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Kelvin muss bleiben!

In den Acht­zi­ger­jahren stand der Würz­burger Stadt­teil­verein SV Hei­dings­feld einige Jahre ganz oben in der stadt­in­ternen, fuß­bal­le­ri­schen Nah­rungs­kette. Ein gewisser Werner Lorant führte den SVH als Spie­ler­trainer bis in die damals dritt­klas­sige Bay­ern­liga, zwei Mal stand der Klub in der DFB-Pokal-Haupt­runde. Im Angriff schoss Bern­hard Winkler, später Bun­des­liga-Tor­jäger für 1860 Mün­chen und vorher Deut­scher Meister mit dem 1.FC Kai­sers­lau­tern 1991, Tor um Tor. Heute sind die Ziele der Grün-Weißen aus dem ​„Städtle", wie der Stadt­teil lie­be­voll genannt wird, ganz andere: ​„Kelvin muss bleiben!", heißt seit letzten Herbst die Parole. Ein ganzer Verein kämpft mit allem, was er hat, gegen die dro­hende Abschie­bung ihrer ​„Nummer 19".

Plötz­lich standen acht baye­ri­sche Poli­zei­be­amten im kleinen Zimmer des Nige­ria­ners Osaivbie Eko­giawe in der soge­nannten Gemein­schafts­un­ter­kunft in Würz­burg, auf einem ein­ge­zäunten ehe­ma­ligen Kaser­nen­ge­lände. Eko­giawe, von allen nur ​„Kelvin" genannt, kam 2018 mit 16 Jahren als Geflüch­teter nach Deutsch­land. Ein Jahr später schloss der talen­tierte Fuß­baller sich dem SV Hei­dings­feld an, spielte dort erst in der Jugend und anschlie­ßend für die 1. Mann­schaft in der Kreis­liga. In Nigeria lernte er auf der Straße das Fuß­ball­spielen und wurde dann dort für den ​„Copa Coca-Cola", ein Camp für die besten Talente, ent­deckt. Im letzten Jahr begann der heute 21-Jäh­rige eine schu­li­sche Aus­bil­dung in der Pflege, nachdem er seinen Mit­tel­schul­ab­schluss erfolg­reich absol­vierte. Eine Arbeits­er­laubnis wurde ihm, seit er als Asyl­su­chender im Land ist, nicht erteilt.

Eine Odyssee beginnt

Im Juni 2022 stellte er einen Antrag auf Auf­ent­halt und gab, wie dazu erfor­der­lich, seinen nige­ria­ni­schen Pass ab. Die Aus­län­der­be­hörde reagierte mit dem Entzug der Dul­dung - denn nur wer keinen gül­tigen Pass hat, bekommt eine Dul­dung - und ord­nete im Sep­tember die Abschie­bung an, ohne den Antrag auf Auf­ent­halt über­haupt bear­beitet zu haben. ​„Kelvin" ist in eine Falle getappt, erklärt dessen Anwältin Mara Ortler, eine Spe­zia­listin auf dem Gebiet Migra­ti­ons­recht. Sie sieht dabei eine Unter­wan­de­rung des Auf­ent­halts­ge­setzes. Nur mit Eil­an­trägen konnte die Abschie­bung 2022 noch ver­hin­dert werden.

2023 ging die Odyssee weiter. Der Baye­ri­sche Ver­wal­tungs­ge­richtshof änderte die Ent­schei­dung des Würz­burger Ver­wal­tungs­ge­richts als höher gestellte Instanz ab und ent­schied im Februar: Der Fuß­baller des SV Hei­dings­feld darf grund­sätz­lich abge­schoben werden. Im März wurde der Antrag auf Auf­ent­halt offi­ziell durch die Zen­trale Aus­län­der­be­hörde der Regie­rung Unter­franken abge­lehnt. Grund: die feh­lende Dul­dung.

Die Wucht des Auf­schreis ist gewaltig

Als Eko­giawe im ver­gan­genen März wieder den Rasen im Sport­park Herieden, der Heim­stätte des SV Hei­dings­feld, betrat, trug er ein Shirt mit der Auf­schrift ​„Ich bleibe hier". Alle seine Team­kol­legen trugen T‑Shirts mit der Nummer 19, ​„Kel­vins" Nummer, die er auch des­halb trägt, weil eines seiner Vor­bilder sie trägt: der Lever­ku­sener Moussa Diaby. Vor dem Anpfiff im Kreis­liga-Derby gegen die TSG Esten­feld zeigt die Mann­schaft ein Banner mit ​„Kelvin muss bleiben". Längst schwappte eine unge­ahnte und unge­wöhn­liche Soli­da­ri­täts­welle über die Stadt. Los­ge­treten vom SVH.

Schon zwei Tage später drohte ihm, zur Abschie­bung im Flieger nach Nigeria zu sitzen. Unter der Woche folgten spontan, nur zwölf Stunden nach der Fest­nahme, 150 Men­schen dem Demons­tra­ti­ons­aufruf der Hei­dings­felder und der See­brücke Würz­burg. Vor dem Ver­wal­tungs­ge­richts­ge­bäude, in dem gerade über Eko­giawes Abschie­bung ver­han­delt wurde, skan­dierten die Demons­tranten laut­stark ​„Kelvin bleibt". Tau­sende unter­zeich­neten in diesen Tagen die Online-Peti­tion ​„Osaivbie bleibt". Die Wucht es Auf­schreis ist gewaltig.

Der Baye­ri­sche Fuß­ball­ver­band bleibt tatenlos

Auch der SV Hei­dings­feld wird den Kampf um seinen Spieler nicht auf­geben, erklärt Vor­ständin Annette Göhler. ​„Bei uns im Verein wird Inte­gra­tion gelebt", sagt sie. 2017 wurde der SVH für seine Inte­gra­ti­ons­ar­beit mit einem Preis der DFB-Stif­tung Egi­dius Braun aus­ge­zeichnet. Ansonsten käme von den Ver­bänden, wenn es wichtig werde, aller­dings herz­lich wenig, sagt Göhler. Wäh­rend sich viele geg­ne­ri­sche Teams in der Kreis­liga sowie die Spit­zen­sport­teams der Stadt zu Soli­da­ri­täts-Aktionen für ​„Kelvin" bereit erklärten, bleibt der Baye­ri­sche Fuß­ball­ver­band tatenlos. ​„Wir bekommen als Verein immer gesagt, wir sollen Inte­gra­tion betreiben. Aber Unter­stüt­zung dabei gibt es von den Ver­bänden keine", sagt Göhler. Für den SV Hei­dings­feld ist das Bemühen um ​„Kelvin" dabei nicht nur der Kampf um einen ein­zelnen. ​„Wir wollen mit Kel­vins Geschichte darauf auf­merksam machen, wie viele sol­cher Fälle es gibt", sagt Göhler.

Der viel­leicht letzte Stroh­halm ist nun der Peti­ti­ons­aus­schuss im Baye­ri­schen Landtag. Die nächste Aus­schuss­sit­zung findet am Mitt­woch, den 19. April, statt. Bis dahin läuft noch die zweite Online-Peti­tion. ​„Ich möchte Frei­heit", sagt ​„Kelvin" selbst. Er ist über­wäl­tigt von der Zunei­gung und der Soli­da­rität der Würz­burger. ​„Das macht mich sprachlos. Ich weiß gar nicht, wie ich den Leuten jemals danken kann."

Frei­heit ver­spürt er der­zeit nur auf dem Fuß­ball­platz. Er ver­passt kein Trai­ning, kein Spiel. Neu­lich, erzählt er, sei es zu einer beson­deren Begeg­nung in der Stra­ßen­bahn gekommen. ​„Es kamen fünf Kinder auf mich zuge­rannt, die sagten: du bist doch der Kelvin. Du musst bleiben!" Er ant­wor­tete den Kids: ​„Ich bleibe!"

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