Keine Abos und 8 Abonnenten
Artikel

Feminismus auf Rollschuhen: Die knallharte Faszination des Roller Derby

Es knallt. Zwei Spielerinnen fahren mit voller Geschwindigkeit gegeneinander. Als eine von ihnen zu Boden fällt, geht ein Stöhnen geht durch die Reihen der Zuschauer. Ihr ist nichts passiert. Sie rappelt sich auf und mit einem Pfiff geht es weiter. Es wird geschubst, gedrängelt und geblockt. Und das mit ganzem Körpereinsatz auf Rollschuhen, Knie-, Ellbogen- und Handgelenkschützer, Helm und Mundschutz sind deswegen Vorschrift. Trotzdem: Wer Angst vor blauen Flecken hat, hat beim Roller Derby und den Leipziger Riot Rocketz nichts verloren.

Zwei Teams kämpfen auf der bunt abgeklebten 27 mal 17 Meter langen, ovalen Bahn - dem Track - gegeneinander. Während dem Spiel, Bout genannt, versucht die Jammerin in zweiminütigen Spieleinheiten, den Jams, das gegnerische Team zu überrunden und so Punkte zu sammeln. Gehindert wird sie von den Blockerinnen, die ihr in den Weg fahren und versuchen, sie abzudrängen. Wenn es sein muss, auch mit ganzem Körpereinsatz, zum Beispiel einem Bodycheck. Klingt kompliziert und sieht zunächst auch so aus. Aber nach ein paar Jams hat man die Spielregeln raus.

Mehr lesen: "Das ist nur was für starke Männer" - Fotos von der Pole-Dance-Weltmeisterschaft

Der Vollkontaktsport, entwickelt im Chicago der 1930er Jahre vom Sportjournalisten Leo A. Seltzer, erlebte seine erste Hochphase in den 1970ern - als eine Art Wrestling auf Rollschuhen, mit aufwendigen Kostümierungen samt Glitzer und Netzstrumpfhosen, Gesichtsbemalung und plakativen Kampfnamen. In den 90ern waren es dann insbesondere die Frauen der dritten Feminismuswelle, die sich für den Mannschaftssport begeistern konnten. Seitdem hat sich vor allem optisch einiges verändert: weniger Verkleidung, mehr vollwertiger sportlicher Wettkampf. Geblieben sind die Kampfnamen wie Anne Headaway, Willie Vanilli, Hans-A-Blast und Shrimpy Bling Bling. Und eine Gemeinschaft von Frauen, die gemeinsam durch Dick und Dünn geht.

Shrimpy Bling Bling heißt mit bürgerlichem Namen Lisa Selbmann. Für ihr Medizinstudium ist die 23-Jährige vor vier Jahren nach Leipzig gezogen und von Anfang an bei dem Leipziger Roller Derby Team Riot Rocketz dabei. Die Begeisterung für den ungewöhnlichen Sport hat sie aus dem Film Whip it. In dem hat die Außenseiterin Bliss (Ellen Page) die Schnauze voll von Schönheitswettbewerben, hübschen Kleidern und Hochsteckfrisuren, haut von zu Hause ab und schließt sich einem Roller Derby Team an.

Bis Selbmann zum ersten Mal einen Bout mitgefahren ist, vergeht ein Jahr. In dieser Zeit musste sie erstmal lernen, sich auf den Rollschuhen zu bewegen. Seither ist sie - ebenso wie ihr Filmvorbild Bliss - stärker, schneller und selbstsicherer geworden. Auch ihr Körperbild hat sich verändert. "Wenn man jünger ist, dann hat man oft Probleme mit seinem Körper. Jetzt sehe ich meinen Körper weniger als Objekt, das nur schön aussehen will, sondern sehe, was ich damit machen kann", erzählt Selbmann. "Wenn meine Hüften größer werden, dann finde ich das gut, weil das bedeutet, dass ich damit besser Leute umwerfen kann."

Bei dem Sport geht es nicht um Fitness und Leistung, sondern um Spaß und Akzeptanz. Frauen jeder Größe, Form und Gewichtsklasse können zusammen spielen. Diskriminierung hat bei Roller Derby keinen Platz.

Mehr von VICE Sports: Liebe zum Spiel - Crazy Sexy Mike

"[Wir] heißen jeden bei uns willkommen und akzeptieren keine Form von Rassismus, Xenophobie, Homophobie, Transphobie, Sexismus, Antisemitismus oder sonst eine Ideologie der Ungleichheit" heißt es auch auf der Website der Riot Rocketz. Seit vergangenem Jahr steht das Team unter dem Dachverband des Roten Stern Leipzig. Der Sportverein ist im Leipziger Viertel Connewitz ansässig, das wegen seiner Ausschreitungen zwischen Linksautonomen und Rechtsradikalen immer wieder in den Medien ist. Mobilisierung für Demos, Teilnahme am Girls Day und dem Christopher Street Day gehören für Mitglieder des linken Vereins genauso zum Sport dazu wie das Training.

Somit ist Roller Derby für die Frauen mehr, als ovale Bahnen mit Rollschuhen zu umrunden. Sie sehen sich als eine Gemeinschaft von Feministinnen, als ein sicherer Raum für Frauen und Menschen abseits aller Geschlechterbinarität. Die Spielerinnen verbindet der Gedanke, dass ein Mensch nicht nicht in gewisse Vorstellungen gezwängt werden muss und sind dabei auch mit ihren sportlichen Gegnern solidarisch. Verletzt sich eine Spielerin, dann schirmen beide Mannschaften sie vor den Blicken des Publikums ab. Sobald auch nur eine Frau sich durch die Anwesenheit eines Mannes auf dem Feld gestört fühlt, darf dieser nicht mitspielen.

Mehr lesen: Der Reitverein, der sozial benachteiligten Teenagern eine neue Perspektive gibt

Auch wenn sich der Sport in Deutschland erst nach und nach entwickelt - die Roller-Derby-Community ist international vernetzt. Fährt Selbmann in den Urlaub, dann nimmt sie ihre Rollschuhe mit und ist erst vor Kurzem in Tel Aviv mit einem israelischen Team zusammen gefahren. Vergangenes Jahr hat sie ein Erasmus-Semester in Barcelona gemacht. Bevor sie eine eigene Bleibe gefunden hatte, schlief sie bei anderen Spielerinnen auf der Couch. "Ich schreibe die Teams einfach an und schon habe ich eine Gruppe von coolen Frauen überall auf der Welt als Freunde."

Folgt Broadly auf Facebook, Twitter und Instagram.
Zum Original