Er trägt sich in die Blutgruppenliste ein. So beginnt seine Schicht. "Ich schätze, das macht uns zu besten Freunden", sagt Nheya Madzokere, 42, zu einem seiner simbabwischen Kollegen und Landsmänner. Beide haben A positiv. Noch schnell einen Schluck Kaffee, dann streift sich der Landminenräumer die Splitterschutzweste über und klappt das Visier herunter. Ein neuer Arbeitstag in der Todeszone.
Mit ruhiger Hand bewegt Madzokere einen Metalldetektor über den Boden. Das hochgewachsene Gras haben die Kollegen schon mit der Heckenschere entfernt. Nun liegt es an ihm, das matschige Erdreich zu prüfen. "Diese Personenminen sinken in den Schlamm richtig tief ein", sagt Madzokere, während er sich Stück für Stück vortastet. Er meint die SB-33, eine Anti-Personen-Mine italienischer Bauart. Sie ist überall auf den Falklandinseln zu finden.
Rund 20.000 Landminen werden auf der Inselgruppe vermutet, die 400 Kilometer vor Argentinien liegt, als Überseegebiet aber zu Großbritannien gehört. Nachdem die Argentinier die Falklands 1982 besetzt hatten, schlugen die Briten zurück - und gewannen den Konflikt nach nur wenigen Wochen. Geblieben sind die explosiven Hinterlassenschaften der Besatzungsarmee bis heute.
Am Montag entscheiden die Bewohner, ob ihre Heimat britisches Überseegebiet bleiben soll. Allerdings sind die meisten Einwohner britischstämmig. Bei einer Umfrage in den achtziger Jahren hatten mehr als 90 Prozent der Bevölkerung für den Status eines autonomen britischen Überseegebiets gestimmt.
Damit Spaziergänger und Touristen den Minen nicht zum Opfer fallen, sind die Felder, in denen sie liegen, weiträumig mit Stacheldrahtzäunen abgesperrt. "Danger Mines" ist darauf zu lesen. Ein anderes Schild zeigt eine gezeichnete Person mit abgesprengtem Fuß. Vor diesem Schicksal haben auch die ausgebildeten Minenräumer Angst. Nahezu jeder von ihnen kennt einen Freund, der schon einmal ein Körperteil verloren hat. "Ich denke immer daran, und das muss auch so sein", sagt Madzokere und kämpft so gegen seine Angst. "Sobald die Konzentration nachlässt, wird es gefährlich."
"Die Familie ist stolz - und macht sich ständig Sorgen"
Fünf Arbeiter sind an diesem Tag in "Minefield 95" zugange. Die meisten von ihnen graben sich mit einer kleinen, löffelähnlichen Schaufel Stück für Stück voran. Seitlich piksen sie behutsam in die Erde. Das Stochern hat System: Sticht man direkt von oben auf eine Landmine, wird sie ausgelöst.
"Ich mache den Job, um andere vor der Gefahr zu schützen", sagt Madzokere, der seit acht Jahren Minen räumt. Zuletzt führte ihn seine Tätigkeit nach Afghanistan, Mosambik, Ägypten und in seine Heimat Simbabwe. Manchmal sieht er seine Kinder und seine Frau monatelang nicht. "Die Familie ist stolz auf mich, macht sich aber auch ständig Sorgen. Für meine Frau ist es fast so, als wäre sie mit einem Soldaten verheiratet, der in den Krieg zieht."
Die Arbeit verlangt ihm vor allem Geduld ab. Immer wieder muss er die Suche wegen starker Regenschauer unterbrechen. Schwere Fahrzeuge wie etwa Minenräummaschinen können die Einsatzkräfte auf den Falklands nicht einsetzen, weil sie im durchnässten Boden sofort versinken würden. Auch Spürhunde können die Minenräumer nicht mit auf die Suche nehmen, denn bei starken Windböen sind die Hunde nicht dazu fähig, den Sprengstoff zu riechen.
80 Prozent Arbeitslosigkeit - lieber einen gefährlichen Job als keinen
"Ich war schon an vielen Orten", sagt Madzokere, "aber auf diesem Terrain zu arbeiten, ist am schwierigsten." Haben Madzokere und seine Kollegen eine Mine entdeckt, markieren sie die Fundstelle zunächst mit einem roten Dreieck. Da Entschärfungsversuche zu gefährlich wären, werden alle gefunden Objekte einmal pro Woche kontrolliert gesprengt. Das Team zündet Sprengladungen neben den Minen, so dass diese mit in die Luft gehen.
Ihren Job haben die Simbabwer in nur wenigen Wochen gelernt. Ein Großteil der Ausbildung habe sich auf medizinische Erstversorgung bezogen, sagt Madzokere. Dass die Minenräumer fast immer aus Afrika stammen, führen ihre Arbeitgeber auf eine simple Tatsache zurück: "In ihrer Heimat werden sie mit den Problemen, die diese Technik verursacht, täglich konfrontiert", sagt Guy Marot, der das Abtragen der Minen vor Ort im Auftrag der britischen Regierung überwacht und die Einsatzkräfte koordiniert.
Doch in Ländern wie Simbabwe fehlt es auch an Alternativen. 80 Prozent der Bevölkerung sind arbeitslos, und viele Menschen nehmen lieber einen gefährlichen Job an als gar keinen.
Verdienst: Ein paar Dollar am Tag
Eine Festanstellung hat Nheya Madzokere bis heute nicht. Die Minenräumer werden von ihrem Auftraggeber - in diesem Fall dem britischen Kampfmittelbeseitiger Bactec - je nach Bedarf gebucht. Wie viel das Unternehmen zahlt, verrät es nicht. Die Minenräumer verdienten aber dreimal so viel wie bei jedem anderen Job in der Heimat, erklärt Marot. Legt man den Weltentwicklungsbericht der Vereinten Nationen zugrunde, dürften das trotzdem nur wenige Dollar pro Tag sein.
"Was ich verdiene, schicke ich meiner Familie", sagt Madzokere, der sie nach eigenen Angaben damit gut ernähren kann. Zumindest aus wirtschaftlicher Sicht gilt sein Arbeitsplatz als sicher: Weltweit liegen nach Schätzungen der Vereinten Nationen noch immer über 100 Millionen Antipersonenminen im Boden. Zwar haben inzwischen 161 Staaten die Ottawa-Konvention unterzeichnet, die diese Waffen verbietet, doch Räumungen kosten viel Zeit und Geld.
Auf den Falklandinseln sind 20 bis 30 Jahre veranschlagt. Es könnte auch schneller gehen, doch die Politiker haben sich bewusst für ein langsames Vorgehen entschieden. "Die britische Regierung soll lieber den Ländern helfen, die verminte Flächen dringend für ihre Landwirtschaft brauchen", sagt Mike Summers, Abgeordneter der Falklandinseln.
Für Nehya Madzokere bedeutet das, dass sein Auftrag im März vorerst endet. Wohin ihn der nächste Einsatz verschlägt, weiß der Muslim noch nicht. "Inschallah", sagt er.
Steve Przybilla (Jahrgang 1985) ist freier Journalist und lebt in Freiburg im Breisgau.
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