Partys sind an Silvester verboten, Feuerwerk sowieso. Kann das trotzdem lustig werden? Wir haben eine kleine Videokonferenz einberufen, um uns vorsichtig an den Gedanken heranzutasten. Die Gäste fanden wir im Online-Telefonbuch. Auf einer Video-Kachel erscheint nun die Marketingberaterin Sonja Rakete, 56, zugeschaltet aus dem Homeoffice in einer Kleinstadt in Nordrhein-Westfalen. Etwa 11.000 Kilometer entfernt sitzt Winfried Böller, der auf Bali eine Sprachschule leitet und nicht verraten möchte, wie alt er ist. Aus einer Ferienwohnung in der Nähe von Osnabrück meldet sich die Tänzerin Shan-Li Peng, 35, Mutter der eineinhalbjährigen Mia, die auf ihrem Schoß sitzt und mal mehr, mal weniger froh quietscht. Und dann ist da noch Christoph Prost, 62, der zwischen der ersten und zweiten Corona-Welle in den Ruhestand gegangen ist und am Rand des Pfälzerwalds wohnt. Als die ZEIT bei ihm anrief, las er gerade die ZEIT. Weil er zunächst dachte, man wolle ihm etwas verkaufen, hatte er erst auflegen wollen, war dann aber doch bereit, am vereinbarten Termin mit Fremden über seine Silvesterpläne im Pandemiejahr zu sprechen.
DIE ZEIT: Wir hatten im Vorfeld überlegt, ob wir einfach schon mal alle zusammen Silvester proben. Bei Ihnen auf Bali, Herr Böller, ist es bald Mitternacht.
Winfried Böller: Wir hätten noch eine Viertelstunde ...
Sonja Rakete: ... da rennt man los, um Gläser zum Anstoßen zu holen ...
Christoph Prost: Wenn die Pandemie nicht wäre, hätten wir zusammen in Hamburg feiern können!
Böller: Das wäre ein weiter Flug gewesen.
ZEIT: Sie alle haben toll klingende Nachnamen. Werden Sie oft darauf angesprochen?
Böller: Zu meiner Schulzeit haben die anderen für mich Spitznamen erfunden, "Schuss" oder "dynamite", das hat mir damals nicht so viel Spaß gemacht. Und den Spruch "Brot statt Böller" finde ich bis heute diskriminierend.
Shan-Li Peng: Als ich nach Deutschland kam, wusste ich gar nicht, was an meinem Namen so lustig ist. Das erste Mal ist es mir im Wartezimmer beim Arzt aufgefallen. Alle haben gekichert, als ich aufgerufen wurde. Später sagte man mir: Peng, das klingt wie eine Pistole.
ZEIT: Sie stammen aus Taiwan. Hat Ihr Name dort eine Bedeutung?
Peng: Ja, Peng bedeutet "Jade".
Rakete: Wenn ich mich am Telefon melde, ist es häufig so, dass die Leute erst mal gar nichts sagen und dann fragen: "Wie war Ihr Name noch mal?"
Prost: Das Problem habe ich auch. Oft wird bei mir dann noch ein B reingeschmuggelt - Probst. Dabei sage ich immer: Prost wie Prost Neujahr. Das versteht doch eigentlich jeder.
Christoph Prost
62, ist im Ruhestand und stößt am 31.12. zweimal an: aufs neue Jahr und auf den Geburtstag seiner Frau.
ZEIT: Ist Silvester Ihr Lieblingsfest?
Prost: Das kann ich so nicht sagen. Es spielt nur eine gewisse Rolle, weil ich halt immer "Prost wie Prost Neujahr" sage, damit man versteht, wie ich heiße. Aber meine Frau hat am 31. Dezember Geburtstag, das geht natürlich vor. Wir stoßen immer zweimal an.
ZEIT: In diesem Jahr ist alles anders ...
Rakete: Wir haben gerade gestern darüber gesprochen, ob wir Silvester nicht einfach verlegen sollten. Seit 15 Jahren feiere ich in derselben Zehner-Runde mit Freunden, die in Deutschland verteilt leben. Aber dieses Jahr, wenn alle vorher an Weihnachten mit ihren Familien zusammen waren, ist uns das zu riskant.
ZEIT: Und? Feiern Sie nach?
Rakete: Das wollen wir unbedingt! Wobei wir schon festgestellt haben, dass 2021 total stressig wird, weil so viel verschoben wurde. Ich glaube, wir werden nur noch am Feiern sein.
Böller: Auf Bali gibt es zum Glück nicht so strenge Beschränkungen wie in Deutschland. Es sind keine Urlaubsgäste da, die Straßen sind leer, deshalb fahren meine Familie und ich in den Norden unserer Insel, das hätten wir sonst nicht gemacht.
Peng: Ich freue mich tatsächlich mehr auf Weihnachten als auf Silvester. Mir gefällt die Vorfreude in der Adventszeit, das Traditionelle - und natürlich der Schnee, den gibt es in Taiwan nicht.
Rakete: Bei uns hat es noch nicht geschneit.
Prost: Die Pfalz war vorletzte Woche weiß, aber nur für zwei Tage.
Böller: Bei uns ist gerade Regenzeit, wir haben tagsüber 32 Grad, es ist schwül, das schlaucht ganz schön.
Peng: Mein Mann ist wie Sie Deutscher, den hat die Hitze letztes Jahr in Taiwan auch total fertig gemacht.
ZEIT: Feiert man Silvester dort eigentlich genauso wie in Deutschland?
Peng: Man trifft sich mit Freunden, isst was Leckeres und geht zusammen das Feuerwerk anschauen, zählt den Countdown runter: neun, acht, sieben ... Dabei schauen alle in dieselbe Richtung, denn es gibt einen zentralen Punkt, wo das Feuerwerk gezündet wird.
ZEIT: Und wie ist das auf Bali? Sind Sie da der einzige Böller?
Böller: Letztes Jahr waren wir im Park, da sind Jugendliche auf Bäume gestiegen und haben Feuerwerkskörper auf die Leute geschossen. Meine Frau wurde am Fuß verletzt, das war kein so gutes Omen für 2020 ... Dieses Jahr reisen wir in ein relativ ruhiges Resort, ohne Rakete, ohne Peng, aber natürlich mit Böller, der muss ja fahren. (lacht)
Peng: In Deutschland machen an Silvester alle, was sie wollen, das Feuerwerk kommt von überallher. Ich weiß gar nicht, in welche Richtung ich schauen muss - pui, pui, pui.
(Peng macht Raketengeräusche nach, hebt die Hände über den Kopf)