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Sozialpsychologie: Warum Loslassen so schwer ist

Sozialpsychologie : Warum Loslassen so schwer ist

Ob Beziehungen, Lebensträume oder Jobs: Nicht an allem im Leben können wir ewig festhalten. Manchmal erschweren Bindungserfahrungen aus der Kindheit das Loslassen. Doch mit den richtigen Strategien können Neuanfänge trotzdem gelingen.

Manche können es, andere nicht - oder zumindest nicht so gut. Ich kann es definitiv nicht: Loslassen. Besonders bewusst wurde mir das nach einer kurzen Liaison, die ich vor einigen Jahren hatte. Eine Beziehung entwickelte sich nicht daraus. Dafür wurden wir Freunde - gute Freunde. Fünf Jahre später fragte ich mich, ob wir es nicht doch einmal mit einer Beziehung versuchen sollten. Weil ich den Gedanken nicht mehr loswurde, sprach ich ihn aus. Mein guter Freund sah das allerdings anders: Er mochte unsere Freundschaft und wollte daran nichts ändern. Da mir klar war, dass ich es nicht ertragen würde, ihn irgendwann mit einer anderen Frau zu sehen, entschied ich mich, erst einmal auf Abstand zu gehen. Doch noch heute - mehr als ein halbes Jahr später - beschäftigt mich die Frage: "Was wäre, wenn ...?"

Auch von banalen Dingen wie Kleidungsstücken oder Büchern kann ich mich nicht besonders gut trennen. Zum Glück bin ich damit nicht alleine. Laut einer Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut Civey für "Spektrum.de" unter mehr als 5000 Menschen in Deutschland durchgeführt hat, fällt es tatsächlich gut jedem Zweiten schwer, sich aus vergangenen Beziehungen zu lösen oder aber den Job aufzugeben. Gegenstände wie Klamotten loszulassen, damit hat rund jeder Dritte Probleme. Auffällig ist, dass die Generation der 18- bis 29-Jährigen Menschen etwas leichter gehen lassen kann als die übrigen Befragten. Sich von Gegenständen zu trennen, macht jungen Menschen hingegen tendenziell mehr zu schaffen als älteren.

Loslassen müssen wir nicht nur in Beziehungen, im Job oder bei Gegenständen, sondern auch bei Schicksalsschlägen, Fehlentscheidungen oder lästigen Gewohnheiten. Auch Lebensträume und Hoffnungen müssen manchmal aufgegeben werden. Doch warum fällt das manchen schwerer als anderen? Was passiert im Kopf, wenn jemand gezwungen ist, sich von etwas Liebgewonnenem zu trennen? Und was kann man machen, wenn einem das Loslassen partout nicht gelingt, man sich aber dennoch nach einem Neuanfang sehnt?

An Personen oder Dingen festzuhalten, ist zunächst einmal ein urmenschliches Bedürfnis. In manchen Situationen ist es sogar überlebenswichtig. So besitzen Säuglinge zum Beispiel in den ersten Monaten einen Klammerreflex, auch Moro-Reflex genannt. Als Reaktion auf bestimmte Umweltreize streckt das Baby dabei ruckartig alle viere von sich und spreizt die Finger weit auf, bevor es die Arme dann wieder vor der Brust zusammenzieht. Auch junge Faultiere, Koalas und Primaten besitzen diesen Reflex. Er dient vermutlich dazu, dass Jungtiere sich in Gefahrensituationen instinktiv an ihrer Mutter festklammern, um nicht aus dem Arm zu fallen. Nach dem dritten oder vierten Lebensmonat verliert sich der Reflex durch das heranreifende Nervensystem allmählich wieder.

Auch in Liebesbeziehungen verleitet die Natur Menschen oftmals zum "Klammern", wenn auch in diesem Fall eher im übertragenen Sinne. Das gilt vor allem, wenn ein Paar frisch verliebt ist. In dieser Phase ist das Gehirn nämlich auf Nachwuchs programmiert. Loslassen ist schlicht nicht gewollt.

Das zeigen etwa Untersuchungen der Anthropologin Helen Fisher. Gemeinsam mit Kollegen und Kolleginnen an der State University of New York analysierte sie 2005 die Hirnaktivität von Teilnehmern, während diese im Hirnscanner liegend ein Bild von ihrem Partner oder ihrer Partnerin zu sehen bekamen. Dabei entdeckten die Forschenden bei den verliebten Personen eine verstärkte Aktivität im ventralen Tegmentum, einer Hirnregion, die unter anderem für die Ausschüttung des Botenstoffs Dopamin verantwortlich ist. Ein hoher Dopaminspiegel sorgt bei uns für angenehme Gefühle - ein Mechanismus, der auch bei der Abhängigkeit von Drogen und anderen Süchten eine Rolle spielt. Je frischer ein Paar zusammen ist, desto mehr von dem Botenstoff schüttet das ventrale Tegmentum in aller Regel aus. (....)


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