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Wie Berliner Familien sich im Platzmangel einrichten

Im Kriechgang

Wir wohnen in Prenzlauer Berg in einer Maisonette-Wohnung. Als meine Frau und ich dort einzogen, waren das drei Zimmer. Unten Wohn- und Arbeitsraum, auf der oberen Ebene eine offene Galerie: 40 Quadratmeter mit tief gezogenen Dachschrägen zu beiden Seiten. Da haben wir geschlafen. Bis unsere Söhne zur Welt kamen - und wir mehr Zimmer brauchten.

Unser großes Glück war, dass es auf der Galerie drei Dachfenster gab. Dadurch konnten wir dort drei separate Räume einziehen. Es gibt nur einen Haken: Die Wände in den neuen Zimmern sind niedrig, weil sie direkt unter die Dachschrägen gebaut sind.

In dem einen Raum kann man als Erwachsener nur auf einem etwa einen Meter breiten Streifen stehen. Anfangs konnte man nicht mal die Tür ganz öffnen, weil sich die Wand gleich hinter dem Türrahmen so jäh abschrägt. Also haben wir das Türblatt links oben ein Stück abgesägt. Damit da kein Loch klafft, wenn sie geschlossen ist, haben wir das abgesägte Stück auf der anderen Seite in den Türrahmen geleimt.

Im Moment lebt unser jüngster Sohn in dem Zimmer, der ist fünf und gerade mal 1,20 Meter groß, der schlüpft einfach durch. Meist spielt er sowieso auf dem Teppich, und wir kriechen hinter ihm her. Aber der Countdown läuft. Noch eineinhalb Jahre, dann dürfte er aus seinem Zimmer herausgewachsen sein.

Schlangen vor dem Klo

Wenn es so weit ist, wollen meine Frau und ich mit unserem Schlafzimmer dort einziehen. Liegen kann man da ja auch als Erwachsener, dafür reicht die Höhe von 1,50 Meter. Allerdings werden wir nur noch von einer Seite aufrecht in unser Bett einsteigen können; meine Frau, die auf der rechten Seite schläft, muss dann von links reinklettern und rüberrutschen oder sich unter der Schräge durchquetschen. Naja, vielleicht fühlt sich das ja ein bisschen kojenmäßig an.

Ein Umzug kam für uns nie infrage. Wir leben seit knapp zehn Jahren in der Wohnung und für den Preis, den wir zahlen, würden wir sicher 20 Quadratmeter einbüßen. Außerdem haben wir seit dem Umbau fünfeinhalb Zimmer, die muss man erst mal finden.

Gerade beschäftigt uns eine andere Baustelle: Seit unsere zwei Kinder in die Schule gehen, bilden sich morgens regelrechte Schlangen vor dem Klo, weil wir nur ein Badezimmer haben. Das wird zeitlich knapp. Also überlegen wir, ob wir noch irgendwo eine Toilette einbauen könnten. Und haben schon mal diese kleine Nische im unteren Flur ins Visier genommen, die wir derzeit als Stauraum nutzen. Vielleicht bauen wir das Klo aber auch oben in den niedrigen Raum ein. Wer auf die Toilette geht, muss ja nicht stehen.

Alexander Weber, 49, Literaturübersetzer aus Prenzlauer Berg Notwändig. Ein fensterloser Kasten im Zimmer löst Platzprobleme. Illustration: Christine Rösch

Wir leben seit mehr als 15 Jahren in einer Dreizimmerwohnung in Kreuzberg, ganz klassisch, Wohnzimmer, Schlafzimmer, Kinderzimmer. Solange meine Töchter klein waren, war das kein Problem. Sie haben sich das Berliner Zimmer geteilt, wir haben ihnen Hochbetten gebaut, da hatten sie genug Platz. Aber kaum hat sich die Pubertät angeschlichen, ging das nicht mehr. Da gab es ständig Zoff, wo genau die Grenze zwischen den beiden Bereichen verlief, flogen die Sachen von links nach rechts: „Hier, das ist deins, räum das mal weg!" Die beiden sind Zwillinge, vielleicht ist das Abgrenzungsbedürfnis da noch mal größer.

Das Berliner Zimmer bot eigentlich genug Platz für einen weiteren Raum. Aber es gibt nur ein einziges Fenster. Also hatten wir eine lange Grübelphase, wer bereit ist, welche Kröte zu schlucken. Jetzt lebe ich im Dunkeln. Wir haben einen Kasten ins Zimmer gesetzt, darin schlafe und arbeite ich, wenn ich zu Hause bin.

In meinem neuen Raum gibt es zwar zwei Oberlichter, aber die Scheiben sind mit Tapeten zugekleistert. Darauf hat meine Tochter bestanden, denn die Fenster führen ja in ihr Zimmer. Sie ist 15 Jahre alt und fordert ihre Privatsphäre ein, klar. Öffnen darf ich meine Oberlichter nur, wenn sie nicht zu Hause ist. Dann fällt etwas Licht rein. Mache ich ihr Fenster auch noch auf, kommt sogar ein bisschen frische Luft rein. Wenn sie da ist, stelle ich zum Lüften einen Ventilator an und mache meine Tür auf der anderen Seite auf. Die führt zwar nur ins Wohnzimmer, aber öffne ich da wiederum die Fenster ...

Wie Henry Spencer im „Eraserhead"

Für die Tapete auf meinen Fenstern habe ich als Motiv eine Backsteinmauer gewählt. Das ist von David Lynch inspiriert und ein bisschen selbstironisch. Ich musste an eine Szene aus seinem Film „Eraserhead" denken, in der die Hauptfigur Henry Spencer ein Fenster öffnet, vor dem allerdings direkt eine Backsteinmauer steht. Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt. Das ist jetzt mein Verschlag. Licht wird eindeutig überschätzt. Wir hatten uns mal kurz umgesehen, aber eine größere Wohnung im Kiez hätten wir nicht finanzieren können. Ich wohne seit 2003 hier, da haben wir noch eine ganz andere Miete. Und raus ins Umland wollten wir auch nicht. Die Mädchen haben ihre Schulen um die Ecke und sind extrem eng mit ihren Freundinnen verbandelt. Außerdem wohnt ihre Mutter zehn Fahrradminuten entfernt.

Akustisch kriegt man das mit der Privatsphäre leider nicht so leicht in den Griff, weil Trockenbauwände extrem hellhörig sind. Aber die Mädchen sind auch nur die Hälfte der Woche da, den Rest der Woche verbringen sie bei ihrer Mutter. Und meine jetzige Partnerin lebt mit ihrer Tochter ebenfalls in Kreuzberg, also können wir ab und an auch mal bei ihr übernachten. Das ist dann wohl dieses moderne Leben.

Thomas Breitenbach (Name geändert), 50, Ingenieur aus Kreuzberg Notwändig. Ein fensterloser Kasten im Zimmer löst Platzprobleme. Illustration: Christine Rösch

Vier Wochen lang hatten wir nicht mal mehr eine Badezimmertür. Zu dem Zeitpunkt war vieles andere schon lange weg: unsere Küche, das Internet und Winterkleidung zum Beispiel. Aber mein absoluter Tiefpunkt war der Morgen, als ich auf dem Klo saß und nach und nach meine ganze Familie, inklusive zwei Katzen, zu mir ins Bad spaziert kam. Und, kein Witz, die eine Katze noch auf meinen Schoß gesprungen ist. Da schrie alles in mir: Das! Muss! Jetzt! Aufhören! SOFORT!

Dabei war unser Plan perfekt. Dachten wir jedenfalls. Wir wollten im vergangenen Jahr die Sommerferien dazu nutzen, einen abgeschlossenen Raum in unser Berliner Zimmer einbauen zu lassen, damit mein Mann und ich dort unser Schlafzimmer einrichten konnten. Unsere Tochter sollte dann in unser ehemaliges Schlafzimmer einziehen, sodass beide Kinder ihren eigenen Raum hätten.

Als wir dann diese Baufirma gefunden hatten, die uns vertraglich zusicherte, dass sie den Umbau in unserer Wohnung in den sechs Wochen Sommerferien komplett erledigt, war alles klar. Für die Zeit sind wir in die Remise eines alten Vierseithofs in Brandenburg gezogen. Am letzten Ferienwochenende wollten wir ganz entspannt wieder in unsere frisch renovierte Wohnung in Prenzlauer Berg einziehen.

Kurz vorher wurde uns mitgeteilt, dass sich die Arbeiten ganz leicht verzögern würden. Also haben wir uns erst mal übergangsweise in der Zweizimmerwohnung eines Freundes einquartiert. Da haben wir uns drei Wochen lang rumgedrückt - und noch immer kein Ende in Sicht. Also sind wir auf die Baustelle gezogen. Überall standen Geräte rum, die Handwerker gingen ein und aus, alles war total verdreckt. Kurze Zeit später sind auch noch Festnetz und Internet ausgefallen. Da hatte jemand leider das falsche Kabel gekappt. Hat auch nur drei Monate gedauert, bis das wieder lief.

Aus sechs Wochen wurde ein Jahr

Die wirklich heiße Phase begann mit dem Wasserschaden im September. Weil eine Leitung angebohrt worden war, stand alles unter Wasser. Also wurden zwei Trockengebläse aufgestellt, die Tag und Nacht auf höchster Stufe dröhnten. Ein Höllenlärm. Außerdem spazierten ständig neue Arbeiter rein, um den Schaden zu begutachten. Wir hatten überhaupt keinen Rückzugsraum mehr.

Bis mit einem Mal keiner mehr kam. Es hat ein bisschen gedauert, bis wir verstanden haben, warum: Der Generalunternehmer hat die Subunternehmer nicht mehr bezahlt. Da haben wir entschieden, dass wir uns selbst um die Baustelle kümmern. Mein Mann hat das übernommen. Er ist Freiberufler und vier Monate lang jeden Morgen um fünf Uhr aufgestanden, damit er noch etwas arbeiten konnte, bis sich die ersten Bauarbeiter zur Schicht gemeldet haben.

Im Grunde waren wir ziemlich naiv. Am Ende hat es statt der zugesicherten sechs Wochen ein komplettes Jahr gedauert, bis der letzte Handwerker unsere Wohnung verlassen hatte.

Ob es sich gelohnt hat? Das kommt drauf an, wen man fragt. Zumindest unser Sohn hat bis heute nicht verstanden, was die ganze Aktion eigentlich sollte. Er hat es total genossen, einen Raum mit seiner großen Schwester zu teilen. Jetzt trägt er jeden Abend seine Matratze in ihr Zimmer und schläft vor ihrem Bett.

Mona Schreiber (Name geändert), 42, Schauspielerin aus Prenzlauer Berg

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