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Brauchen wir „Critical Westdeutschness"?

Wer kennt schon ostdeutsche Geburtstagslieder? Auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung gibt der westdeutsche Blick vor, was normal und bekannt ist. Braucht es eine Haltung der „Critical Westdeutschness", damit wir vorankommen?


Anne Siepker erinnert sich genau an den Tag, an dem Otfried Preußler starb. Von den Titelseiten der großen Zeitungen blickten sie abwechselnd der Räuber Hotzenplotz, das kleine Gespenst und die kleine Hexe an. Siepker war etwas irritiert, sie kannte die Figuren nicht. Das liegt nicht etwa daran, dass ihre Eltern ihr keine Geschichten vorgelesen hätten. Nur stand Otfried Preußler nie auf der Leseliste.

Siepker, die 1984 in Ost-Berlin geboren wurde und heute in der Medienbranche arbeitet, wurde mit anderen Geschichten groß. Mit dem „Traumzauberbaum" von Reinhard Lakomy zum Beispiel. Der war zu DDR-Zeiten ein Star, Generationen wuchsen mit seinen Kinderliedern auf. Lakomy starb im selben Jahr wie Preußler, aber sein Tod war in den überregionalen Zeitungen eher eine Randnotiz. Das war einer von vielen Momenten, in denen Siepker bewusst wurde, wie stark sich die Erinnerungskulturen in Ost und West bis heute unterscheiden.

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