Wer Filme mit winzigem Budget inszeniert, muss zwangsläufig Abstriche machen. Die Ausstattung wird auf das Notwendigste reduziert, vor der Kamera stehen oft günstige Laiendarsteller oder Bekannte, die noch einen Freundschaftsdienst schuldig sind. Im Gegenzug schöpfen die Macher solcher No-Budget-Werke oft kreativ aus dem Vollen - und gehen ein immenses Risiko ein. Denn kreative Defizite können nicht wie bei Großproduktionen mittels teurer Effekte-Spielereien kaschiert werden. So überlassen die Macher ihr Werk gänzlich der Gunst des Publikums.
Populär wurde auf diese Weise der japanische Filmemacher Shinichiro Ueda, der 2017 mit der Zombie-Plansequenz „One Cut of the Dead" den japanischen Film um eine spannende Facette erweiterte. Einen gänzlich anderen, aber nicht weniger kreativen Weg beschreiten die Köpfe hinter „Beyond the Infinite Two Minutes". Anders als Ueda, der seine Filme innerhalb von Laien-Workshops inszenierte, kommen bei der Science-Fiction-Komödie von Junta Yamaguchi überwiegend Theaterschauspieler zum Einsatz, da die Theatergruppe „Europe Kikaku" aus Kyoto hinter diesem ambitionierten Projekt steckt.
Das Zukunfts-Ich im FernseherHauptfigur ist der Hobbymusiker Kato (Kazunari Tosa). Er wohnt über einem kleinen Stadtcafé und kämpft damit, die nette Megumi (Aki Asakura) aus dem Friseurladen um die Ecke endlich anzusprechen. Seine Freunde aus dem Café versuchen ihn zwar immer wieder zu motivieren, jedoch ohne Erfolg. Als Kato in seinem Apartment auf der Gitarre übt, schaltet sich plötzlich sein Fernseher ein - und Katos Zukunfts-Ich erscheint mit einer wichtigen Botschaft.
Für ihren Debütfilm bedient sich die Truppe um Autor Makoto Ueda eines bekannten Filmmotivs in neuem Gewand: dem der Zeitreisen. Anstatt jedoch wie die Vorbilder „Zurück in die Zukunft" oder „Bill & Teds verrückte Reise durch die Zukunft" den Protagonisten mittels Fluxkompensator oder Telefonzelle quer durch die Zeitgeschichte zu schicken, bewegen sich die Figuren hier lediglich zwischen dem Café und Katos Apartment. Denn urplötzlich öffnet sich ein Wurmloch zwischen zwei Bildschirmen, die mit einer Differenz von exakt zwei Minuten auseinanderliegen. Was zunächst ernüchternd unspektakulär klingt, entwickelt mit zunehmender Laufzeit eine äußerst amüsante Eigendynamik. Denn die anfänglich kindliche Begeisterung von Kato und seinen Kumpanen über diesen Zufallsfund wandelt sich schon bald in die Abwägung für profitablen Eigennutz. Wie kann jemand aus einem zweiminütigen Wissensvorsprung einen Vorteil für sein eigenes Leben ziehen?
Immer abstrusere SzenarienDer Film verzichtet auf unnötig aufgeblähte Erklärversuche dieses Phänomens, sondern weiß das mysteriöse Wurmloch trotz minimaler Mittel spannend in Szene zu setzen. Wenn etwa durch mehrere einander gegenübergestellte Bildschirme eine schier unendliche Aneinanderreihung zeitversetzter Realitäten entsteht (im Film stolz als „Droste-Apparat" präsentiert), steigert sich die Science-Fiction-Komödie in immer abstrusere Szenarien. Damit die Zuschauer in diesem Wirrwarr den Faden nicht verlieren, bedienen sich Autoren und Kamerateam eines simplen wie effizienten Kniffs: One-Shots.
Durch eine Kamera im Handyformat klebt das Kamerateam förmlich an den Fersen der Protagonisten, während sie durch das Treppenhaus zwischen Café und Apartment hetzen. Zwar entstand der gesamte Film nicht als durchgehende Plansequenz, erweckt jedoch durch akribisch geplante Einstellungen sowie geschickte Schnittarbeit eben diesen Eindruck. Da man so etwa Katos Verhalten in der Gegenwart wie in der Zukunft erlebt (er muss seinem eigenen Vergangenheits-Ich schließlich erklären, was er zu tun hat), dient diese Handlungsdopplung für das Publikum als Sicherungsseil. Trotzdem schleichen sich innerhalb der kurzen Laufzeit von 70 Minuten Längen ein, weshalb insbesondere das anfängliche Experimentieren mit dem Zukunftsfernseher einiges an Durchhaltevermögen abverlangt.
Experimentelles ImprovisationstheaterAuch verzichtet „Beyond the Infinite Two Minutes" auf einen durchgehenden Handlungsbogen. Alle Figuren kommen nicht über holzschnittartige Charaktere hinaus, was jedoch in diesem Fall positiv zu sehen ist. Ergänzend zur spartanischen Erzählweise und zum überbordenden Schauspiel des gesamten Ensembles fühlt sich der Film mehr wie ein experimentell gefilmtes Improvisationstheater an. Dies ist insofern beachtlich, als die Dreharbeiten mitten in der Pandemie-Hochphase stattfanden und binnen einer Woche abgeschlossen wurden.
Der amüsante Dialog-Nonsense wird lediglich durch Gespräche zwischen Kato und Megumi gebrochen, die sich im Gegensatz zu den anderen Figuren wenig bis gar nicht für den Droste-Apparat und die vielversprechenden Zukunftsmöglichkeiten interessieren. Sie schwelgen lieber über verflossene Liebe, musikalische Vorlieben und alte Science-Fiction-Comics - im Hier und Jetzt. Die Zukunft scheint plötzlich abgeschrieben, flimmert im Nachbarraum vergessen vor sich hin - bis ihr Kato den Stecker zieht.