Wer den Geburtsort einer neuen Zivilisation erleben will, muss erst mal ans Ende der Welt fahren. Zumindest fast. Denn am Fuße der französischen Pyrenäen, zwischen kargen Büschen und staubigen Felsen, liegt Bugarach. Allein schon die Anfahrt ist eine Tortur: enge Serpentinen, kaum abgesicherte Schluchten, sengende Hitze. 20 Kilometer vorm Ziel läuft plötzlich nicht mehr "Blow My Whistle" im Radio, sondern eine Hausfrauen-Quizshow. Der Sender heißt "Nostalgie".
Dass das 200-Einwohner-Dorf in diesen Tagen trotzdem ein gefragtes Reiseziel ist, hat mehrere Gründe. Einige kommen zum Wandern, andere zum Entspannen. Und so manche haben ein Ziel, das vollkommen jenseits der irdischen Sphäre liegt. Weil dieses Jahr am 21. Dezember der historische Maya-Kalender endet, feiert wieder einmal die Weltuntergangshysterie Auferstehung. Das Besondere: Ausgerechnet Bugarach soll das Fegefeuer erspart bleiben - so steht's zumindest in einschlägigen Internetforen, die das Dorf zur modernen Arche Noah auserkoren haben.
Zu verdanken hat das Dorf seinen Ruf dem Pic de Bugarach, dem 1230 Meter hohen Hausberg der Gemeinde. In ihm, so glauben Verschwörungstheoretiker, schlummern Außerirdische, die am 21. Dezember zum Leben erweckt werden. Die Aliens sollen die Auserwählten - also all jene, die im Ort leben - vor dem Inferno retten. Für sie wird Bugarach zu "Bugarage": der Berg als Ufo-Garage. Um diese Theorie zu beweisen, filmen Wanderer ihre angeblichen Begegnungen mit Außerirdischen und stellen sie ins Internet.
Grundstückspreise schon stark gestiegen
Werden sie also in Scharen kommen, die Pilger der Apokalypse? Zumindest der Bürgermeister des Dorfs, Jean-Pierre Delord, befürchtet das. Seit zwei Jahren weist der sozialistische Politiker auf die Gefahren hin, die seiner Heimat drohten: Esoterikerinvasion, Sektentreffen, kollektiver Selbstmord. Betritt man Bugarach allerdings an einem normalen Wochentag, fällt vor allem eins auf: Leere.
Bleibt in Bugarach am Ende nicht nur der Weltuntergang, sondern auch der große Ansturm aus? "Ich habe jedenfalls noch keine Gurus gesehen", sagt der Brite Jeremy Webb, der seit vier Jahren regelmäßig zum Mountainbiken nach Bugarach fährt. Als unbegründet will der 56-Jährige die Befürchtungen aber nicht abtun: "Das könnte dieses Jahr noch Ärger geben. Ich habe gehört, dass außerhalb des Dorfs bereits viele Verrückte ihre Lager aufschlagen."
Bürgermeister Delord ist sich da schon sicherer. "Mir schreiben regelmäßig Menschen, die an das Ende der Welt glauben." Der 69-Jährige ist ein gemütlicher Mann: grauhaarig, in T-Shirt und Jeans gekleidet, seit 39 Jahren im Amt. Wenn es um den 21. Dezember geht, versteht er aber keinen Spaß. "Ich will niemandem vorschreiben, wie er zu leben hat. Aber wenn hier Hunderte Leute das Dorf stürmen, können wir die öffentliche Sicherheit nicht mehr gewährleisten."
Weil die Apokalyptiker überall Land aufkauften, seien die Grundstückspreise in den vergangenen Jahren bereits erheblich gestiegen, sagt er. Kürzlich habe er im Wald eine Art Prozession miterlebt: "Die waren alle ganz in Weiß gekleidet. Ich hoffe nur, dass die sich nicht irgendwann gemeinsam das Leben nehmen."
"Wir sind keine bekifften Irren"
Die staatliche Sektenkommission Miviludes ist ebenfalls alarmiert. "Bisher wird das Thema vor allem kommerziell ausgebeutet", schreibt die Behörde in ihrem Jahresbericht 2010. Gemeint sind Postkarten, Wünschelruten und "Steine der Ewigkeit", die man passend zur Apokalypse bestellen kann. Man dürfe das Risiko aber nicht unterschätzen, heißt es mit Verweis auf die kollektiven Selbstmorde der Sonnentempler-Sekte in den neunziger Jahren. 74 Menschen kamen damals ums Leben. Neue Erkenntnisse zu Bugarach hat die Behörde nach eigenen Angaben derzeit nicht. "Wir beobachten die Entwicklung aber sehr genau", sagt Miviludes-Sprecherin Claire Barbereau.
Neu ist das Bugarach-Phänomen indessen nicht. "Bei Weltuntergangsszenarien gibt es einen jahrhundertealten prophetischen Vorratskorb mit wiederkehrenden Motiven", sagt Eberhard Bauer vom Freiburger Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene (IGPP). Bauer und seine Kollegen beraten unter anderem Menschen, die sich vor dem Weltuntergang fürchten. Ein "spirituelles Refugium, in das Auserwählte flüchten können", sei eines dieser Motive. "Dass mit diesen Vorstellungen von Erlösung und Heilsversprechen auch Schindluder getrieben werden kann, dürfte niemanden überraschen."
"Alles Unsinn", glaubt dagegen ein Bioladen-Besitzer in Bugarach, der seinen Namen nicht nennen will. Der Hype sei in Wahrheit eine geschickte Inszenierung des Bürgermeisters. "Wir sind doch keine Irren, die den ganzen Tag bekifft durch die Gegend laufen." Zum Sortiment des Händlers gehören nicht nur Sandwiches aus ökologischem Anbau, sondern auch Bücher wie "Le Calendrier de 13 Lunes" (Der Kalender der 13 Monde) oder "Bugarach, Vortex de la Terre" (Bugarach, Vortex der Erde). "Ja, dieser Ort ist speziell", bekräftigt der Einwohner, "aber deshalb glaubt hier noch lange niemand, dass die Welt untergeht."
Die wahre Verschwörung, sagt der Verkäufer, sei politischer Natur. "Wenn es nach dem Bürgermeister geht, sollen hier bald neue Hotels und Windkrafträder entstehen. Um Touristen anzulocken, bringt er uns immer wieder in die Medien, die dann die Story neu anheizen, wie bei stiller Post." Das komme dem Bürgermeister gerade recht, der alle Gegner seiner Baupläne kurzerhand als Verrückte darstelle. "So funktioniert Politik in der Provinz."
Schlechte Schwingungen
Also alles nur ein geschickter PR-Gag, ein gewiefter politischer Schachzug? Das sieht Jean-Pierre Delord natürlich anders, der aber unumwunden zugibt, die mediale Aufmerksamkeit auch touristisch nutzen zu wollen. "Eine Invasion gibt's am 21. Dezember garantiert: die der Journalisten." Viel los ist in dem Örtchen im Moment wahrlich noch nicht. Dafür hängen an vielen Häusern Schilder mit der Aufschrift "À vendre" - zu verkaufen. Selbst die einzige Wirtschaft des Dorfs hat am frühen Nachmittag noch geschlossen: keine Kunden.
Am Ortsausgang steht dann doch noch jemand, der nicht ganz aus dieser Welt zu sein scheint: Flöte spielend, Heilkräuter in der Hemdtasche, abstehende graue Haare. "Dieser Ort ist dieses Jahr der wichtigste auf der ganzen Welt", sagt der Mann und winkt jedem zu, der an ihm vorbeifährt. Er sei extra aus Spanien gekommen, um den kraftvollen Energie-Vortex des Pic de Bugarach zu spüren. Mehr ist ihm nicht zu entlocken, denn: "Interviews mit Journalisten stören die Schwingungen."
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