Stephan Kroener

Freier Journalist und Historiker, Freiburg

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Reportage

Wiener Melange in Berliner Bohème

Kaffeehauskultur: Alles, nur kein Kaffeekränzchen

Der französische Dichter Léon-Paul Fargue erklärte mal ironisch, "man könne eine Kulturgeschichte schreiben, indem man sich auf die Kultur der Cafés beschränkt". Er sollte Recht behalten.

Eigentlich war Erich Kästner gerade auf einer seiner Berliner "Weltreisen". Der Schriftsteller liebte es, in Stadtvierteln spazieren zu gehen, "die ich nicht kenne und in denen man mich nicht kennt". Doch dieses Mal sollte daraus nichts werden, denn ihm kamen aus der Straßenbahn die literarischen Figuren seines Romans entgegen. "Entgeistert" sei er gewesen, beschreibt Kästner seine Überraschung, als an ihm vorbei alias Max Grundeis ins Café Josty huschte. In das Café auf dessen Terrasse Kästner zwei Jahre zuvor seinen Bestseller geschrieben hatte. Hinter ihm her liefen "Emil und die Detektive".
Der Schriftsteller fühlte sich im falschen Film. Denn er sei, so schrieb er im "Vorwort für Fachleute" zum zweiten Teil seines Klassikers, versehentlich in die Dreharbeiten der Verfilmung seines Kinderbuchs geraten. Das Café Josty, in dem Grundeis den beliebten Kaffeehaus-Snack "Eier im Glas" aß, war damals schon eine bekannte Berliner Institution. Heute steht an der Ecke nur noch die berühmte denkmalgeschützte Litfaßsäule des Emil-Buchcovers.