Stefanie Sommer

Journalismus-Studentin | FAZ, Mainz

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Hollywood streikt: "Wir laufen Gefahr, durch Maschinen ersetzt zu werden"

Da waren sie noch da: Die Hauptdarsteller von „Oppenheimer“ auf dem schwarzen Premieren-Teppich: (v.l.n.r.) Matt Damon, Emily Blunt, Cillian Murphy und Florence Pugh - kurz danach gingen sie.

Es ist ihre größte Arbeitsniederlegung seit 40 Jahren: Die Schauspieler Hollywoods treten nach in der letzten Minute gescheiterten Verhandlungen mit den großen US-Filmstudios in den Streik. Der Vorstand der Schauspielergewerkschaft Screen Actors Guild (SAG-AFTRA) stimmte am Donnerstag einstimmig dafür, wie Verhandlungsführer Duncan Crabtree-Ireland in Los Angeles sagte. Der Streik soll in der Nacht zu Freitag beginnen.


Die Schauspieler fordern von den Streamingdiensten eine bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen sowie die Zusage, dass künstliche Intelligenz und computergenerierte Gesichter und Stimmen nicht als Ersatz für Schauspieler eingesetzt werden.

Weil seit elf Wochen auch die US-Drehbuchautoren ihre Arbeit niedergelegt haben, erlebt Hollywood damit erstmals seit mehr als 60 Jahren einen Doppelstreik, der die US-Film- und Fernsehindustrie zum Stillstand bringen dürfte. Die Screen Actors Guild, die rund 160.000 Schauspieler vertritt, forderte höhere Gagen sowie Zusicherungen zum künftigen Umgang mit Künstlicher Intelligenz.


Zahlreiche Schauspielerinnen und Schauspieler machten nach der Bekanntgabe ihre Unterstützung für den Streik öffentlich. „Wir werden das gewinnen", schrieb etwa „Sex and the City"-Star Cynthia Nixon bei Twitter. Auch Darsteller wie Josh Gad, Jamie Lee Curtis und Issa Rae signalisierten über die sozialen Medien ihre Unterstützung.


Stars verlassen „Oppenheimer"-Premiere

Direkt deutlich wurde der Streik bei der Premiere des lang ersehnten Films „Oppenheimer" in London. Waren die Hauptdarsteller Cillian Murphy und Emily Blunt kurz zuvor noch zusammen mit ihren Co-Stars Matt Damon und Florence Pugh über den roten, bzw. in diesem Fall schwarzen, Teppich gelaufen, verließ der Cast die Veranstaltung noch bevor der Film begann. In einem Video auf Twitter ist zu sehen, wie Regisseur Christopher Nolan im Kinosaal verkündet, dass sie gegangen seien, „um ihre Streikposten aufzuschreiben". Das Publikum reagierte daraufhin mit Applaus. Zuerst hatte die BBC über den Vorfall berichtet.


Dabei war die Premiere angesichts des drohenden Streiks schon vorverlegt worden: Hätte Sie eigentlich heute um 17.45 Uhr Ortszeit in London stattfinden sollen, wurde sie für eine Stunde früher angesetzt. Denn: Los Angeles ist acht Stunden hinter London. Und um viertel vor neun Uhr am Morgen war noch nicht mit einer endgültigen Entscheidung über den Streik zu rechnen. Beim ursprünglich geplanten Beginn eine Stunde später wäre es schon wahrscheinlicher gewesen, dass der schwarze Teppich von Anfang an deutlich leerer geblieben wäre.


Der Geschäftsführer und Verhandlungsführer der Screen Actors Guild Crabtree-Ireland sagte in einer Pressekonferenz, der Streik sei „ein Mittel der letzten Wahl". Er fügte hinzu: „Sie haben uns keine Alternative gelassen". Ähnlich formulierte es seine Kollegin SAG-Präsidentin Fran Drescher: „Wir sind hier die Opfer. Wir laufen Gefahr, durch Maschinen ersetzt zu werden."


Die Alliance of Motion Picture and Television Producers (AMPTP) - die Konzerne Netflix und Walt Disney vertritt - erklärte in einer ersten Stellungnahme, man sei „tief enttäuscht". Ein Streik sei „sicherlich nicht das Ergebnis ist, das wir uns erhofft haben, da die Studios ohne die Darsteller, die unsere Fernsehsendungen und Filme zum Leben erwecken, nicht arbeiten können". Die Gewerkschaft habe sich bedauerlicherweise für einen Weg entschieden, der für Tausende von Menschen, die von der Industrie abhängig sind, finanzielle Härten mit sich bringen werde.


Weiter hieß es, man habe in den Verhandlungen „historische Gehalts- und Tantiemen-Erhöhungen" sowie „einen bahnbrechenden KI-Vorschlag zum Schutz der digitalen Abbilder von Schauspielern" angeboten. Disney-CEO Bob Iger sagte dem Sender CNBC, die Gewerkschaften hätten unrealistische Erwartungen. Der Streik komme zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt für die Branche. Viele Streaming-Dienste haben bislang keinen Gewinn erzielt nach Milliarden-Ausgaben für Inhalte. Disney, Comcast, NBCUniversal und Paramount Global verloren im vergangenen Quartal jeweils Hunderte von Millionen Dollar im Streaming-Geschäft. Gleichzeitig ziehen Video-Apps das traditionelle TV-Publikum in ihren Bann und lasten damit auf den TV-Werbeeinnahmen.


Dreharbeiten von „Stranger Things" schon durch Autorenstreik beeinträchtigt

Experten erwarten erhebliche Auswirkungen auf die US-Film- und TV-Industrie. Die für Drehgenehmigungen im Raum Los Angeles zuständige Organisation FilmLA hat erklärt, die Arbeit an Serien wie „Stranger Things" und „The Handmaid's Tale" sei bereits durch den Autorenstreik zum Erliegen gekommen. Angesichts einer Produktionszeit von zwei bis zu drei Jahren ist dagegen zwar zunächst keine Unterbrechung bei Blockbuster-Filmen zu erwarten. Allerdings ist es etwa bei Marvels „Blade" bereits zu Verzögerungen gekommen. Selbst Produktionen im Ausland, wie etwa die Arbeit am zweiten Teil von „Gladiator" des Regisseurs Ridley Scott in Marokko und Malta, könnten wegen der Mitarbeit von Gewerkschaftsmitgliedern beeinträchtigt werden. Reality-Shows wie „The Bachelor" sind nicht betroffen.


Ein separater Streik der Writers Guild of America (WGA), die bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen fordert, läuft seit dem 2. Mai. Einige Autoren haben sich auf Projekte in der Gig Economy verlegt, die nicht durch den Vertrag zwischen der Gilde und der Alliance of Motion Picture and Television Producers abgedeckt sind. Dabei handelt es sich um einen Teil des Arbeitsmarktes, in dem kurzfristig Aufträge an Selbständige vergeben werden. In der WGA haben sich etwa 11.500 Autoren zusammengeschlossen. Eine dritte Gewerkschaft, die Directors Guild of America, hat im Juni erfolgreich einen Vertrag ausgehandelt und wird sich nicht beteiligen.


Zuletzt hatten die US-Schauspieler 1980 gestreikt. Damals dauerte der Streik mehr als drei Monate. Den letzten Doppelstreik von Schauspielern und Drehbuchautoren hatte es 1960 gegeben. Damals ging es um Tantiemen aus Filmen, die an Fernsehsender verkauft wurden. Chef der Screen Actors Guild war zu dem Zeitpunkt US-Präsident und Schauspieler Ronald Reagan.


Quelle: ssom./AFP/Reuters/dpa


Dieser Artikel war am 13.07.23 Aufmacher auf FAZ.NET

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