Susanne Greiner

Journalistin, Landsberg am Lech

1 Abo und 0 Abonnenten
Artikel

Charette Landsberg: Mit dem Karren in die Stadt

Landsberg - „Charette" bedeutet Karren. Im 19. Jahrhundert wurden Werke der Kunststudenten im Karren zur Akademie gefahren - und die Bevölkerung gab ihren Senf dazu: Tipps, die die Studenten direkt umsetzten. Bei der Charette „Zukunft nördliche Altstadt" durften Interessierte auch Tipps geben - und an deren Umsetzung in den Plänen mitarbeiten. Das Interesse war groß.

Im ehemaligen Stoffladen ist es am Mittwochabend beim Abschluss der von der Stadt im Bürgerbeteili­gungsprozess integrierten Charette so eng, dass die Eingangstüre fast nicht mehr aufgeht. Gut 60 Personen hören sich die Ergebnisse des dreitägigen ‚Schlagabtausches' des Stadtplanungsbüros Dragomir mit an der Entwicklung von Vorder- und Hinteranger interessierten Passanten an. Das Rennen machen die Varianten 1 und 3. Wobei die meisten Besucher an den drei Tagen ihren ‚Favorit-Klebepunkt' der Variante 1 mit dem Vorderanger als Fußgängerzone geben.

„Die Varianten sind nur ein Stimmungsbild, da ist nichts beschlossen", leitet Martin Birgel, geschäftsführender Gesellschafter von Dragomir, den Abend ein. Und gibt einen Bericht der drei Charette-Tage: „In der ersten Stunde am Montag kam keiner." Aber dann: Am Montag seien es 22 Besucher gewesen, am Dienstag 37 und am Mittwoch „haben wir bei 70 mit dem Zählen aufgehört". Viele hätten ihre Mittagspause genutzt, Hauptbesuchszeit sei dann wieder ab 16 Uhr gewesen. Am Montag- und Dienstagabend zu ‚Bier und Brezel' kamen zwischen zehn und 20 Personen.

„Es sind nicht so viele Jüngere gekommen", so Birgel. Die meisten seien 30 plus gewesen. Birgel schätzt die Hälfte der Besucher als Direkt-Betroffene ein, also Anwohner, Hauseigentümer und Ladenbesitzer sowie Gastronomen. Man habe viel diskutiert, Ideen gleich mit Post-its oder auf über die Karten gelegtes Transparentpapier festgehalten, wenn möglich auch am Computer direkt eingearbeitet. Birgel kann sich einen ‚Kompromiss' aus Variante 1 und 3 als Lösung vorstellen.

Die drei Varianten, bei denen sich die zweite noch in a und b unterteilt, waren die Ergebnisse von mehreren Aktionen wie Online-Bürgerbeteiligung, Stadtspaziergängen und Ziele­workshop. Variante 1 macht den Vorderanger zur Fußgängerzone, den Hinteranger zum „verkehrsberuhigten Geschäftsbereich", was eine verschwenkte Fahrbahn, Kurzzeitparkplätze und eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 20 km/h bedeutet. Gehweg und Fahrbahn sind dabei nur gering - zum Beispiel durch die zwei Zentimeter hohe die „Homburger Kante" - getrennt.

Variante 2 nimmt die Verkehrsführung während der Baustelle auf, bei der der Hinteranger gesperrt war. In den Untervarianten a und b wird die Vordere Mühlgasse je nach Verkehrsführung zu Zu- oder Ausfahrtsstraße. Bei Variante 2 seien aber Probleme aufgetaucht wie die schmale Brücke oder auch für Busse extrem enge Kurven, sagt Birgel - weshalb sie nicht weiter besprochen werde.

Variante 3 belässt die Verkehrsführung wie jetzt, verwandelt aber Vorder- und Hinteranger zum verkehrsberuhigten Geschäftsbereich.

„Alle Varianten sind barrierefrei und haben ‚Aktivzonen', zum Beispiel für Bänke oder Fahrradabstellmöglichkeiten", fasst Birgel zusammen. Die Fahrbahn werde auf die Minimalbreite von 3,5 Meter reduziert. Die Fußgängerzone von Variante 1 wolle man per versenkbarem Poller umsetzen, vormittags für Lieferanten und generell für Anlieger befahrbar. Was den Belag angehe, „ist aufgrund der geforderten Barrierefreiheit das Kopfsteinpflaster Vergangenheit" - und natürlich erst recht der Lechkiesel. Der könne nur noch auf Teilflächen, die nicht genutzt würden, bleiben. So haftete als Post-it-Idee auch auf Variante 1 der Wunsch „Leiserer Belag auch in der Schlossergasse".

Thema Parken

Wie lange die ‚kurze Zeit' der Kurzzeitparkplätze wird - von 15 bis 60 Minuten ist alles drin -, ist noch nicht sicher. Birgel hält zum Thema ‚Parken' eine Zusammenarbeit mit den Parkhäusern - beispielsweise eine halbe Stunde kostenloses Parken - für unabdingbar: „Ein in sich schlüssiges Parkmanagement geht nur mit den Parkgaragen zusammen." Dabei werde auch die Waitzinger Wiese immer wichtiger werden.

Die Besucher der Charette haben weitere Anregungen gegeben, zum Beispiel auch zu Arten der Begrünung, die gegen Überhitzung schützen soll. Die meisten Weiterentwicklungen beziehen sich aber auf den Verkehr. So werden für Variante 1 mehr Kurzzeitparkplätze als jetzt im Hinteranger, für Variante 3 auch im Vorderanger gewünscht. „Die Breite der Straße gibt das her", sagt Birgel. Feuerwehrfahrzeuge oder auch Reisebusse könnten dennoch passieren. Auch größere Freischankflächen für die Gastro seien möglich. Für Variante 1 wird eine Gestaltung des Holzmarktes weg vom reinen Parkplatz hin zur „Aktivitätszone mit Bäumen" gewünscht; die Parkplätze an der Rückseite des Hellmairplatzes könnten zugunsten von Radabstellflächen aufgegeben, Vordere Mühlgasse und Schulgasse ebenfalls Fußgängerzone werden.

Hinter dem Sandauer Tor könnte die Straße eine reine ‚Ausfahrts-Einbahnstraße' werden, sodass Pkw Richtung Stadtmitte direkt zur Lechgarage geleitet werden. So könne man eventuell auch den Parksuchverkehr in Variante 3, bisher in ‚Anger-Runden' möglich, eindämmen. Oder man sperre den Vorderanger mittels Poller zeitweise, so Birgel. „Eine Süd-Nord-Durchfahrbarkeit muss laut Vorgabe der Stadt gewährleistet bleiben."

Die Besucher der Abschlussveranstaltung am Mittwochabend, zu der auch OBin Doris Baumgartl gekommen war, konnten weitere Ideen nennen. Unter Moderation von Solveig Grundler (agorakomm) wurde nach den Parkplätzen am Inselbad gefragt (bleiben bestehen), wobei Birgel auf der Waitzinger Wiese durchaus „weitere Stellplatzkapazitäten" sieht. Ob es zu den geplanten sicheren Abstellplätzen für Fahrräder auch eine Fahrradparkfläche in der Lechgarage geben könnte? Die Idee stehe im Raum, so Birgel, dennoch sei die Lechgarage im Sommer sowieso schon zu klein.

Einzelhandel

Ein weitere Punkt: Man müsse auf die Mieten achten. So seien Handelsketten an Geschäften in Fußgängerzonen hochgradig interessiert. Der Einzelhandel könne sich die dann wahrscheinlich stark steigenden Mieten aber nicht leisten. Für die Parameter der Fußgängerzone sollte man nochmals mit der CIMA sprechen, die ja auch das Einzelhandelsgutachten für Landsberg erstellt habe, schlug Birgel vor. Das Einzelhandelskonzept der Stadt sei ja beschlossen und werde in die Entscheidungen des Stadtrats einfließen.

Beim Müllkonzept wurden neben Unterflurcontainern auch oberirdische Müllsammel­anlagen angeregt. Fernwärme sei mitgeplant, so Birgel, die Einrichtung von einzelnen Wärmepumpen kaum möglich. „Aber ich will die Baustellenprojektierung für diese Bauarbeiten nicht machen", sagt der Stadtplaner. Das werde eine Herausforderung.

Noch ein Workshop

Bevor allerdings Vorder- und Hinteranger zu Baustellen werden, steht erst noch ein Workshop an, zu dem der Stadtrat, die Oberbürgermeisterin und auch die Teilnehmer des Ziele­workshops eingeladen werden. Dort werde man sich vertieft in die Varianten 1 und 3 einarbeiten, so Baumgartl. Mit dem Hinweis, dass die Umwandlung einer Fußgängerzone zum verkehrsberuhigten Geschäftsbereich nicht immer ganz so einfach sei, schloss Birgel den Abend. Dass deshalb Variante 3 zu bevorzugen sei, sahen einige Besucher in den anschließenden Unterhaltungen aber eher kritisch: „Variante 3 ist für die, die sich nicht entscheiden wollen."

Zum Original