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Runde Sache


Mit dem Partner zog ein Möbelstück in die gemeinsame Wohnung ein, das in seiner Scheußlichkeit kaum zu überbieten war: ein Stehtisch. Ein Monstrum mit silbrig glänzendem Metallfuß und schwarzer Kunststoffplatte, hoch, schwer, raumgreifend. Ich dachte Schützenfest, ich dachte Silberhochzeit, ich dachte: ab in den Keller damit, in eine Zelle zu Futon-Matratze und Sandwichmaker. Als die Brettertür zufiel, war ich mir sicher, der Stehtisch würde ebenso geräuschlos vom Kellerabteil verschluckt werden wie die anderen Gerätschaften vor ihm.

Aus der ewigen Ruhe wurde allerdings nur ein Kurzurlaub. Kaum stand die Einzugsparty an, wuchtete der Partner den Stehtisch nach oben und baute ihn mitten im Wohnzimmer auf. Ich war entgeistert. Unsere erste Party würde also den Charme eines Sparkassen-Empfangs versprühen. Es hätte mich nicht gewundert, wenn noch jemand ein Glücksrad vorbeigebracht hätte.

Doch kaum waren die Gäste da, offenbarte der Stehtisch sein Geheimnis: Er war im Grunde ein als Möbelstück getarnter Animateur, der die Leute magisch anzog, sie scharten sich um ihn wie die Motten um das Licht. Die Traube um den Stehtisch wurde immer dichter, man konnte sein Glas schon nicht mehr darauf abstellen, aber seine Strahlkraft reichte noch bis in die dritte Reihe. An diesem Abend verschmolzen alle in seiner Reichweite zu einer großen Tischrunde. Auf einmal teilten auch diejenigen ihre Gin Tonics und Geschichten, die sich noch nie zuvor gesehen hatten.

Willkommen im Wochenende

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Erst da habe ich verstanden, worin seine Superkraft besteht: Der Stehtisch bringt die Leute zusammen. Corona, Krieg, Gendersternchen - da sind viele ja sozial etwas eingerostet. Oder haben das Miteinander-Reden gleich ganz eingestellt. Mit sechs Meter langen Tischen kommen wir da nicht weiter. Mit seinen 80 Zentimetern Durchmesser stiftet der Stehtisch Zugehörigkeit. Selbst wenn man als Erste kommt, ist er ein loyaler Verbündeter, man kann sich so lange an ihm festhalten, bis der Nächste anrückt. Lange wird es nicht dauern. Der Stehtisch ist das Möbelstück gewordene"nice to meet you".

Wie viel mehr Überwindung kostet es dagegen, sich neben einen unbekannten Gast zu setzen. Man kommt sich dabei ungefähr so dezent vor wie ein Bulldozer. Und geht selbst voll ins Risiko: Mit traumwandlerischer Sicherheit erwischt man den Mansplaining-Großmeister oder den ärgsten Langweiler des Abends. Dann sitzt man in der Falle, denn wieder abzuziehen, käme einem Affront gleich. Also bleibt man sitzen. Und sitzen. Und sitzen. Ganz anders am Stehtisch: Das Kommen und Gehen ist Teil seiner DNA.

Inzwischen bin ich zur Stehtisch-Ultra geworden. Keine Party ohne ihn! Alle Sitzgelegenheiten verbannt man am besten in den Keller. Zumindest ab Mitte 30, wenn die Gäste in der berühmten Rushhour des Lebens sind, muss man unbedingt verhindern, dass sie sich niederlassen. Wenn sie erst mal sitzen, hat man sie verloren. In Sekundenschnelle werden sie von den Sofakissen eingesogen und verschlungen. Man kann dabei zusehen, wie sie im Zeitraffer verwelken und in eine Art Wachkoma fallen. Wer keine Taubenspikes ins Sofa stecken will, greife also zum Stehtisch. Anders als zum Beispiel beim Kartoffelsalat (mit Schinken oder vegan, mit Mayo oder Brühe, Zwiebeln ja oder nein?) kann man beim Stehtisch nichts falsch machen. Es gibt nur eine einzige Regel, die man beachten muss: keine Hussen, also keine Stoffüberzüge! Der Hochtisch kommt von der Straße, seine Herkunft ist die Pommesbude, so ein wannabe-Edellook geht immer daneben. Wenn schon Accessoires, dann Nüsschen und Aschenbecher.

Ich würde sagen: Lasst uns mehr Stehtisch wagen! Man sollte jeden Park und jeden Platz im Land damit möblieren, denn er würde uns alle mal wieder zusammenbringen - Baumhaus-Besetzerinnen und Jungliberale, Anhänger der Letzten Generation und ADAC-Premiummitglieder, Transgender-Aktivist*innen und CSU-Ortsverband.


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