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Kommentar: Mündige Sportler statt Machogehabe

Warum es richtig ist, dass die auf dem Fußballplatz gegen Rassismus protestierenden Bundesligaprofis nicht bestraft werden dürfen.


Der Kniefall, das Entblößen der Brust, das Spielen mit Trauerflor - es sind Gesten einer großen Verletzlichkeit; Gesten, die im Milliardengeschäft Fußball selten sind. Üblicherweise dominieren Machogehabe und Breitbeinigkeit.


Am vergangenen Spieltag war das anders: Gladbachs Marcus Thuram ging in die Knie und hielt mit gesenktem Kopf andächtig inne. Der Dortmunder Jadon Sancho machte wie Teamkollege Achraf Hakimi seine Brust frei und forderte Gerechtigkeit für George Floyd, „Justice for George Floyd", so lautete die Schrift auf seinem Unterhemd. Schalkes Weston McKennie spielte mit Trauerflor und der Kölner Anthony Modeste ballte beim Torjubel nicht die Fäuste, sondern zeigte die helle Innenfläche seiner rechten und die dunkle Außenseite seiner linken Hand.



Ihr Gedenken galt dem US-Amerikaner George Floyd, der von einem weißen Polizisten getötet worden war. Wieder Polizeigewalt, wieder ein Fall von Rassismus - und die Spieler zeigten sich verwundbar und still.


Politische Parolen sind im Fußball zwar verboten. Dies aber waren humane Botschaften, keine politischen Statements: Der Mensch Marcus Thuram fiel nach seinem Treffer auf die Knie, nicht der Fußballstar; nicht der Torschütze, sondern der Mensch Achraf Hakimi riss das Trikot beiseite.


Dementsprechend ist es richtig, wenn der Kontrollausschuss des DFB keine Anklage gegen die Fußballer erhebt und sie von DFB-Präsident Fritz Keller für ihre Haltung gelobt werden. Es ist richtig, wenn auch der Weltverband Fifa dafür plädiert, Solidaritätsbekundungen von Fußballern im Zusammenhang mit dem Tod von George Floyd nicht zu bestrafen, sondern zu begrüßen


Eine Bestrafung wäre in der Tat absurd: Mündige Spieler prangern Rassismus und Gewalt an - und der Verband bestraft sie für eine Haltung, die er in diversen Antirassismus-Kampagnen bewirbt. Der Slogan „Sag Nein zu Rassismus" werde von der Liga und jedem im Fußball gepredigt, sagte Schalkes Weston McKennie in einem Interview mit dem Magazin „Forbes", nachdem er am Samstag einen Trauerflor mit der Aufschrift „Justice for George" getragen hatte. Er habe nicht geglaubt, dass das ein Problem sein könne, werde aber alle Konsequenzen tragen.


Weston McKennie, Jadon Sancho, Achraf Hakimi und andere Sportlerinnen und Sportler, die Zeichen gegen Rassismus und Polizeigewalt setzen - sie sind Vorbilder, keine Täter. Sie haben Applaus verdient, keine Strafe.


Und sie verdienen es, dass wir zuhören: Es geht nicht nur um den Rassismus und die Polizeigewalt in den USA - es geht auch um den Rassismus in unserer Gesellschaft, in unserem Alltag und auch in den Fußballstadien.


Auch McKennie hat Rassismus erlebt: Mehrfach wurde er mit Affenlauten bedacht, seit er 2016 aus den USA zu Schalke 04 wechselte. Auch wenn er nicht gerne über die eigenen Erfahrungen und Rassismus im Allgemeinen spricht: Nur so habe man die Kraft, etwas zu verändern.


Auf Twitter ergänzte der 21-Jährige: „Wir müssen für das einstehen, woran wir glauben, und ich glaube, dass es an der Zeit ist, dass wir gehört werden." Hören wir also zu.


Von Steffen Herrmann Zum Original