Stefanie Uhrig

Freie Wissenschaftsjournalistin, Erbach

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Stroke Mimics: Der Schlaganfall, der keiner war

Ja, bei der Schlaganfallbehandlung muss es schnell gehen. Doch dabei ist Vorsicht angesagt - denn manche typischen Symptome haben andere Ursachen.

Nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist der Schlaganfall die häufigste Todesursache in Deutschland und weltweit. Man muss allerdings zwischen zwei Arten unterscheiden: dem ischämischen Schlaganfall, bei dem das Gehirn über eine Arterie nicht mehr mit Blut versorgt wird, und den Schlaganfällen durch eine Hirnblutung. Dieser Unterschied ist lebenswichtig, denn bei einem ischämischen Schlaganfall kann eine schnelle Auflösung der Blockade durch eine Thrombolyse helfen, während eine Hirnblutung dadurch nur verstärkt würde.

So wichtig ist die richtige Diagnostik

Schon deshalb untersuchen Ärzte die Betroffenen bei Verdacht auf Schlaganfall mithilfe von bildgebenden Methoden (Computertomografie oder Magnetresonanztomografie). Doch es gibt noch einen weiteren Grund: Nicht alles, was wie ein Schlaganfall aussieht, ist tatsächlich einer. Die Stroke Mimics, auch Schlaganfall-Imitatoren genannt, sind neurologische Erkrankungen, deren Symptome denen eines Schlaganfalls ähneln. „Zu den häufigsten Ursachen von Stroke Mimics zählen Blutdruckkrisen, die mit schlaganfallähnlichen Symptomen wie einer halbseitigen Lähmung einhergehen können", sagt Prof. Ulf Ziemann, ärztlicher Direktor der Neurologie am Universitätsklinikum Tübingen. Dazu kommen Hypo- und Hyperglykämien, epileptische Anfälle (vor allem die Todd-Parese), Migräne mit Aura, und Störungen des Gleichgewichtsorgans.

Wie häufig Stroke Mimics auftreten, lässt sich nicht so leicht bestimmen. Ziemann geht davon aus, dass etwa zehn bis 15 Prozent der Patienten, die mit einem Verdacht auf Schlaganfall in die Klinik kommen, eigentlich eine andere Erkrankung haben. Eine Studie aus den USA berichtet sogar von 26 Prozent und zeigt, dass es stark darauf ankommt, wer die ursprüngliche Diagnose stellt - die Rettungsdienste oder die Dienstärzte.

Den Stroke Mimics auf die Schliche kommen

Manche Stroke Mimics lassen sich relativ gut erkennen: Blutdruckkrisen durch eine Blutdruckmessung, Hypo- und Hyperglykämien durch die Blutzuckermessung. „Bei epileptischen Anfällen und Migräne kann eine gute Anamnese helfen, bei der geklärt wird, ob die Symptome alle gleichzeitig oder kurz nacheinander begonnen haben", erklärt Ziemann. Weitere mögliche Ursachen, wie Hirntumoren, können durch die Bildgebung erkannt werden.

An sich sind Stroke Mimics nicht unbedingt problematisch. Allein die Zeit sorgt für Komplikationen, argumentieren Ärzte aus der Schweiz um Dr. Lehel-Barna Lakatos in einem Übersichtsartikel: „Es bestehen Bestrebungen zur Optimierung des zeitlichen Ablaufs zwischen Eintreffen, Diagnosestellung und Therapiebeginn (Door-to-Needle-Zeit)." Dadurch sei das Risiko einer Fehlbeurteilung gestiegen.

Wann eine späte Lyse gefährlich ist - und wann nicht

Das wiederum bedeutet, dass mehr Stroke-Mimic-Patienten fälschlicherweise mit einer Thrombolysetherapie behandelt werden. Lakatos und Kollegen schreiben, neben den psychologischen Auswirkungen einer ungerechtfertigten Behandlung, führe das zur Verzögerung der richtigen Diagnosestellung, unnötigen Untersuchungen und einer Überversorgung mit Monitoringbedarf und Medikamentenkosten. Allerdings, wie Ziemann betont, sind die Konsequenzen einer zu späten Lyse für echte Schlaganfallpatienten in der Regel deutlich schlimmer als eine überflüssige Lyse bei Stroke Mimics. Auch weitere Ärzte plädieren dafür, nicht zu viel Zeit mit der Diagnose zu verbringen, zumal eine unnötige Thrombolysetherapie in der Regel keine Beeinträchtigungen verursacht - solange sie nicht aus anderen Gründen ohnehin ungeeignet ist.

Letztendlich komme es bei einem Verdacht auf einen Schlaganfall darauf an, die Betroffenen möglichst schnell in eine spezialisierte Einrichtung zu bringen, sagt Ziemann. „Da sind wir in Deutschland gut aufgestellt, denn wir haben weltweit die flächendeckendste Versorgung mit Schlaganfallstationen." So könne die Akutdiagnostik zügig ablaufen und auch Stroke Mimics frühzeitig erkannt werden.

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