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Ruhe im Karton

Ein Hotel der Kategorie adult only, das klingt nach Sex. Vielleicht ein auf Orgien spezialisiertes Haus? Doch die laszivste Szene, die man bei einem Aufenthalt erspäht, ist „Der Kuss" auf dem bekannten Gemälde von Gustav Klimt. Es hängt im Restaurant des Posthotels in Innichen, einem Dorf in Südtirol. Das Paar, das am Tisch darunter Platz genommen hat, ist voll auf sein schön angerichtetes Essen konzentriert. Die beiden tauschen keine tiefen Blicke aus, berühren sich nicht, nicht mal eine Gabel verirrt sich auf den Teller des Partners. Ein bisschen Foodporn, schmutziger wird's nicht.

Zur Frühstückszeit klappern hier die Löffel, ab und an zischt die Espressomaschine. Ansonsten herrscht Ruhe. Keiner quengelt, keiner tobt durch den Saal, keiner kriegt einen Wutanfall am Buffet. Adult only heißt: Kinder müssen draußen bleiben. Das Posthotel ist ein Erwachsenenhotel.

Daniela Hödl, 44, Fotografin aus Wien, setzt sich mit ihrem Mann an einen der eingedeckten Tische. Der Kellner fragt nach den Getränkewünschen, Hödl winkt ab. Sie hat ihre eigene silberfarbene Espressodose dabei. Hödl ist schlank, ihre dunkelbraunen Haare fallen locker gestuft über die Schultern, die Augen sind dunkel umrandet, ihre Fingernägel perfekt lackiert. Um diese Zeit ist sie noch nicht ganz wach, sie sei kein Morgenmensch, sagt sie. Das Letzte, was sie jetzt braucht, sind kleine Hände, die im Buffet rummanschen.

Gefragt wie nie zuvor

Hier muss sie die nicht fürchten. Das Logo adults only prangt gut sichtbar am Hoteleingang. Dahinter erstreckt sich die Lobby samt Kaminfeuer, Kuschelsofa und Kronleuchter, im Keller wartet das Spa mit finnischer Sauna, Dampfbad und Hot-Stone-Massagen. Der Toilettenraum verströmt keinen Windelduft, sondern eine frische Zitronengrasnote. Life can be so sweet. So steht es auf den Slippern fürs Bad.

Arschbomben am Pool und Gebrüll im Wellnessbereich finden die meisten Urlauber dagegen nicht so sweet. Eine Hotel-Etikette-Studie des amerikanischen Reiseportals Expedia hat im letzten Jahr ergeben, dass Urlauber nichts derart stört wie Eltern, die ihren Kindern keine Grenzen setzen.

„Urlaub nur für Erwachsene wird so stark nachgefragt wie nie zuvor", sagt Katrin Feuerabendt von TUI, Deutschlands größtem Reiseveranstalter. Auf der Website hotels-ohne-kinder.de sind bereits mehr als 1500 Unterkünfte gelistet. Viele davon liegen im gehobenen Segment, vier Sterne aufwärts. Neben kinderlosen Paaren buchen vor allem diejenigen solche Erwachsenenhotels, die im Alltag besonders viel mit Kindern zu tun haben, etwa Erzieher oder Lehrerinnen. Und junge Eltern, die sich eine Auszeit gönnen.

Das Phänomen beschränkt sich nicht auf Hotels. Einige asiatische Airlines bieten inzwischen gegen Aufpreis kinderfreie Sitzreihen an, China diskutiert über die Einführung von derartigen Zugabteilen. Es gibt Kreuzfahrtschiffe nur für Erwachsene, in Kroatien eine komplette Ferieninsel, in den schottischen Highlands sogar ein ganzes Dorf. Was ist da los?

Kinder sind eben laut

Vor etwas mehr als 30 Jahren landete Herbert Grönemeyer mit seinem Song „Kinder an die Macht" noch einen Hit: „Sie sind die wahren Anarchisten / Lieben das Chaos, räumen ab / Kennen keine Rechte, keine Pflichten / Ungebeugte Kraft, massenhaft." Weil Kinder so sind, wollte Grönemeyer ihnen das Kommando übergeben. Die Single hielt sich elf Wochen lang in den deutschen Charts. Nur die darin formulierte Vision war weniger erfolgreich. Die ungebeugte Kraft hat nicht so viele Fans. Chaos haben die Leute schon genug in ihrem Leben.

Ständig vibriert das Handy, man findet keinen Parkplatz, und der Paketbote nie die Klingel. Auch Daniela Hödl sagt, es falle ihr schwer, abzuschalten. In den ersten beiden Nächten im Urlaub schlafe sie meistens schlecht. Der Alltag rattert ihr weiter durch den Kopf, stressig findet sie den, die Sorge um ihre Mutter, die fast 80 Jahre alt ist und noch allein wohnt, die überfüllten Straßenbahnen, in die sie sich quetscht, wenn sie zur Arbeit fährt.

Hödl und ihr Mann sind seit 23 Jahren zusammen, im Restaurant des Posthotels liegt ihre Hand jetzt doch auf seinem Arm. Sie selbst haben keinen Nachwuchs, die meisten anderen Paare in ihrem Freundeskreis auch nicht. „Ich mag Kinder einfach nicht so gerne. Also, ich mag sie schon, aber ...", sagt Hödl. Das „aber" bleibt in der Luft hängen, sie spricht nicht weiter. Kinder sind eben laut. Wild. Unberechenbar. Und die Eltern kümmern sich nicht darum. Warum sollte man sich das ausgerechnet in den „schönsten Wochen des Jahres" geben?

Die Hödls fahren regelmäßig in Erwachsenenhotels. Bei gutem Wetter gehen sie gern wandern, nehmen sich jeden Tag einen Bergsee in der Umgebung vor. Am Abend präsentiert Hödl die Fotoausbeute. Auf ihrem Lieblingsbild zieht ein Schwan vor der majestätischen Dolomiten-Kulisse seine Runden auf dem Toblacher See. Die Wasseroberfläche liegt glatt da, sein Körper spiegelt sich darin. Schwäne stehen symbolisch für Reinheit und Eleganz, die meisten von ihnen sind Einzelgänger. Life can be so sweet.

Betreiber ernten Shitstorms

Ein Paar aus Zagreb, das seinen Urlaub auch im Posthotel verbringt, erzählt, dass die eigenen Kinder inzwischen aus dem Haus seien. Genug zu tun haben sie auch so, der Job fordert sie, dazu kommt noch die Pendelei. Im Urlaub wollen sie entspannen. Anderer Leute Kinder brauchen sie da nicht. Lieber lassen sie sich selbst umsorgen wie Kinder: Im Posthotel wartet auf dem Frühstückstisch das Tagesprogramm samt Wettervorhersage, auf dem Bett liegt ein flauschiger Morgenmantel zum Einkuscheln, auf dem Nachttisch steht Träum-schön-Tee bereit. Und wer auscheckt, kriegt noch ein Brot mit auf den Weg.

Weil Gäste unter 14 bei ihnen keinen Zutritt haben, erhielten die Betreiber des Posthotels viele Hasskommentare. „Vor allem auf den italienischen Facebook-Seiten sind wir ziemlich angefeindet worden", erzählt Anna Wachtler, die Juniorchefin. Einer der größten Aufreger: dass Hunde hier Urlaub machen dürfen, Bambini aber nicht.

Manche Eltern empfinden kinderfreie Zonen als Ausgrenzung oder Kritik an ihrem Lebensmodell. Gerade hat ein Café in Hamburg unter #schnullergate einen Shitstorm geerntet, weil es Kinder erst ab sechs Jahren einlässt. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat Erwachsenenhotels bereits als „problematisch" eingestuft.

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