Mega-Verkehrsprojekte sind den Deutschen verhasst. In London geht es auch anders.
Es herrscht ein strenges Regiment in den Katakomben von London. Um in die Tiefe zu gelangen, müssen Arbeiter mehrere Schleusen passieren. Ein Sicherheitsbeauftragter kontrolliert die Kleiderordnung: Helm, Handschuhe, Leuchtkleidung, Schutzbrille, Ohropax, Arbeitsstiefel - nur wer alles korrekt angelegt hat, darf in den Untergrund. Über Stahltreppen und Leitern geht es hinab, der Boden ist glitschig, ein Geruch nach Beton und Erde liegt in der Luft. Dann wird es dunkel. Und feucht.
20 Meter unter der Oberfläche, direkt neben der bestehenden Paddington Station, entsteht derzeit ein komplett neuer Bahnhof. Der neue Haltepunkt ist Teil eines noch viel umfassenderen Projektes, das die chronisch verstopften Verkehrsadern der britischen Hauptstadt entlasten soll. Die Rede ist von Crossrail, der größten Baustelle Europas.
Unverzichtbare HustenbonbonsÜber 10 000 Arbeiter sind derzeit damit beschäftigt, eine 118 Kilometer lange Eisenbahnstrecke vom Umland quer durch die Metropole zu bauen, inklusive zehn neuer Bahnhöfe. Ein Drittel davon verläuft unterirdisch, vorbei an bereits existierenden U-Bahn-Röhren, Kanalrohren und Stromleitungen. Wenn die Arbeiten im Jahre 2018 abgeschlossen sind, so das Versprechen -, wird das Schienennetz um bis zu zehn Prozent entlastet.
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Bis dahin hat Peter Jarman noch jede Menge Arbeit vor sich. Der Mittvierziger ist Bauleiter im Abschnitt Paddington Station. Er trägt einen Stoppelbart und kaut ununterbrochen Hustenbonbons. "Das muss man hier unten, um nicht krank zu werden", so der Bauleiter. "Ich habe hier schon als Kind gespielt. Heute kenne ich Tunnel, die nicht mal in den Plänen verzeichnet sind."
Neue Doppeldecker in London Zwischen Nostalgie und NutzenDer Nahverkehr in London ist mehr als nur ein Mittel, um von A nach B zu kommen. Hier geht es auch um Tradition und um Design. Nun fahren schicke neue Doppeldecker in der Metropole. Doch die teuren Fahrzeuge haben nicht nur Freunde.
"Operation am städtischen Herzen"Das Wissen dürfte nützlich sein, denn die Bagger graben in unmittelbarer Nähe von denkmalgeschützten Gebäuden. Damit diese nicht absinken - auch das ist schon passiert -, hängen lasergestützte Messgeräte an ihren Fassaden. "Sobald sich eine Wand neigt, füllen wir den Boden von unten auf", erklärt Jarman.
Seit fünf Jahren wird im gesamten Stadtgebiet gebaggert, geschweißt, gehämmert und gebohrt. Erstaunlicherweise bekommen die 8,6 Millionen Einwohner davon kaum etwas mit - obwohl es direkt unter ihren Füßen geschieht. Selbst heikle Momente gingen glimpflich aus. Zum Beispiel der Röhrenbau an der Tottenham Court Road. Weniger als 60 Zentimeter mussten die Bohrmaschinen an der bestehenden U-Bahn-Station vorbeimanövrieren. "Eine Operation am städtischen Herzen", jubelte das BBC-Fernsehen, während so mancher Bauplaner ins Schwitzen geriet. Vom Wasserrohrbruch bis zum Deckeneinsturz schien alles möglich. Aber die Station sperren? Das hätte zur Rush Hour den Verkehrsinfarkt bedeutet. Also ließen es die Crossrail-Planer darauf ankommen - am Ende ging alles gut.