Thomas Mars, Laurent Brancowitz, das neue Phoenix-Album Ti Amo hat einen sommerlichen Italo-Disco-Vibe. Dabei wurde es in Zeiten aufgenommen, in denen der Terror vermehrt Frankreich traf, nämlich auch während der Anschläge auf das Bataclan in Paris. Gab es eine spezielle Intention, in Zeiten von Angst und Hass in Europa solche Musik aufzunehmen?
Laurent Brancowitz: Keine Intentionen.
Thomas Mars: Nur Konsequenzen.
LB: Nichts, was wir machen, ist intentional. Wir folgen dem Kompass unserer Herzen. Dieses Mal brachte er uns zu diesem sehr sonnigen Ort. Ich denke aber schon, dass es eine Konsequenz dessen ist, was geschehen ist. Ich denke nicht, dass wir solch ein Album vorher, in „normaleren" Zeiten, hätten machen können. Mars: Da gibt es diesen rebellischen Zustand, den viele Künstler haben. Man sucht nach etwas, testet seine Grenzen aus. Für uns musste dieser Zustand dieses Mal ein offener, leichter sein, ein vergnüglicher und hedonistischer.
Ist das Album damit auch ein Ruf nach Liebe in solchen Zeiten?
TM: Ja, aber der geht nicht an die Menschen da draußen, sondern nur an uns. Wir erhoffen uns keine Reaktion, keine Antwort auf diesen Ruf. Es gab allerdings schon den Drang, diesen Schritt zu machen. Auf seine Art ist es also eine Reaktion auf die aktuellen Zeiten.
Woher kommt die Faszination für Italien?
LB: Von vielen Seiten. Es gibt die familiäre, denn Christian [Mazzalai] und ich sind beide Halbitaliener. Thomas' Familie ist halb italienisch. Kann man das so sagen?
TM: Ja, das kann man.
LB: Dann ist da noch die Kultur. Die großartige Musik, die nicht sehr viele Menschen in Frankreich kennen. Wir haben einiges entdeckt in den letzten zehn Jahren: Lucio Battisti, Franco Battiato und so weiter. Das ist sehr, sehr schöne Musik. Zudem die Filme, die Kunst.
Sind das Dinge, die in Frankreich nicht sehr bekannt sind?
LB: Nein, nicht sehr.
Deutschland hat im Vergleich eine längere Tradition des Italienfetischs.
LB: Ja, das stimmt.
TM: Wir mögen es, wenn sich die Dinge vermischen. Unsere Musik
entsteht aus Langeweile und dem Willen, jegliche angeborene Kultur zu
zerstören. Wir vermischen diese Dinge von Anfang an. Wenn Sie „ti amo“
mit einem deutschen Akzent aussprechen, dann ist da für mich eine
Verknüpfung. Das ist beinahe das Deutsch meiner Mutter. Wenn ich „ti
amo“ höre, dann nie so, wie Italiener es aussprechen würden, sondern
immer in dieser durch das Deutsche verzerrten Version. Dass sich Dinge
vermischen und eine eigene Sprache entsteht, das ist es, was wir
erreichen wollen.
Ist das auch der Grund, warum im Titelstück „ti amo“ in verschiedenen Sprachen gesungen wird?
TM: Genau.
LB: Hinzu kommt, dass wir genug haben von der amerikanischen und britischen Dominanz über die europäische Psyche.
Das wiederum ist eine sehr französische Aussage.
LB: Vielleicht. Aber es sollte eine kontinentaleuropäische sein. Wir müssen uns dieser Monokultur widersetzen. Es ist wie bei der Landwirtschaft: das Monsanto des Geistes. Damit meine ich, dass in der heutigen Zeit die Menschen nur noch über dieselben Dinge reden und scheinbar alle derselben Meinung sind. Deshalb lieben wir Kraftwerk. Sie sind vielleicht unser wertvollster Einfluss. Sie haben es geschafft, ihr eigenes Universum, ihre eigene Mythologie zu erschaffen. Sie sprachen nicht von Cadillacs, sie sprachen von den Träumen der Menschen. Und sie hatten ganz eigene Träume. Das ist es, was wir auf bescheidene Art erreichen wollen.
TM: Und sie haben ihre Texte großartig übersetzt. Tour de France ist in perfektem Französisch eingesungen. Mit der Übersetzung funktioniert das ähnlich wie bei Ti Amo.
LB: Ich bin mir ganz sicher: Tour de France ist Kraftwerks Ti Amo.
Kommen wir nochmals zurück zu den verschiedenen Kulturen. Monsieur
Mars, Sie sind halb Deutscher, Monsieur Brancowitz, Sie halb Italiener.
TM: Er ist auch halb Deutscher.
LB: Ein bisschen Französisch ist trotzdem noch drin.
Natürlich. Monsieur Mars, ihre Frau Sofia Coppola kommt aus einer
italienisch-amerikanischen Familie. Gibt es in diesem Zusammentreffen
verschiedener Sprachen und Kulturen Eigenheiten, die Sie aus diesen
einzelnen Kulturen ziehen, die es Ihnen besonders angetan haben?
TM: Was schön ist: Wir denken schon gar nicht mehr in kulturellen
Kategorien. Ich lebe in New York City, und die Sache die mich am
meisten beeindruckt ist, dass Deutsche, Italiener, Franzosen dort immer
davon reden, was denn so die kulturellen Unterschiede seien. Wir dagegen
versuchen uns zu verlieren, alles zu vermischen und das alles nicht zu
sehen. Was manchmal sehr hart ist, denn das Festival zum Beispiel, bei
dem wir uns gerade aufhalten, ist unglaublich deutsch. Aber wir wollen
gerne die Welt als ein und denselben Ort wahrnehmen. Ansonsten zieht man
aus diesen verschiedenen Kulturen eine ständige Neugier. Es ist eine
ständige Bereicherung, und das ist nicht bloß theoretisch so, es ist ein
Fakt.
LB: Wir mögen die Vermischung von Kultur. Wir mögen es, wenn zum
Beispiel Leute aus Liverpool versuchen, Rhythm’n’Blues zu machen, wenn
David Bowie versucht, ein Schwarzer zu sein, oder wenn ein Italiener
versucht, New Yorker Disco-Musik zu machen. Wir mögen es, wenn die
Sachen verschwimmen. Manchmal passiert das, und die Leute versuchen,
etwas eigenes daraus zu machen. Das ist das Beste. Manchmal ist es aber
auch das Schlechteste.
Wenn man sich die Videos zu den Singles Ihres Albums anschaut,
fragt man sich unweigerlich: Wie viel an dieser Italienfaszination ist
eigentlich blanke Ironie?
TM: Die Ironie ist verschwunden. Mit der Zeit wird sie zu echter
aufrichtiger Liebe. Die Intention ist nie, sich über alles lustig zu
machen. Es geht darum, zu zeigen, wie wir zu diesem Punkt gekommen und
darin aufgegangen sind. Es kann sein, dass manche Menschen das durch
eine zeitgeistige Brille so sehen, aber mit der Zeit verblasst das. Was
übrig bleibt, ist die ehrliche Emotion. Das ist das Einzige, das die
Zeit überdauert. Für mich ist es leichter, mich von Dingen inspirieren
zu lassen, die nicht perfekt und fertig sind. So dass man das Gefühl
hat, es verbessern zu können. Man schaut sich etwas an, das irgendwie
ein bisschen daneben ist, nehmen wir zum Beispiel Sanremo und das
dortige Festival della Canzone Italiana. Dort sieht man etwas,
das einen bewegt, aber man fühlt, das kriegt man besser hin. Man kann es
stehlen und so weit beeinflussen bis man denkt: Es ist perfekt. Als
Musiker denken wir dann: „Es ist fertig, es ist perfekt gemacht, weiter
geht’s!“ Wenn man von solch perfekten Alben wie What’s Going On oder Pet Sounds inspiriert ist, ist es viel schwerer. Da würde ich am liebsten alle Instrumente verbrennen und mit etwas anderem anfangen.
Wieso dauert es immer ziemlich lange, bis ein neues Phoenix-Album
entsteht? Weil Sie auch hier immer komplett von vorne anfangen?
TM: Ja. Wir fangen komplett von vorne an.
LB: Wir fühlen uns jedes Mal wie Anfänger. Es ist dann erst mal
absurd, dass wir nicht in der Lage sind, professionelle Musik zu
produzieren, nach all den Jahren der Übung. Das ist aber so, weil wir
immer neue Regeln finden wollen. Wenn wir eine Weile das Selbe gemacht
haben und dann beim Mastering sind, wird uns langweilig und wir
probieren etwas Neues aus. Wir probieren jedes Mal ein neues Rezept aus,
und es dauert dann halt, die Pasta Carbonara zu kochen.
TM: Das hängt auch an Fehlern. Wir müssen so viel produzieren,
dass Fehler passieren, dass glückliche Zufälle entstehen auf dem Weg.
Das macht es uns möglich, herauszufinden, was gut ist. Und das ist eine
schwierige Aufgabe.
Wie lange hat es gedauert, das Konzept oder die Idee für dieses Album zu finden, um dann mit dem Songwriting zu beginnen?
LB: Nach einem Jahr hatten wir diesen italienischen Vibe. Aber es
gab kein Konzept, wir haben nur gemerkt, dass sich eine Struktur
ergeben hat. Die haben wir dann benutzt, um die Grundpfeiler des Albums
zu bauen. Wir folgen unserem Instinkt, haben keine Pläne. Wenn wir mal
Pläne machen, endet das immer in der Katastrophe. Jetzt versuchen wir,
gar keine Pläne mehr zu machen.
Monsieur Mars, Ihre Frau nutzt häufig Phoenix-Songs in ihren Filmen, so auch in ihrem neuesten Werk, Die Verführten. Man könnte sie als Fan der Band bezeichnen. Wie sehr würden Sie sich umgekehrt als Fan ihrer Filme bezeichnen?
TM: Ja, ich bin Fan. Es fühlt sich an, als sei jeder Film nur für
mich gemacht. So fühlte ich mich schon seit dem ersten, den ich sah.
Wenn Sofia unsere Musik für ihre Filme benutzt, dann macht es das auch
irgendwo schwer für uns. Es ist, als ob man sich selbst im Film sieht,
dann sieht man ihn anders. Man denkt daran, wie es hinter den Kulissen
aussieht, wie der Entstehungsprozess des Films war. Das macht es etwas
vertrackter. Es ist eine andere Art von Genuss jetzt. Nicht der Genuss
eines Fans, aber der Genuss, etwas von Beginn an mitzubekommen und daran
teilzuhaben. So wie wir auch Musik machen – wir hören uns die Songs
zehntausend Mal an, also wissen wir nicht, wie es sich anhört, wenn man
sie zum ersten Mal hört. Ich wünschte, wir wüssten das, aber es ist
nicht möglich.
Können Sie zu Hause mit Ihrer Frau über Ihre Arbeit reden?
TM: Das ist das gleiche wie bei der Band. Man wächst zusammen
auf, man hat den gleichen Geschmack. Wenn man sich zusammen entwickelt,
spricht man dieselbe Sprache, die Einflüsse sind dieselben. Es fühlt
sich sehr natürlich an, man braucht keinen großartigen Austausch.
Manchmal schaue ich zu, wie Sofia Recherchen für ihre Filme betreibt. Da
sehe ich Referenzen, die dann unsere Referenzen beeinflussen. und
manchmal beeinflusst unsere Musik das Skript einer Szene. Es ist also
überhaupt nicht wie bei einem ganz normalen Job.