Der Zeitpunkt ist geschickt gewählt, um die zweite Staffel von „Shadow and Bone" zu lancieren. Die Fantasy-Serie kehrt im März 2023 beinahe konkurrenzlos zurück. Ein Streaming-Krieg wie im Jahr zuvor zwischen „Herr der Ringe: Die Ringe derMacht" und „" bleibt der Romanadaption nach Leigh Bardugo erspart. Trotz vielversprechender Auftaktlorbeeren bei der ersten dürfte sich die zweite Staffel von „Shadow and Bone" dennoch bald im Serienmittelfeld einreihen - denn die Macher haben eine entscheidende Sache vergessen: Durchatmen.
Der Krieg geht weiterDie kampfgeschwächte Truppe um die Auserwählte Alina () hat sich auf ein Schiff in Richtung der neutralen Inselhauptstadt Ketterdam geschlichen, um Alinas Kräfte weiter zu trainieren und so der bedrohlichen Schattenflur ein Ende zu setzen. Doch der vermeintlich geschlagene General Kirigan (Ben Barnes) hat überlebt und sinnt, ausgestattet mit der Macht der Schattenflur, auf Rache an der Grisha, die mit ihrem Körper die Elemente kontrollieren kann. Es beginnt ein Wettlauf um die beiden verbleibenden Kräftemehrer, durch die Grishas ihre Fähigkeiten um ein Vielfaches steigern können. Doch wie weit ist Alina bereit, für den Weltfrieden zu gehen, wenn sie ihren Jugendfreund Mal () dafür zurücklassen muss?
Nahtlos führt die zweite Staffel auf den namenlosen Kontinent zurück, auf dem zu Land wie zu Wasser die Nationen ihren jahrzehntelangen Konflikt weiterführen. Die Verbitterung über diesen Dauerkriegszustand, ausgelöst durch die Freisetzung der alles verschlingenden Schattenflur und ihrer Monster, ist Arm wie Reich anzumerken. Alle kämpfen um ihr Überleben, auch gesellschaftlich.
Die zunächst vielversprechende Station in der neutralen Handelsmetropole Ketterdam entpuppt sich für Alina und ihre kleine Gefolgschaft schnell als Falle, denn die Mächtigen sehen in ihr bald eine ähnlich große Bedrohung wie in General Kirigan.
Düsterer heißt nicht gleich besserDie Schöpfer von „Shadow and Bone" gönnen Zuschauer wie Figuren nur eine kurze, trügerische Verschnaufpause, um schon mit dem Staffelauftakt einen ambitionierten Erzähltakt vorzugeben. Alte Bande werden gebrochen, neue Allianzen geschmiedet. Die in den ersten acht Episoden etablierten Machtverhältnisse verschieben sich teils abrupt, was meist zwei Gründe hat: Entweder konnte die Truppe um die messianische Alina jemand Neues für ihre Friedensmission gewinnen - oder der kühl kalkulierende Dieb Kaz Brekker (Freddy Carter) lässt Erpressungen und Sprengstoff für sich sprechen, um seine traumatische Kindheit in Gold aufzuwiegen.
Erzählerisch setzt Staffel 2 eher auf Sicherheit, weshalb auch scheinbar ausweglose Situationen selten durch versteckte Raffinesse und oft durch plumpe Ex-Machina-Helfer gelöst werden. Die Bedrohung durch eine hochkomplexe, politisch korrumpierte Gesellschaft wird durch den spontanen Altruismus einiger Fremder abgeschwächt. Trotzdem wirkt alles unglaublich kompliziert, was eher an einen überambitionierten Heist-Film als an clevere Fantasy a la „Game of Thrones" erinnert. Optisch werden wesentlich düstere Töne als in der ersten Staffel angeschlagen, was sich allerdings nicht immer mit dem Erzählton deckt.
Keine Zeit zum DurchatmenBei aller Düsternis scheinen jedoch auch kleine Lichtblicke durch. Jessie Mei Li darf neben ihrer kraftvollen Seite als angehende Anführerin in der Zweisamkeit mit auch ruhigere Töne anschlagen. So finden sich die beiden nach der Ankunft in Ketterdam in einer traumhaften Suite mit Himmelbett wieder, was den lange unterdrückten Gefühlen der beiden Jugendlichen Raum zum Atmen gibt. Das ist dann genau das, was den folgenden siebeneinhalb Episoden fehlt. Die Welt von „Shadow and Bone" kommt nicht zum Durchatmen, Entfalten, Schwelgen, Existieren. Das Skript peitscht die Figuren von einer Katastrophe in die nächste, nur um sie durch wundersame Fügungen daraus immer wieder zu befreien. Alles scheint austauschbar, solange die entsprechenden Mechanismen zum Weiterkommen vorhanden sind.
Die erzählerische Balance gerät so bald aus dem Gleichgewicht, weshalb sich die interessanten Geschichten von Alina oder dem tragischen Antihelden Kaz Brekker nie wirklich entfalten. Vor allem Freddy Carter gelingt als hinkender Haudegen mit Grips eine intensive Leistung, die im direkten Vergleich die Glanzmomente von Jessie Mei Li oft verblassen lässt. Die restlichen Figuren müssen sich mit erzwungenen Romanzen und Identitätsfindungen zufriedengeben, welche die oft über einstündigen Episoden noch langatmiger erscheinen lassen.
Entschleunigung an der falschen StelleAuch andere Ansätze der ersten Staffel bleiben auf der Strecke, sodass sich das ohnehin nur maue „Worldbuilding" mit designtechnisch wunderschönen, aber oberflächlichen Setdesigns begnügen muss. Die Welt außerhalb der Städte bleibt leer, so als würde das Leiden der Landbevölkerung nicht interessieren. Die antikriegerische Botschaft wirkt zudem klischeehaft plakativ, wenn etwa der toughe Freibeuter Nikolai Lantsov (Patrick Gibson) in das Geschehen eingreift und sich mit seiner Armee dem Kampf gegen die dunklen Horden von General Kirigan stellt. Wobei der Ausdruck „Armee" etwas übertrieben ist, weil meist nur etwa zwei Dutzend Krieger auf dem Schlachtfeld zu sehen sind, was diese Schlachten ihrer monumentalen Bedeutsamkeit beraubt - und übermäßige Zeitlupeneffekte die zuvor vermisste Entschleunigung an der falschen Stelle setzen, nämlich im action- und emotionsgeladenen Kampfgetümmel.
Durch diese Mängel gelingt es Showrunner Eric Heisserer nicht, die spannenden Ansätze aus der Vorgängerstaffel weiterzuentwickeln. Das Fantasy-Setting wird wahrscheinlich eher Leser der Bücherreihe ansprechen. Die unnötig komplizierten Handlungszweige sowie die Nichtentfaltung der Figuren abseits von forcierten Liebeleien bieten insgesamt nur eine oberflächlich unterhaltsame Fantasy-Serienspielerei unter vielen.