In den USA hatten Fernbusse lange ein Schmuddel-Image. Laut einer neuen Studie ist das inzwischen vorbei. Zu Recht? Eine Testfahrt mit dem neuen Greyhound.
Als der Punker den Gettoblaster anstellt, kommen die ersten Zweifel. Hat sich Joseph Schwieterman vielleicht doch geirrt? Der renommierte Verkehrsforscher an der DePaul University in Chicago sieht eine neue Ära angebrochen: die der amerikanischen Fernbusse. Vorbei das Schmuddel-Image, das dem Überlandbus dort lange anhaftete. Vorbei das Stigma, dass nur Kriminelle, Obdachlose und Junkies kein eigenes Auto besitzen. "Fernbusse", sagt Schwieterman, "sind derzeit das am stärksten wachsende Transportmittel in den USA. Es hat etwas Magisches, wie sich der Markt entwickelt."
So wie der Punker jetzt tanzt, könnte er wirklich von einem Zauber besessen sein. Es ist 8.30 Uhr, kurz vor Abfahrt des Greyhound-Busses von Atlanta (US-Bundesstaat Georgia) nach Chattanooga (Tennessee). Die Wartehalle ist voll. Überall dösen Fahrgäste, die Köpfe tief in Kapuzenpullis und mitgebrachten Kopfkissen vergraben. Am Ticketschalter gestikuliert ein Mann. Er trägt eine zerrissene Hose und ein offenes Hemd, während draußen die Temperatur am Gefrierpunkt kratzt. Ein paar Meter weiter setzt sich ein älterer Herr neben eine Frau im Teenager-Alter. "Ruf mich an!", flüstert er und steckt ihr eine Visitenkarte zu. Als er verschwunden ist, dreht sich die Frau zu ihrer Freundin: "Verdammter Perversling. Den habe ich vorher noch nie gesehen."
Manche Amerikaner fürchten sich vor einer FahrtNatürlich ist die Wartehalle in Atlanta nur eine Momentaufnahme einer einzelnen Station, noch dazu im strukturschwachen Süden der USA. Trotzdem zeigt sie, warum Fernbusse in den Staaten nicht den besten Ruf genießen. Manche Amerikaner fürchten sich geradezu vor einer Fahrt. Während auf Flughäfen und in vielen Bahnhöfen das Gepäck durchleuchtet wird, passiert das an Busbahnhöfen so gut wie nie. Bis heute unvergessen ist der brutale Mord an einem 22-jährigen Kanadier, der 2008 in einem Greyhound-Bus von einem Mitfahrer geköpft wurde. Auch Busfahrer wurden schon attackiert, weshalb sie sich mittlerweile hinter einer Plexiglasscheibe verbarrikadieren.
Greyhound, der größte Anbieter auf dem nordamerikanischen Markt, hatte lange ein Serviceproblem. Weil Busse regelmäßig überbucht wurden, durften Fahrgäste trotz eines gültigen Tickets häufig nicht einsteigen. Damit ist seit diesem Sommer Schluss: Ein Ticket, ein Platz - so das Motto. Das Unternehmen, das im Mai hundert Jahre alt geworden ist, will sich ein neues Image zulegen. Der "New Greyhound" soll zuverlässiger, komfortabler und sicherer sein. Dazu gehören auch neue Expressrouten, die Großstädte ohne lästige Zwischenstopps verbinden.
"Hi Leute, willkommen an Bord"8.45 Uhr: Pünktlich auf die Minute setzt sich der Bus in Bewegung. Kenny, der Fahrer, ergreift hinter der Plexiglasscheibe das Mikro: "Hi Leute, willkommen an Bord. Bitte stellt eure Smartphones auf lautlos. Und denkt daran, hier wird nicht geraucht und nicht getrunken." Tatsächlich herrscht Ruhe. Die meisten Passagiere stellen ihre Lehnen nach hinten und dösen; sogar der Punker trägt Kopfhörer. Ganz so komfortabel, wie das Unternehmen den New Greyhound anpreist, ist das Fahrzeug allerdings nicht. Die Ledersitze sind durchgesessen, zwischen den Ritzen liegen Krümel. Dafür blitzt die Toilette, die während der Fahrt sogar benutzt werden darf. In deutschen Fernbussen wird das nicht immer gerne gesehen.
Smartphones spielen für Reisende eine immer wichtigere Rolle. "Die Passagiere lieben ihre mobilen Geräte", sagt Verkehrsforscher Schwieterman. "Anders als im Auto dürfen sie im Bus so viel surfen, wie sie wollen." Um diesem Anspruch gerecht zu werden, bieten viele Unternehmen nicht nur kostenloses Internet, sondern auch Steckdosen an jedem Sitzplatz an. Dass die Strategie aufgeht, zeigt nicht nur Schwietermans Studie. Der amerikanische Bundesrechnungshof GAO hat berechnet, dass zwischen 1960 und 1990 die Zahl der jährlichen Fernbus-Passagiere von 140 Millionen auf 40 Millionen zurückging. Seit dem neuen Jahrtausend steigen sie jedoch wieder stark an - laut Branchenverband "American Bus Association" auf zuletzt über 637 Millionen (2012).