstellten, Didgeridoo-ähnlichen Stimme singt, wird Pink Floyd ganz seins: „Alles ist eins mit der Sonn'. Nur du bist im Schatten vom Mond."
Das ‚Nachspiel' nach der Pause gibt Ritter und Stickney Raum für Solo-Improvisationen. „Jetzt spielen wir Ihnen noch zwei Walzer", scherzt Lechner dann: „Das sind wir Ihnen schuldig." Der eine Walzer entpuppt sich als Blues, der zweite als „Gute-Nacht-Lied" mit Schaueranklang. „Lustiges haben wir nichts", sagt Lechner angesichts der geforderten Zugabe im nahezu ausverkauften Stadttheater. Nein. Lustig ist es nicht. Aber die mit untergründigem Humor gespickte Sehnsucht ist alles andere als traurig.