Steven Meyer

Freier Autor und Journalist, Berlin

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Artikel

Kranker Scheiß aus dem Leben einer Taxifahrerin

"Taxis sind die perfekte Tarnung. Ich wurde schon gefragt, ob ich als Drogenkurierin arbeiten will oder ob ich Menschen über die Grenze schmuggeln könnte."

Vera Leidinger, 60, sagt, sie habe in der Nachtschicht als Taxifahrerin die Hoffnung in die Menschheit verloren. Sie hat schon vor 30 Jahren Besoffene wie dich durch die Gegend gefahren, denen völlig egal war, wer da gerade am Steuer sitzt. Oder die am nächsten Tag doch darüber nachgedacht und sich geschämt haben. Als Leidinger anfing, war sie eine der wenigen Taxifahrerinnen in Saarbrücken. Eine von wenigen Frauen in ganz Deutschland sogar, denn der Beruf wird bis heute von Männern dominiert. Sie war meistens nachts unterwegs. Um sich im Notfall verteidigen zu können, lernte sie deshalb auch in einem Verein Boxen und machte einen Selbstverteidigungskurs. Außerdem trug sie immer einen Fake-Ehering. Wir haben mit ihr über all den kranken Scheiß geredet, den sie über die Jahre erlebt hat.

Kotze und Pisse

Ich war immer stolz darauf, dass mir niemand ins Auto gekotzt hat. Jedes Mal konnte ich die Tür aufreißen und die Person aus dem Auto kotzen lassen.

Aber einmal ist mir dieser eigentlich ziemlich nette Typ ins Auto gestiegen. Er hatte Serviettenfetzen im Bart hängen. Deshalb wusste ich sofort, dass er schon gekotzt hatte und fragte mehrmals nach, ob es ihm gut geht. Er hat aber nur komische Geräusche gemacht, deshalb bin ich dann rechts rangefahren. Gekotzt hat er wirklich, und zwar aus dem Auto raus - ich konnte also beruhigt weiterfahren. Kurz vor seiner Haustür hat er nochmal gewürgt und in einem Schwall über das gesamte Armaturenbrett, das Funkgerät und die komplette Scheibe gekotzt. Alles war voll damit, inklusive meines Arms.


Ich bin also ausgestiegen, habe angefangen rumzuschreien und gedroht, die Polizei zu rufen. Schließlich wollte ich die Sauerei nicht wegräumen, ich bin als Taxifahrerin auch nicht dazu verpflichtet. Er hat sich vor dem Taxi auf den Boden gesetzt, angefangen zu weinen und mir 300 Euro angeboten. Zuerst wollte ich sie nicht annehmen, er hat darauf bestanden. Die Polizei habe ich nicht gerufen. Ein Kollege an einer Tankstelle hat mir dann dabei geholfen, alles sauberzumachen.


Ein anderes Mal ist eine Frau bei mir eingestiegen, die bereits hackedicht war. Ihr Lippenstift war total verschmiert. Sie grüßte mich nicht, sondern beschwerte sich nur über meinen Fahrstil. Taxifahrer und Taxifahrerinnen sind für manche Menschen der allerletzte Abschaum. Sie war eine von ihnen - und das lasse ich mir nicht bieten.

Wir haben also kein Wort gesprochen. Als wir dann bei ihr angekommen sind, hat sie bezahlt und meinte noch: "Du bist aber ziemlich unfreundlich!" Ich habe geantwortet: "Ja, und du bist ziemlich besoffen."


Als sie ausstieg, habe ich bemerkt, dass sie den kompletten Rücksitz vollgepisst hatte. Sie wollte einfach gehen, ohne was zu sagen. Ich wollte daraufhin Geld von ihr, um den Wagen in die Reinigung zu bringen. "Das war ich nicht", schnaubte sie zickig. Ich habe geschrien, ob sie will, dass die gesamte Nachbarschaft Bescheid weiß. Dann hat sie mir 150 Euro gegeben.


Unmoralische Angebote

Taxis sind die perfekte Tarnung für den Schmuggel von Drogen. Damals, als es noch keine offenen Grenzen gab, wurde ich immer mal wieder von Kunden gefragt, ob ich als Drogenkurierin arbeiten möchte. Solche Leuten sind immer wieder eingestiegen und haben gefragt, ob ich nicht in ihr Geschäft mit einsteigen möchte. Ich habe aber immer abgelehnt. Einer hat mich sogar mal gefragt, ob ich nicht Menschen über die Grenze schmuggeln könnte. Es gibt Kollegen, die Taxi fahren und auf solche Angebote eingehen.


Prügelnde Ehepaare

Einmal habe ich ein Paar heimgefahren. Beide waren betrunken. Die Frau hat sich auf den Rücksitz gesetzt und sofort geschnaubt: "Horst, wieso sitzt du vorne bei der?" Er meinte, dass sie ruhig sein soll. Sie machte weiter, bis sie schrie: "Halt Stopp!" Ich habe also angehalten. Sie ist ausgestiegen und hat versucht, ihn aus dem Auto zu zerren. Er wurde auch immer wütender.


Sie hat geschrien: "Du willst nur vorne bei der Schlampe sitzen!" Dann bin ich auch wütend ausgestiegen und habe gesagt: "Dumm darfst du sein, aber nicht frech!" Der Mann hat sich mehrfach für sie entschuldigt, woraufhin sie ihm ihre Handtasche ins Gesicht geschlagen hat. Dann platzte ihm der Kragen und er schlug ihr ins Gesicht. Der Schlag war so fest, dass sie nach vorne über die Motorhaube gefallen ist und den Mercedes-Stern von meinem Auto mitgerissen hat. Das war vielleicht ein Zirkus!


Sexistische Männer

Immer wenn ich abends in eine Kneipe gegangen bin, um einen Kunden oder eine Kundin abzuholen, fing das Gebrülle der anderen Gäste an: "Mit dir fahr ich auch mal mit!" Das ist schon blöd, aber das habe ich irgendwann gar nicht mehr gehört. Du stumpfst in dieser Hinsicht total ab. Du wirst resistent, sogar gegen ein ernstgemeintes Kompliment. Alles, was aus dem Mund von Männern kommt, ist Dreck für mich und absolut wertlos.

Manchmal bleibt es aber nicht nur bei dummen Sprüchen. Einmal habe ich vier Männer nachts abgeholt, die komplett betrunken waren. Der Typ, der vorne saß, hat mich dann gefragt: "Hast du nachts eigentlich Angst?" Dann hat der plötzlich seine Hose aufgemacht und sein Gerät ausgepackt. Ich war so wütend, schaute ihn an und antwortete: "Gibt's den auch für Frauen oder nur in XXXS?"


Schicksalsschläge

In einer Schicht habe ich am Taxistand beobachtet, wie eine Frau weinend von Taxi zu Taxi gegangen ist. Niemand wollte sie mitnehmen. Als sie zu mir gekommen ist, hat sie gesagt: "Bitte fahren Sie mich zum Krankenhaus. Ich habe nicht genug Geld dabei, aber mein Sohn wird gerade in die Notaufnahme geflogen und ich weiß nicht, ob ich ihn lebend wiedersehe!"

Ich war wütend auf meine Kollegen, die sie nicht mitnehmen wollten. Und habe zugestimmt, ohne zu zögern. Sie hat mir zitternd während der Fahrt noch ihre Adresse aufgeschrieben, um mir das Geld zurückzuzahlen.


Das hat sie auch gemacht. Einige Wochen später ist sie zu mir ans Taxi gekommen, ganz in Schwarz gekleidet, und hat mir das Geld vorbeigebracht. Sie hat mich umarmt und gesagt: "Ohne dich hätte ich mein Kind nicht mehr lebend gesehen." Ihr Sohn hatte einen Herzklappenfehler und ist dann im Krankenhaus gestorben. Aber wenigstens hat sie ihn noch einmal sehen können.


Diese Geschichte hat mich so sehr mitgenommen, dass ich wochenlang nicht mehr richtig essen konnte. Immer wieder musste ich anfangen zu weinen - und muss es auch heute noch, wenn ich daran denke.



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