Stefanie Uhrig

Freie Wissenschaftsjournalistin, Erbach

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Psychobiotika: Futter für die Seele

„Psychobiotika werden bald ein alltägliches Produkt für einen gesunden Lebensstil und ein generelles Wohlgefühl sein und werden möglicherweise als Mikroben-basierte Therapie verschiedener Erkrankungen des zentralen Nervensystems dienen." So begeistert drücken es die Mikrobiologin Richa Sharma von der University of Delhi und ihre Kolleginnen in ihrer Studie aus. Andere Forscher sind da deutlich zurückhaltender, zumal es noch viele offene Fragen gibt. Was also weiß man bisher?

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Psychobiotika: Für Körper und Seele

Der Begriff „Psychobiotika" wurde erstmals 2013 in einer Publikation verwendet und beschreibt „einen lebenden Organismus, der Vorteile für die Gesundheit von Patienten mit psychischen Erkrankungen bringt, wenn er in angemessener Menge eingenommen wird." Damit gehören die Psychobiotika allgemein zu den Probiotika: Bakterien, welche eine günstige Darmflora bewirken sollen. Nur, dass es bei den Psychobiotika gezielt darum geht, die Psyche zu verbessern.

Wie genau das funktioniert, ist noch unklar. Wahrscheinlich ist das Stresssystem des Körpers involviert und über die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HPA-Achse) wird weniger Cortisol ausgeschüttet. Möglicherweise reguliert eine gesunde Darmflora auch die Durchlässigkeit der Darmwände und vermindert Entzündungsreaktionen. Verschiedene Botenstoffe im Gehirn könnten einen Teil zur Wirkung der Psychobiotika beitragen.

Viele Sorten, viele Erkrankungen

Mehrere Studien legen jedenfalls nahe, dass die freundlichen Bakterien sich positiv auf die Stimmung, Angststörungen und Stress und sogar auf neurologische Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson auswirken können. Viele dieser Untersuchungen beziehen sich allerdings auf Versuchstiere. Solche Ergebnisse sind zwar vielversprechend, lassen sich aber schwer auf den Menschen übertragen - eine Hürde, an der schon viele erfolgversprechende Medikamente gescheitert sind.

Dennoch sieht es so aus, als könnten psychisch Erkrankte tatsächlich profitieren: Eine Meta-Analyse fand zwar zunächst keine positiven Wirkungen von Psychobiotika, wenn die Forscher sowohl gesunde als auch Patienten einrechneten. Konzentrierten sie sich hingegen nur auf Betroffene von Angststörungen oder milden bis moderaten Depressionen, linderten Psychobiotika die Symptome.

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Insgesamt zeigten Untersuchungen mit Menschen gemischte Ergebnisse. Das mag daran liegen, dass es viele Bakterienstämme gibt, die möglicherweise je nach Erkrankung oder gar auf individueller Ebene unterschiedlich wirken könnten. Gerade dafür sind noch deutlich mehr Studien nötig. Prof. Undine Lang, Direktorin der Klinik für Erwachsene und der Privatklinik (Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel, UKP) hält ein genaues Rezept für das optimale Mikrobiom allerdings für Zukunftsmusik. Das sei vermutlich auch nicht nötig: „Bisher weiß man beispielsweise, dass manche Bakterienstämme bei Menschen mit Depressionen mehr oder weniger vorkommen, und versucht, das mit gesünderen Bakterien auszugleichen." Je mehr Daten zur Verfügung stünden, desto näher komme man dennoch einer personalisierteren Herangehensweise.

Praktische Hürden

Interessanterweise sind die verschiedenen Mikrobenstämme ein Problem für die Unternehmen. Wenn sie Geld und Zeit investieren, um bestimmte Bakterien in klinischen Studien zu testen, wollen sie auch ein Patent auf ihr Psychobiotikum anmelden. Möglicherweise arbeiten andere Unternehmen aber gleichzeitig - oder schon etwas länger - an einer Bakteriensorte mit einem sehr ähnlichen genetischen Code. Wie man damit im Patentrecht umgehen soll und kann, ist vorerst unklar.

Dennoch existieren bereits nicht-klinische Produkte auf dem Markt, die man problemlos kaufen kann, etwa im Onlinehandel. Diese haben häufig tolle Eigenschaften, die auch gesunden Menschen zugutekommen sollen - wenn man der Werbung denn glauben darf. Solche Versprechungen sind zulässig, weil es noch kaum Regulierungen in diesem Bereich gibt und die Hersteller leicht dick auftragen können. Richa Sharma und ihre Kolleginnen gehen davon aus, dass zumindest einige Produkte mit Vorteilen beworben werden, die bei ihnen überhaupt nicht wissenschaftlich nachgewiesen wurden.

Die grundsätzlich gute Nachricht: Die meisten probiotischen Bakterien, die möglicherweise auf die Psyche wirken, gelten als sicher - Nebenwirkungen sind nicht zu erwarten. Was nicht bedeutet, dass man sie leichtfertig einnehmen sollte. Gerade Menschen mit geschwächtem Immunsystem, durchlässiger Darmwand oder verschiedenen anderen Erkrankungen sollten vor der Einnahme mit einer Fachperson sprechen.

Geduld und Forschung

Insgesamt spricht einiges für den Nutzen bestimmter Bakterienstämme für die psychische Gesundheit, aber vieles sollte noch erforscht werden. Der Durchbruch in der Behandlung mentaler Erkrankungen werden Psychobiotika wohl nicht. Wie sich die Geschichte weiterentwickelt, bleibe abzuwarten, sagt Prof. Lang: „Wir sind noch recht früh in der Untersuchung des Mikrobioms. Von den ersten Schritten bis zu einer Anwendung und zu Empfehlungen in den Leitlinien vergehen in der Regel mindestens zehn bis 15 Jahre."

Vor den Psychobiotika liege also in der klinischen Praxis noch ein langer Weg. Bis dahin empfiehlt Lang eine ausgewogene Ernährung und Sport - etwas, das schon seit vielen Jahren gepredigt und dennoch selten erhört wird. Dabei wären Medikamente möglicherweise gar nicht nötig für eine gesunde Darmflora. Verschiedene Untersuchungen zeigen etwa positive Ergebnisse bei der mediterranen Diät oder anderen Ernährungsweisen ( hier und hier). Aber letztendlich ist es für Menschen mit und ohne Erkrankung einfacher, regelmäßig eine Tablette zu nehmen oder einen Joghurt zu essen, anstatt die ganze Ernährung umzustellen.

Quellen Sharma, R. et al. (2021). Psychobiotics: The next-generation probiotics for the brain. Curr Microbiol. 78:449-463. Doi: 10.1007/s00284-020-02289-5 https://link.springer.com/article/10.1007/s00284-020-02289-5 Sarkar, A. et al. (2016). Psychobiotics and the manipulation of bacteria-gut-brain signals. Trends Neurosci. 39(11):763-781. Doi: 10.1016/j.tins.2016.09.002 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5102282/ Dinan, T.G. et al. (2013). Psychobiotics: A novel class of psychotropic. Biol Psych. 74(10):720-726. Doi: 10.1016/j.biopsych.2013.05.001 https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0006322313004083 Tremblay, A. et al. (2021). The effects of psychobiotics on the microbiota-gut-brain axis in early-life stress and neuropsychiatric disorders. Prog Neuropsychopharmacol Biol Psychiatry. 105:110142. Doi: 10.1016/j.pnpbp.2020.110142 https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0278584620304589 Trzeciak, P. & Herbet, M. (2021). Role of the intestinal microbiome, intestinal barrier and psychobiotics in depression. Nutrients. 13(3):927. Doi: 10.3390/nu13030927 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC8000572/ Dinan, T.G. et al. (2021). Psychobiotics: Evolution of novel antidepressants. Mod Trends Psychiatry. 32:134-143. Doi: 10.1159/000510424 https://www.karger.com/Article/Abstract/510424 Ng, Q.X. et al. (2018). A meta-analysis of the use of probiotics to alleviate depressive symptoms. J Affect Disord. 228:13-19. Doi: 10.1016/j.jad.2017.11.063 https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S016503271731488X Parletta, N. et al. (2019). A Mediterranean-style dietary intervention supplemented with fish oil improves diet quality and mental health in people with depression: A randomized controlled trial (HELFIMED). Nutr Neurosci. 22(7):474-487. Doi: 10.1080/1028415X.2017.1411320 https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/1028415X.2017.1411320 Włodarczyk, A. et al. (2021). Ketogenic diet for depression: A potential dietary regimen to maintain euthymia? Prog Neuropsychopharmacol Biol Psychiatry. 109:110257. Doi: 10.1016/j.pnpbp.2021.110257 https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0278584621000166
Bildquelle: lilartsy, unsplash
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