Susanne Gietl

Kulturjournalistin in Hörfunk, Print und Online, Berlin

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Berlinale 2023: Afghanistan nachbauen

Das globale Forum „Power for Change“ in der kanadischen Botschaft vereinte Regisseurinnen aus Afghanistan, Iran und der Ukraine im Rahmen der 73. Berlinale
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Zu Beginn des Forums am Freitag stand der Ukrainekrieg klar im Fokus. Regisseurin Maryna Er Gorbach („Klondike“, 2022) erklärte, dass aus ihrer Sicht der Krieg bereits vor neun Jahren begonnen hatte. 2014 lagen 80 Prozent des Landes in russischer Hand. Er Gorbachs Drama „Klondike“ erzählt vom Abschuss der malaysischen Passagiermaschine MH17 in der ukrainischen Donbas-Region am 17. Juli 2014. Im Zentrum steht eine schwangere Ukrainerin, welche sich trotz russischer Besetzung weigert, ihr Haus zu verlassen. Während um sie herum die Zerstörung wütet, trägt sie ein neues Leben im Bauch. Als Er Gorbach „Klondike“ im letzten November in der Ukraine vorstellte, griffen zeitgleich Drohnen die Ukraine an.


Ihre Kollegin Christina Tynkevych („How is Katia?“, „OT: Yak Tam Katia?“, 2022) erinnert sich im persönlichen Gespräch: „Jeden Tag griffen um die hundert Kampfdrohnen Kiew an. Bevor eine Bombe in der Nähe einschlug, bekam ich eine Warnung auf meinem Handy. Das passierte bis zu zehn Mal am Tag.“ Tynkevych wohnt nach wie vor dort. Als Mensch und Filmemacherin lernte sie vor allem, sich anzupassen. „Der Strom fällt teilweise einen halben Tag lang aus. Da ist es schwierig, beim Filmdreh Abgabefristen einzuhalten.“ Außerdem zehre es mental sehr. Ihr Handgelenk ziert ein Tattoo. Der Schriftzug „Cinemato“ bedeutet für sie „keine Angst“.

 

Mut bewies auch die iranische Regisseurin Rokhsareh Ghaem Maghami. Um eine Filmförderung für eine Doku über einen schizophrenen Künstler zu bekommen („Cyanosis“, 2007), musste sie erfinderisch sein. „Ich habe nie Geld von der Regierung bekommen, sondern Fördergeld im Ausland beantragt. Da es nicht erlaubt war, Geld in den Iran zu schicken, wurde das Fördergeld an meinen Bruder in Australien geschickt. Er packte es in einen Schuhkarton und schickte den Karton an eine Vertrauensperson. Sie sollte ihn mir dann aushändigen. Uns blieb nur die Hoffnung, dass keiner das Produktionsgeld stiehlt.“ Als sie „Cyanosis“ an die BBC in Persien schickte, entzogen sie ihr Pass und Kamera für sechs Monate. „Aber eigentlich hatte ich immer Glück.“ Maghami erzählt, dass ein Freund von ihr im Gefängnis umgebracht wurde, weil sein Film der Regierung nicht gefiel. Als eine Freundin von Maghami ein Foto von sich ohne Kopftuch veröffentlichte, wurde sie festgenommen. In Filmen müssen Frauen selbst unter der Dusche Hijab tragen, erklärt die Regisseurin. Das sei total unrealistisch. Mittlerweile wohnt Maghami  in Berlin. Pune Parsafar („Cheers to Iranian Women“,  2022) verließ Teheran schon vor über 20 Jahren. „Es gibt keine Möglichkeit, unabhängige Filme im Iran zu produzieren. Iranischer Film verkörpert Frauenfeindlichkeit und Sexismus. Wir sind nicht so, wie man es in den Filmen zeigt. Das ist nur Propaganda,“ bekräftigt sie im persönlichen Gespräch.

 

Als Regisseurin Shahrbanoo Sadat ihre afghanische Tragikomödie „Wolf and Sheep“ (2016) produzierte, wohnte sie noch in Kabul. Da ein dänisches Unternehmen mitproduzierte, arbeitete sie mit einem europäischem Team. Aus Sicherheitsgründen entschied sich Sadat gegen einen Dreh in Afghanistan. „Stattdessen baute ich Afghanistan in Tadschikistan nach. Ich castete in Afghanistan und kümmerte mich dann um das Visum, damit wir gemeinsam im Ausland drehen konnten. Ich war nur noch mit der Logistik beschäftigt und keine Regisseurin mehr,“ erinnert sie sich. Als sie den Spielfilm bei Festivals in Afghanistan einreichte, wurde er abgelehnt, „dann habe ich ihn nach Cannes geschickt und er wurde angenommen, weil er in meinem Heimatland abgewiesen wurde.“ Sadat ist müde von den Erwartungen, die ihr und anderen Filmemacherinnen aus Afghanistan, Iran und ähnlichen Ländern entgegengebracht werden. „Ich bin eine afghanische Künstlerin und ich wohne in Deutschland. Ich will einfach eine romantische Komödie drehen und ich finde, das ist auch wichtig.“

 

Text: Susanne Gietl

 


erschienen am 21. Februar 2023 in nd aktuell