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Streitschlichter am Gartenzaun: Vermitteln statt urteilen

So mancher Konflikt zwischen Nachbarn landet nicht vor Gericht, sondern bei einem der 400 Schlichter in Rheinland-Pfalz. Ihre Arbeit ist nicht immer leicht – und verändert sich.

Mal ragt eine Birke über den Zaun, mal ist es eine fremde Katze, die durch den Garten streunt - Anlässe zum Streit zwischen Nachbarn gibt es viele. In Rheinland-Pfalz sorgen rund 400 ehrenamtliche Schlichter dafür, dass der Streit am Gartenzaun nicht eskaliert. Die Zahl der Ehrenamtler ist seit Jahren konstant. Ihr Aufgabenfeld verändert sich dagegen, wie die Landesvereinigung des Bundes Deutscher Schiedsmänner und Schiedsfrauen (BDS) berichtet.

Zwist zwischen Nachbarn beschäftigt immer wieder Polizei, Gerichte - und eben Schlichter: Eine 41 Jahre alte Frau aus Edenkoben verpasst Anfang März beinahe eine Beerdigung, weil ihr Nachbar mit seinem Auto die Einfahrt der Frau blockiert. Anstatt das Auto umzuparken, schreit der 72-Jährige seine Nachbarin an und beleidigt sie. Als er dann doch in das Auto steigt, bleibt er rund 30 Minuten in dem Wagen sitzen - ohne wegzufahren.


Als ehrenamtlicher Schiedsmann schlichtet Jörg Walter solche Streitigkeiten seit fünf Jahren. Der 69 Jahre alte Mann ist Schiedsmann für rund 100 000 Menschen in Kaiserslautern. Auf seinem Schreibtisch landen mitunter Fälle von Nachbarn, die seit über 30 Jahren um eine Hecke streiten. „Dann muss man schauen, dass sie am Anfang nicht aufeinander losgehen", sagt Walter.


Rund 50 Verhandlungen führt er jedes Jahr. „Das Gute am Schiedsverfahren ist, dass die Menschen wieder miteinander sprechen", sagt er. Oft fehle es an Kommunikation. Als Schlichter spricht Walter selbst kein Urteil, sondern vermittelt nur. Ziel ist ein Vergleich. „Die Parteien versuchen selbst zu einer Lösung zu kommen."


Wie Kaiserslautern hat jede Stadt und Gemeinde eine Schiedsperson. Sie ist in der Regel älter als 30 Jahre und übt ihr Ehrenamt für mindestens fünf Jahre aus. Ein Schlichtungsverfahren kostet zehn Euro. Wird ein Vergleich geschlossen, fallen weitere zehn Euro an. Davon erhält die Schiedsperson 60 Prozent als Aufwandsentschädigung.


„Der Nachbarstreit war und ist heute immer noch ein großer Bestandteil der Aufgabenfelder des Schiedsamtes", erklärt Matthias Wagner. Seit 2013 vertritt er als Vorsitzender der rheinland-pfälzischen BDS-Landesvereinigung die rund 400 ehrenamtlichen Schlichterinnen und Schlichter im Land.


Die Gerichte in Rheinland-Pfalz freuen sich über die Arbeit der Schlichter - denn sie nimmt ihnen Arbeit ab: Bei nachbarschaftlichen Streitfällen dürfen die Streithähne nur dann klagen, wenn sie vorher bei einem Schlichter versucht haben, den Streit einvernehmlich beizulegen. Das schreibt das rheinland-pfälzische Landesschlichtungsgesetz vor. „Das Schiedsamt ist die klassische Instanz vor einem gerichtlichen Verfahren", sagt Wagner.


Laut Justizministerium haben Bürger im Jahr 2017 rund 1470 Anträge auf Schlichtungsverhandlungen gestellt. „Die Erfolgsquote in Strafsachen betrug circa 35 Prozent, in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten rund 38,5 Prozent", teilt die Mainzer Behörde mit. Zahlen aus dem vergangenen Jahr liegen noch nicht vor.


Viele der ehrenamtlichen Schlichter sind juristische Laien. „Sie kommen aus allen Schichten der Gesellschaft", sagt Matthias Wagner. Nach Angaben des Justizministeriums sind sie deswegen verpflichtet, sich mit „einschlägigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften vertraut zu machen". Für den Schiedsmann Jörg Walter geht es in seinen Gesprächen mit den Streitparteien aber vor allem um „den gesunden Menschenverstand", wie er sagt. Dann sei es auch möglich, Vereinbarungen zu treffen, die nicht im Nachbarrecht stünden.


Nachwuchssorgen haben die Schlichter nicht. Nach übereinstimmenden Angaben des Justizministeriums und des BDS ist ihre Zahl in den vergangenen Jahren weitgehend unverändert geblieben.


Schon jetzt verändern sich die Fälle. Immer öfter würden Schlichter wegen „Internetgeschäften und Internetbeleidigungen" eingeschaltet, sagt BDS-Chef Wagner. Auch soziale Medien spielten eine größere Rolle. Diesen Trend spürt auch der Pfälzer Schlichter Jörg Walter: „Beleidigungen und Ehrverletzungen im Internet häufen sich gerade." Der 69-Jährige will sein Ehrenamt trotzdem noch bis 2024 ausüben: „Einen Streit zu befrieden, ist einfach ein Erfolgserlebnis."

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