Stefanie Uhrig

Freie Wissenschaftsjournalistin, Erbach

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Artikel

So hörst du auf zu grübeln

Darum geht’s:

Viele Menschen können schlecht abschalten

  • "Wie konnte mir schon wieder so ein Fehler passieren?"
  • "Hätte ich bloß gleich alles abgearbeitet!"
  • "Eigentlich bin ich gar nicht gut genug…"

Solche Gedanken kommen bei vielen Menschen immer und immer wieder. Ohne, dass sie es wollen, schleichen sie sich in den Kopf und spielen dann in einer Endlosschleife.

Das ist eine Definition von Grübeln: Eine Kette von Gedanken und Bildern, die negativ aufgeladen und relativ unkontrollierbar sind. Die englische Bezeichnung ist „Rumination“, was sich auch mit „Widerkäuen“ übersetzen lässt.

Das trifft vermutlich sehr genau die Erfahrungen jeder Person, die schon mal nachts wachgelegen hat, gefangen in einer Grübelei, die letztendlich zu wenig geführt hat – höchstens zu müden Augen am nächsten Tag.

Das Problem dabei fasst Julia Funk so zusammen: "Es ist sehr schwierig, aus eigener Kraft aufzuhören." Die Psychologin beschäftigt sich für ihre Doktorarbeit in der Klinischen Psychologie und Psychotherapie an der Universität München mit dem Thema Grübeln.

Das Gedankenkarussell automatisiert sich

Eine weitere Eigenschaft des Grübelns ist, dass es sich meist um abstrakte, grundsätzlichere Themen dreht. Anstatt zu denken "Mist, heute hätte ich früher aufstehen sollen“, quält einen der Gedanke: "Warum stehe ich immer zu spät auf?" Dann geht es viel weniger darum, ein konkretes Problem zu lösen – was in diesem Fall ja sogar recht einfach wäre – sondern vielmehr darum, sich selbst zu kritisieren.

Schwierig wird das vor allem, wenn sich das zu einer Gewohnheit entwickelt. Eine Theorie  besagt, dass Grübeleien einsetzen, sobald die Realität nicht so aussieht, wie man es sich eigentlich wünscht. Kommt das häufiger vor, automatisiert sich das Gedankenkarussell sozusagen.

Und setzt dann oft in bestimmten Situationen ein, zum Beispiel beim Einschlafen. Es geht dann gar nicht um ein spezifisches Problem, das einem nicht aus dem Kopf gehen will – sondern die Situation selbst ruft das Grübeln hervor.

Grübeln kann vererbt werden

Warum das bei manchen Menschen eher geschieht als bei anderen, ist bisher nicht geklärt. Ein paar Ideen gibt es allerdings. Dr. Samy Egli, Leitender Psychologe am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München, erklärt das anhand des biopsychosozialen Modells.

  • Biologischer Faktor:
    Die Tendenz zum Grübeln werde teilweise vererbt: Studien gehen von einem genetischen Anteil von etwa 20 bis etwa 40 Prozent aus.
  • Psychologischer und sozialer Faktor:
    "Der psychologische Teil beruht auf den Bewältigungsstrategien, die die Menschen sich angeeignet haben, wie sie mit Problemen umgehen und was sie sich aus ihrem Umfeld abgeschaut haben", erklärt Egli. Dabei wird auch der Erziehungsstil diskutiert. "Sehr kontrollierende Eltern könnten die Neigung zum Grübeln verstärken", sagt Julia Funk. Allerdings sei der genaue Zusammenhang wissenschaftlich nicht ausreichend untersucht. Aber auch später kann das Umfeld dazu beitragen, ob man zu konstruktiven oder eher zu problematischen Denkweisen neigt.

Diese Hirnregionen spielen eine Rolle

Im Gehirn haben Forschende Regionen identifiziert, die beim Grübeln besonders aktiv sind. Dazu gehören die Amygdala (wegen ihrer Form Mandelkern genannt) und der Hippocampus, die sehr wichtig für emotionale Erinnerungen sind. Aber auch Ich-bezogene Regionen und höhere Denkbereiche spielen eine Rolle. Beteiligt ist außerdem das "Ruhezustandsnetzwerk" (engl. Default Mode Network), das anspringt, wenn wir an nichts Bestimmtes denken – oder generell die Aufmerksamkeit nach innen richten.

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Darum sollten wir drüber sprechen:

Ständiges Grübeln schlägt auf die Psyche

Wer häufig in negativen Gedankenspiralen versinkt, steht sich damit schnell selbst im Weg. Denn das behindert die Fähigkeit, Probleme zu lösen und konstruktiv zu denken.

So kann Grübeln:

  • Emotionen verstärken
  • die Konzentration behindern
  • zu Schlafstörungen führen
  • die körperliche Gesundheit beeinträchtigen
  • bestehende psychische Erkrankungen verschlimmern

Tatsächlich haben Menschen, die viel Grübeln, ein erhöhtes Risiko für Depressionen. Das zeigten verschiedene Studien, woraufhin die „Response Style Theory“ entwickelt wurde. Sie sieht das Grübeln als eine Art Charaktereigenschaft, die ständig dafür sorgt, dass depressive Stimmungen andauern.

Was im Umkehrschluss nicht bedeutet, dass negative Gedankengänge automatisch zu Depressionen führen – wer tatsächlich eine psychische Erkrankung entwickelt, hängt noch von vielen anderen Faktoren ab.

Kontrolle der Gedanken fällt immer schwerer

Depressive oder früher depressive Menschen grübeln eher als psychisch Gesunde – dabei entsteht ein kleines Henne-Ei-Problem: "Grübeln kann entweder die Wahrscheinlichkeit einer Störung erhöhen oder sie kann ein Symptom der Depression sein", sagt Samy Egli.

Haben sich erst einmal solche Verhaltensmuster entwickelt, kommen wir schwer wieder davon los, denn auch das Gehirn hat sich darauf eingestellt: Vermutlich fällt dann die willentliche Kontrolle der Gedanken immer schwerer – und limbische Regionen übernehmen eher das Kommando.

Diese Gehirnareale sind besonders für die Emotionsverarbeitung zuständig und arbeiten normalerweise mit vorderen Hirnbereichen (Teilen des Präfrontalen Cortex) zusammen, um Impulse zu kontrollieren. Genau diese Regionen sind aber etwa bei Depressiven weniger aktiv, was erklären könnte, warum sie die negativen, immer wiederkehrenden Gedanken nicht so einfach beiseiteschieben können.

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Es kann auch hilfreich sein, die Gedanken schweifen zu lassen

Ist Grübeln automatisch schlecht? Nein, sagt Julia Funk: "Es gibt hilfreiche Arten, über Probleme nachzudenken." Dazu brauche es vor allem die konkrete Auseinandersetzung mit der Situation. Etwa: Wie kann ich dafür sorgen, dass ich ab jetzt nicht mehr verschlafe? Und was kann ich tun, um die verlorene Zeit aufzuholen?

Auch eine Art philosophische Reflexion könnte helfen. Sinnieren wir beispielsweise darüber nach, was uns gerade guttun würde oder was uns persönlich an einer Situation gerade stört und wie wir uns besser fühlen könnten, eröffnet uns das neue Möglichkeiten – statt weiter im "Warum?" festzuhängen.

Und im Job?

Im Job könnte das Grübeln sowohl helfen als auch schaden: "Menschen, die sich nach Feierabend weiter mit der Arbeit auseinandersetzen, sind teilweise sehr erfolgreich", sagt Samy Egli.

Allerdings könne ein hoher innerer Anspruch an sich selbst, wie es Karrieremenschen oft zeigen, auch ins Negative umschlagen. "Solange man bei lösungsorientierten Ansätzen bleibt und nicht die gleichen Fragen immer und immer durchkaut, kann Grübeln positiv sein."

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So finden wir konstruktive Gedankengänge

Das Ziel wäre also, das Denken in konstruktive, positive Bahnen zu lenken – was natürlich schwierig ist, wenn die Grübeleien ungefragt und relativ unkontrollierbar daherkommen. Für Menschen, die sich von Gedankenspiralen befreien möchten, die sie nicht loslassen, hat Samy Egli ein paar Tipps:

"Erstmal kann man sich überlegen, in welchen Situationen das Grübeln anfängt", so der Psychologe. "Wenn ich bestimmte Auslöser feststelle, kann ich versuchen, etwas an diesen äußeren Faktoren oder meinem Verhalten in der jeweiligen Situation zu verändern." Als Beispiel nennt er das Grübeln vor dem Einschlafen, das häufig vorkommt. "Da kann ich mir etwa einen spannenden Krimi ans Bett legen, der meine Aufmerksamkeit bindet."

Auch Achtsamkeitsübungen, Entspannungstechniken oder ein Ritual könnten die Gedanken auf andere Dinge fokussieren. "Wichtig dabei ist, dass man ein alternatives Verhalten einübt – das geht nicht sofort, sondern braucht Geduld und Training."

Extra Zeiten fürs Grübeln

Eine andere Methode wäre, dem Grübeln eine bestimmte Zeit zuzuweisen. "Ich stelle mir dann einen Timer, der zum Beispiel nach zwei oder drei Minuten klingelt. Danach schreibe ich die Gedanken auf und lege sie beiseite." Es könne hilfreich sein, das mit ganz konkreten Problemen zu kombinieren und von grundsätzlichen "Warum"-Fragen wegzukommen.

Ob etwa eine App die Gedankenlenkung im Alltag unterstützten kann, untersucht Julia Funk gerade in einer Online-Studie. Dabei wollen sie und ihr Team spezifisch junge Menschen (16 bis 22 Jahre alt) ansprechen, die viel grübeln, aber noch nicht die Kriterien für eine psychische Störung erfüllen.

Sie sollen die App für sechs Wochen nutzen und dabei etwa konkretes Denken trainieren oder Achtsamkeits- und Selbstfürsorgetechniken lernen. Noch ist die Studie in der Rekrutierungsphase, Ergebnisse gibt es also bislang nicht.

Weitere Angaben zum Artikel:

Wann ist professionelle Hilfe nötig?

„Verursacht das Grübeln bei mir einen Leidensdruck, beeinträchtigt es mich im Alltag, steht es mir vielleicht bei schönen Tätigkeiten im Weg?“ Das sei laut Egli der Zeitpunkt, zu dem man über professionelle Hilfe nachdenken könne.

Heißt etwa: Vielleicht sind wir von der durchgrübelten Nacht tagsüber so abgeschlagen, dass wir keine Energie für unseren Lieblingssport oder auch für die Arbeit haben? Oder wir können uns einfach auf nichts konzentrieren, weil wir immer wieder zu den Grübelthemen abschweifen?

Als erste Anlaufstelle empfiehlt Egli die Kammern der Psychologischen Psychotherapeuten, die relativ schnell Plätze für eine erste Abklärung in einer Sprechstunde anbieten – und auch geeignete Therapeut:innen vermitteln können.

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Und wie kann eine Therapie aussehen?

Ein Ansatzpunkt kann das übermäßige Verallgemeinern sein, das in negativen Gedankenspiralen häufig vorkommt und Problemlösungen eher behindert. Dagegen gibt es sogar mittlerweile eine kognitive Verhaltenstherapie, die gezielt auf das Grübeln ausgerichtet ist – und entsprechend "Ruminationsfokussierte kognitive Verhaltenstherapie" heißt. "Ein Baustein dieser Therapie ist ein Training des konkreten Denkstils", erklärt Julia Funk.

Dabei sollen sich Patientinnen und Patienten an schwierige Situationen erinnern und werden dann angeleitet, sie sich ganz im Detail vorzustellen. "In welcher Situation bin ich eigentlich? Was kann ich wahrnehmen? Welche körperlichen und emotionalen Empfindungen sind damit assoziiert? Wie hat sich die Situation Schritt für Schritt entwickelt? Und mit welchen konkreten Maßnahmen kann ich das aktuelle Problem lösen?"

Zugrundeliegende Gewohnheiten ändern

Die Metakognitive Therapie hingegen setzt an einer anderen Eigenschaft von Grübelgedanken an. "Oft hat man bestimmte Überzeugungen zu den eigenen Gedanken, wie etwa, dass etwas Schlimmes passiert, wenn man nicht alles ganz genau überdenkt", sagt Julia Funk. Die Metakognitive Therapie soll dabei helfen, diese Überzeugungen zu hinterfragen. Die "Grübelzeit" ist ebenfalls ein Aspekt dieses psychologischen Ansatzes.

Möglicherweise helfen auch angeleitete Achtsamkeitstrainings, die mit Verhaltenstherapien kombiniert werden können (Achtsamkeitsbasierte kognitive Verhaltenstherapie). Bei der Achtsamkeit geht es darum, ganz bewusst mit der Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt zu bleiben. Klar ist aber: Nicht alle Therapien funktionieren für jede Person gleich gut.

Wichtig für eine erfolgreiche Therapie sei es, dass nicht nur das Grübeln verdrängt wird – sondern auch die zugrundeliegenden Gewohnheiten verändert werden, schreiben britische Forschende in einer Übersichtsarbeit: "Ansonsten würde die Tendenz zum Grübeln reaktiviert, sobald ein Auslöser während einer depressiven Stimmung oder in einer stressigen Zeit wieder auftaucht." Dadurch werde die betroffene Person noch anfälliger für eine weitere depressive Episode.


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