Stephan Kaufmann

Wirtschaftsjournalist, Berlin

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Wachstum: Unendliche Bedürfnisse

Ist das Klima mit „grünem" Wachstum zu retten - oder muss die Wirtschaft schrumpfen? Wer so fragt, sollte zuerst die Begriffe klären. Die Analyse.

Die Weltklimakonferenz in Madrid ist gescheitert, Australien brennt. Die Themen Klimawandel und -schutz stehen also weiter ganz oben auf der politischen Agenda. In der Debatte über die besten Wege zur Senkung von CO2-Emissionen stehen sich im linken Lager zwei Positionen gegenüber: Die eine sieht im herrschenden Wirtschaftssystem keinen prinzipiellen Gegensatz zum Klimaschutz, sie setzt auf „grünes Wachstum" mit Hilfe „grüner" Technologie. Die andere Position fordert „Degrowth", also eine tendenzielle Schrumpfung der Wirtschaftsleistung, was einen grundlegenden Umbau des Systems nötig machen würde. Die Debatte krankt daran, dass unklar bleibt, was unter Wachstum überhaupt verstanden wird.

Was ist gemeint, wenn von Wirtschaft und ihrem Wachstum die Rede ist? Sicher, man kann sich schnell auf „Bruttoinlandsprodukt" einigen. Versteht man darunter die Menge an produzierten Waren und Dienstleistungen, so bliebe die Frage, warum hier ein Zwang zur Produktion von immer mehr Gütern bestehen sollte? Volkswirte begründen diesen Zwang oft damit, dass Menschen potenziell unendliche Bedürfnisse hätten.

Ob der Mensch tatsächlich unersättlich ist, darf bezweifelt werden. Denn seine vorhandenen Bedürfnisse haben ihr Maß im Mittel ihrer Befriedigung: Niemand braucht unendlich viele Autos. Daneben gibt es die eher versteckten oder noch nicht entwickelten Bedürfnisse. Bei ihnen ist es allerdings eher so, dass die Unternehmen Milliardensummen ausgeben, um diese Bedürfnisse erst zu wecken oder zu schaffen, um an ihrer Befriedigung zu verdienen. Nicht die wachsende Zahl von Verbraucherwünschen „zwingt" die Unternehmen also zur Erweiterung der Produktion, sondern sie produzieren die Bedürfnisse, um ihr Wachstum zu erreichen.

Selbst wenn die menschlichen Bedürfnisse unendlich wären, so bestünde noch immer kein Wachstumszwang. Denn der Mensch ist keine Maschine. Ob er seine Wünsche erfüllt oder nicht, bleibt seinem Willen unterworfen: Jeder kann sich für den Verzicht entscheiden. Entscheidet er sich gegen den Konsum, so ginge allerdings das Bruttoinlandsprodukt zurück und eine Wirtschaftskrise wäre die Folge. Man sieht: Das System braucht das Wachstum, dessen Zwang sich autonom bestimmt, unabhängig von den Wünschen der Menschen.

Das Wachstum, das Unternehmen anstreben, ist nicht notwendig eines der materiellen Güter. Ein Konzern wie VW muss nicht immer mehr Autos produzieren. Was er anstrebt, ist das Wachstum von Umsatz und Gewinn. Wenn das mit weniger oder saubereren Autos geht - was unwahrscheinlich, aber zumindest denkbar ist - dann reicht das aus. Steigende Gewinne bedienen den Willen der Unternehmenseigner am Wachstum.

Der Zwang zum Wachstum wiederum ergibt sich aus der Konkurrenz der Unternehmen um Marktanteile. Wer seinen Umsatz nicht erhöht, wer sein Kapital nicht verwertet, der fällt zurück und wird von den wachsenden Wettbewerbern früher oder später aus dem Markt gedrängt. Um dieses Wachstum ihrer Bilanzkennzahlen zu produzieren, nutzen die Unternehmen die Umwelt als billige Ressourcenquelle und Schadstoffdeponie. Der Klimawandel ist Ergebnis dieser Kalkulation - und nicht der notwendigen Produktion von immer mehr Gütern.

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