Steffen Weisbrod

Dipl. Wirtsch.-Ing., Badalona

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Oktoberfest Blumenau

Ein Tusch von der Blaskapelle, dann grölt die Menge mit zum stündlichen „Prosit der Gemütlichkeit“. Wo man hinblickt fröhliche Gesichter, blonde Mädchen im Dirndl und fesche Burschen in Lederhosen und Tiroler Hüten. Man könnte meinen, man befände sich in einem alpenländischen Bierzelt. Doch weit gefehlt. Wir befinden uns auf dem Sommerfest in Blumenau, zehntausend Kilometer von München entfernt und im subtropischen Süden von Brasilien gelegen. Selbst die musikalische Untermalung ist rein „teutonisch“, auch wenn die Bands alle aus der Region stammen. Es dominieren so klassische Gassenhauer wie „Anton aus Tirol“, „Marmor, Stein und Eisen bricht“, „das Fliegerlied“ oder „Skandal im Sperrbezirk“. Dasselbe bei der Speisekarte: Es gibt verschieden Bratwürste vom Grill, Eisbein mit Sauerkraut und Knödel, Sauerbraten oder Gulasch mit Spätzle. Das Fassbier stammt entweder von drei regionalen Kleinbrauereien oder vom Hauptsponsor, der Brauerei Eisenbahn, die mittlerweile zum japanischen Multi Kirin gehört und nur noch die Nischenbiere im Stammhaus in Blumenau braut. Die Qualität der handwerklich gebrauten Biere ist hervorragend, einige wurden auch schon bei internationalen Craftbeer-Events ausgezeichnet. Leider wird das Bier nur in Plastikbechern ausgeschenkt. Das Sommerfest ist eine verkleinerte Ausgabe des Oktoberfestes in Blumenau und findet im Januar über vier Wochen verteilt jeweils donnerstags und freitags in den Hallen des Messe- und Kongresszentrums statt. Das Oktoberfest ist übrigens mit ca. 1 Million Besuchern nach München und Stuttgart das drittgrößte Bierfest der Welt.
Brasilien liegt mit einem jährlichen Prokopfkonsum von 67 Litern etwa gleichauf mit UK, ist mit einer Produktion von 140 Millionen Hektolitern im Jahr 2014 mittlerweile nach China und den USA der drittwichtigste Produzent auf der Welt und hat Deutschland bereits im Jahr 2008 beim Bierausstoß überholt. Der Markt wird von den drei internationalen Multis AB InBev, Kirin und Heineken dominiert, die schwerpunktmäßig ein relativ dünnes und leicht süßliches Lagerbier produzieren, das als „Tipo Pilsen“ verkauft wird, aber mit der Pilsener Brauart rein gar nichts gemein hat. Mittelgroße Brauereien gibt es in Brasilien überhaupt nicht und Klein- und Gasthausbrauereien finden sich bisher - von wenigen Ausnahmen abgesehen - nur in den Hauptstädten der südlichen und südöstlichen Bundesstaaten.
Die große Ausnahme bildet die Region Blumenau. Die von deutschen Einwanderern 1850 gegründete Stadt hat derzeit 330.000 Einwohner und liegt im Flusstal des Itajaí 50 km vom Atlantik entfernt. Die Region nennt sich stolz „Vale Europeu“ (Europäisches Tal) und besitzt derzeit 11 Kleinbrauereien, im größeren Umkreis sogar über 20. Fast alle diese Brauereien orientieren sich am Reinheitsgebot und werden von Braumeistern geführt, die ihre Ausbildung in Deutschland gemacht haben. Fantasiereiche Namensschöpfungen, wie „Bierland“, „Heimat“, „Schornstein“ oder „Wunderbier“, lassen den Besucher aus Deutschland schmunzeln. In Blumenau gibt es auch ein Bier- und Brauereimuseum und die Höhere Fachschule für Bier und Malz („Escola Superior de Cerveja e Malte“). Diese ist die einzige Fachakademie für die Aus- und Weiterbildung von Bierbrauern in Südamerika und bildet auch zum Bier Sommelier aus, bietet Beratungsdienstleistungen im Anlagenbau und Labordienstleistungen und mikrobiologische Analysen an. Wenn man so will eine brasilianische Version der Doemens Akademie.
Da es in der Region immer mehr handwerkliche Brauereien gibt mit einem breiten Sortiment an Bierstilen und es aus brasilianischer Produktion nur Pilsener Malz gibt, haben vor zwei Jahren die beiden Dozenten der Brauereifachschule, Rodolfo Rebelo und Walter Borelli Polzl, eine Kleinmälzerei in Blumenau eröffnet. Die beiden sind Chemieingenieure und haben bei Doemens (Rebelo) und dem VLB Berlin (Polzl) eine Ausbildung zum Brauer und Mälzer gemacht. Die Mälzerei besteht derzeit aus vier selbstgebauten Keimkästen und zwei Darrtrommeln und hat eine Monatskapazität von fünf Tonnen. Zum Sortiment gehören u.a. Pale Ale, helles und dunkles Weizenmalz, Carapils und Münchner Malz, das sie Blumenauer I und II nennen.
Nur wenige Meter von der Malteria Blumenau entfernt liegt die Brauerei Container, die unter den Blumenauer Mikrobrauereien mein absoluter Favorit ist. Die Brauerei wurde erst 2012 gegründet und hat sich konsequent nur auf britische Bierstile spezialisiert. Das trotzige Motto der Brauerei lautet übersetzt „ein Englisches Bier auf dem Feld der deutschen Brauereien“. Alle Biere (Pale Ale, Blond Ale, IPA, Porter und British Lager) zeichnen sich durch eine hohe Stiltreue und handwerkliche Qualität aus. Die Brauerei kooperiert außerdem mit der Windsor & Eton Brewery im Westen von London. Die Rezeptur des Blond Ales ist in beiden Brauereien identisch und heißt bei Container „Wembley“ und bei W&E „Maracanã“. Das Pilsener Malz stammt von einer brasilianischen Großmälzerei, das meiste Spezialmalz derzeit von Weyermann. Im Brauereigebäude befindet sich auch noch ein mit viel Liebe zum Detail eingerichteter Pub und an den Wochenenden gibt es meistens Livemusik.
Etwa 12 Millionen Brasilianer sind deutscher Abstammung und ca. 1,5 Millionen sprechen ein meist dialektgefärbtes Deutsch als erste oder zweite Muttersprache. In den südlichen Bundesstaaten Santa Catarina und Rio Grande do Sul stellen Deutschbrasilianer knapp 40 % der Bevölkerung. In einzelnen Städten liegt der Anteil noch deutlich höher. In der Region Blumenau gibt es mehrere kleine Gemeinden, in denen Deutsch sogar zweite Amtssprache ist, u.a. in Pomerode.
Pomerode – der Name leitet sich von „Pommern-Rodung“ ab – gilt als die deutscheste Stadt Brasiliens und liegt 30 km nordöstlich von Blumenau. 92 Prozent der knapp dreißigtausend Einwohner sind Nachfahren von Siedlern aus dem damals preußischen Pommern, die die Stadt 1861 gegründet haben. Nachnamen wie Schröder, Schumann, Lemke oder Schmidt sieht man an jeder Ecke. Selbst die staatlichen Schulen sind zweisprachig und alle Beschriftungen im öffentlichen Leben sind auf Deutsch und Brasilianisch. Es gibt mehrere Schützenvereine und Volkstanzgruppen und wer Lust auf eine Schwarzwälder Kirschtorte oder einen Apfelstrudel hat, geht ins Café „Tortenparadies“. Dank mehrerer tausend Industriearbeitsplätzen ist die Stadt relativ wohlhabend und hat sogar nach Saõ Paulo den zweitgrößten Zoologischen Garten Brasiliens.
So deutsch die Seele der Pomeroder sein mag, so ausgelassen brasilianisch ist deren Festlaune: Während zehn Tagen im Januar feiern sie das Pommernfest (Festa Pomerana). 2016 fand es vom 14. bis 24. Januar statt, so dass sich ein Besuch problemlos mit dem Sommerfest verbinden lässt. Das Pommernfest ist im Gegensatz zum Blumenauer Pendant weit mehr als ein Bierfest. Es ist auch eine Leistungsschau der ortsansässigen Industrie-, Gewerbe- und Handwerksbetriebe. Es finden mehrmals täglich Umzüge statt und Darbietungen, wie Fischerstechen, Seilziehen, Biertrinken und Holzsägen um die Wette. Höhepunkt ist die Wahl der Festkönigin und der Prinzessinnen. Und natürlich dürfen auch das deftige Essen und das heimische Bier nicht fehlen. Neben der ortsansässigen Brauerei „Schornstein“ schenken auch noch die Brauerei „Heimat“ ihr Lindauer Pils und die Brauerei „Wunderbier“ aus Blumenau verschiedene Sorten aus. Industriebier gibt es auf dem Pommernfest erfreulicherweise nicht.