Stephan Kaufmann

Wirtschaftsjournalist, Berlin

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USA: Die alte und die neue Weltmacht

Das Ende der ökonomischen Dominanz der USA ist schon oft ausgerufen worden. Aber noch weiß sie sich zu retten.

Die Weltmacht wankt. Zumindest, wenn man der Debatte in den Vereinigten Staaten Glauben schenken will. Laut US-Präsident Donald Trump bedroht der wirtschaftliche Aufstieg Chinas die US-amerikanische Dominanz. Sein Herausforderer Joe Biden warnt vor einer ökonomischen Katastrophe, sollte Trump wiedergewählt werden. Tausende US-Unternehmen haben Klagen gegen Trumps Anti-China-Zölle erhoben, die sie Milliarden kosten. Im Technologiebereich haben sich monopolartige Strukturen durchgesetzt. Die soziale Krise führt zu gewaltsamen Protesten in den Metropolen. Mit den explodierenden Staatsschulden sehen Ökonomen das Ende des US-Dollar als Leitwährung gekommen.

Krasse Ungleichheit, monopolartige Konzerne, Handelskrieg und wachsende Staatsschulden sind zwar Fakten. Gleichzeitig aber künden sie nicht vom Ende der US-amerikanischen Vorherrschaft. Dieses Ende wird seit 50 Jahren regelmäßig ausgerufen - das entsprechende Bild ist der politische Riese, der auf tönernen ökonomischen Füßen steht. Doch verweist jede einzelne Schwäche der US-Wirtschaft auf ihre zugrundeliegende Stärke.

Handelskrieg

Die US-Regierung erlässt seit Monaten Zölle gegen andere Länder in nie gekanntem Ausmaß. Mit politischem Druck will sie Europa, Asien und Lateinamerika dazu zwingen, US-amerikanische Güter abzunehmen. Das zeigt: Von selbst bringt der freie Weltmarkt den Vereinigten Staaten nicht mehr die gewünschten Erträge, dafür braucht es offensichtlich Zwang. Daraus lässt sich jedoch nicht schließen, die USA seien auf der Verliererstraße. Umgekehrt ist es gerade ihre ökonomische Macht, die diesen Zwang wirkungsvoll macht.

Am Welthandel haben die USA einen Anteil von rund elf Prozent und liegen damit hinter China und der EU, die beide auf jeweils 16 Prozent kommen. Als Kunde und Absatzmarkt allerdings sind die Vereinigten Staaten für Unternehmen aller Länder von überragender Bedeutung. Denn sie sind der größte Importeur der Welt. Die Drohung mit Ausschluss vom US-Markt entfaltet daher stets Wirkung. Washington kann diese Drohung umso leichter aussprechen, weil die USA weniger abhängig vom Welthandel sind. Während die Exporte fast 50 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung ausmachen, sind es in China immer noch 20, in den USA aber nur zwölf Prozent.

Zudem sind die USA die Heimat des Kapitals und wichtige Anlagesphäre: Für die EU sind sie das bedeutendste Zielland für ausländische Direktinvestitionen und der größte ausländische Investor. Mit dieser Macht ausgestattet, ist es Washington gelungen, das globale Handelssystem - an dem alle hängen - zu unterminieren. Beispiel Welthandelsorganisation: Die Blockade des Streitschlichtungsmechanismus hat die WTO in eine tiefe Krise gestürzt.

Technologie

Gerade im Bereich Hochtechnologie und Digitales haben sich in den USA monopolartige Strukturen herausgebildet. Dafür steht vor allem die GAFAM-Gruppe: Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft. Sie dominieren das globale Geschäft mit Daten, sie sind „zu den reichsten und beherrschenden Konzernen der Welt aufgestiegen, die Informationen zu Eigenarten, Vorlieben und zum Verhalten von Milliarden Individuen aufsaugen", so das Peterson Institute in Washington. Von ihren Diensten sind nicht nur Personen, sondern Unternehmen weltweit abhängig, weil sie die Daten und Datenverarbeitung der GAFAM brauchen. „Jede Maßnahme, die eines dieser Unternehmen trifft, kann tiefgreifende und dauerhafte Auswirkungen auf Hunderte Millionen Menschen haben", so der demokratische Abgeordnete David Ciciline.

Das macht sie unendlich wertvoll. Gemeinsam steht die GAFAM-Gruppe für 20 Prozent des Wertes des gesamten US-Aktienmarkts. Aufgrund ihrer Einnahmen können Amazon, Microsoft und Google etwa zehn bis 15 Milliarden Dollar jährlich für Datenzentren und Cloud-Netzwerke ausgeben und so ihre Dominanz ausbauen. Etwaige Konkurrenten werden aufgekauft.

Die Vorherrschaft der Internet-Giganten höhlt zwar den Wettbewerb in den USA aus, stärkt aber gleichzeitig die US-amerikanische Weltmacht: „Unsere Ingenieure helfen Amerika dabei, die globale Führungsrolle in Zukunftstechnologien wie Künstliche Intelligenz, selbstfahrende Autos oder Hochleistungscomputer zu halten", sagte Google-Chef Sundar Pichai in einer Anhörung vor dem US-Abgeordnetenhaus.

Hohe Schulden

Auch die US-Wirtschaft leidet unter der Corona-Krise. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird dieses Jahr allerdings nur um vier Prozent sinken, prognostiziert die Commerzbank. Das Minus in Deutschland dagegen wird mit 4,5 Prozent höher liegen, in der EU sogar bei 6,5 Prozent. Hauptgrund für das bessere Abschneiden der USA: Die Regierung nimmt riesige Schulden auf, dieses Jahr allein mehr als drei Billionen Dollar. Das Haushaltsdefizit wird bei sagenhaften 20 Prozent der Wirtschaftsleistung liegen, das ist mehr als das Doppelte des EU-Wertes. Die Gesamtschulden Washingtons dürften auf 100 Prozent des BIP klettern - 2007 betrug dieser Wert noch 35 Prozent. Das Congressional Budget Office (CBO) warnt: „Wenn die Schulden weiter so steigen, könnte die Schuldenquote 2050 rund 195 erreichen und damit das alte Hoch von 106 Prozent nach dem Zweiten Weltkrieg übertreffen."

Diese Zahlen zeigen zum einen die Not der USA, aber auch ihre Macht und Freiheit beim Schuldenmachen. Denn Washington hat Kredit: Die rasante Nachfrage nach US-amerikanischen Staatsanleihen hat die Zinsen drastisch gedrückt. Im Ergebnis liegen die Zinskosten Washingtons, trotz drastisch gestiegener Schulden, zehn Prozent niedriger als im Vorjahr. Das bedeutet, dass die USA frei sind, „ihre Ausgaben gemäß den nationalen Prioritäten zu nutzen, wenn der Kongress dies wünscht", sagte CBO-Chef Phill Swagel.

Dollar

Unter anderem seine Währung ermöglicht Washington diese finanzielle Freiheit. Der US-Dollar ist das wichtigste Geld der Welt, es gilt global, jeder Investor, jede Bank, jeder Staat braucht es. Ein Grund dafür ist, dass die USA den größten und tiefsten Finanzmarkt der Welt haben, hier konzentriert sich das Geld der Welt: Der Wert des US-Aktienmarktes macht mehr als 40 Prozent der globalen Aktienmarktkapitalisierung aus, der Markt für US-Bonds etwa ein Viertel des globalen Anleihemarktes.

Zwar wird immer wieder davor gewarnt, der Dollar könnte wegen Washingtons steigender Verschuldung seine dominante Stellung verlieren. Doch davon ist nichts zu sehen. Noch immer macht der Dollar 62 Prozent aller Devisenreserven der Zentralbanken aus, der Euro kommt nur auf 20 Prozent, der chinesische Renminbi gar nur auf zwei Prozent. Und selbst wenn der Status des Dollar irgendwann angekratzt würde - es steht schlicht keine Alternative zur Verfügung. Das Volumen an Pfund, Schweizer Franken oder Yen ist schlicht zu klein, Chinas Finanzmarkt bleibt abgeschottet und die Euro-Zone zerstritten.

Soziale Krise

Das US-amerikanische Wirtschafts-, Sozial- und Finanzsystem baut auf extremer Ungleichheit auf. Die Einkommen sind stark zuungunsten der Arbeitenden und zugunsten der Unternehmen verzerrt. Während das reale Einkommen der ärmsten 20 Prozent der US-Amerikaner seit 1995 bei 13 800 Dollar im Jahr stagnierte, wuchs das der reichsten 20 Prozent um ein Fünftel auf 234 000 Euro. Das reichste ein Prozent der US-Amerikaner bezieht inzwischen 20 Prozent aller Einkommen und hält 36 Prozent des Gesamtvermögens. Gleichzeitig verteilt der Staat kaum um: Während in der Euro-Zone die staatlichen Ausgaben für Gesundheit, Rente, Familien und Wohnung rund 20 Prozent des BIP betragen, sind es in den USA nur zwölf Prozent. Im Ergebnis lebt dort ein Viertel der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, in der Euro-Zone sind es 17 Prozent.

Der US-Arbeitsmarkt ist extrem flexibel, Kündigungsschutz nur rudimentär vorhanden. Der nationale Mindestlohn macht gerade mal ein Drittel des mittleren Lohns aus, schützt also nicht vor bitterer Armut. All dies hält den Druck auf die Beschäftigten aufrecht, weshalb sie bei Lohnforderungen bescheiden sind. Die Erträge sammeln sich dagegen bei den Eigentümern von Kapital, was die USA zu einem Magneten für Unternehmen und Investoren macht. Das Ergebnis: Die Vereinigten Staaten holen sehr viel Wirtschaftsleistung aus ihrer Bevölkerung heraus. So beträgt das BIP pro Kopf dort 65 000 Dollar. In der Euro-Zone sind es nur 40.000, in China gar nur 10.000 Dollar.

Ob dieses System stabil bleibt, hängt davon ab, ob der soziale Friede hält. Dass er hält, dafür spricht derzeit zum einen der extrem schwache Organisierungsgrad der US-Beschäftigten, von denen nur acht Prozent einer Gewerkschaft angehören; und zum anderen die Tatsache, dass die US-Amerikaner nur allzu bereit scheinen, das Ausland für ihre sozialen Probleme verantwortlich zu machen: chinesische Billigproduzenten, mexikanische Einwanderer oder die Konkurrenz aus Europa.

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