Stefanie Sommer

Journalismus-Studentin | FAZ, Mainz

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Fahrlehrer berichten: Darum fallen immer mehr Schüler durch

„Da vorne auf die Ampel achten“: Ein Fahrlehrer bereitet seine Schülerin auf die praktische Prüfung vor. | Bild: dpa

2022 gab es neben einer rekordverdächtigen Zahl an Führerscheinprüfungen auch eine rekordverdächtige Durchfallquote. Woran liegt das? Zwei Frankfurter Fahrlehrer geben Einblick in ihre Sicht auf den Fahrschüler von heute.


„Weniger ehrgeizig, weniger belastbar, weniger kommunikativ": So beschreibt Fahrlehrer Ingo Kirsch den durchschnittlichen Fahrschüler von heute. Und liefert damit vielleicht einen Grund, warum der TÜV am Freitag für das vergangene Jahr eine abermals angewachsene Durchfallquote von 37 Prozent bei den praktischen Führerscheinprüfungen für die Klasse B vermeldet hat, bei der theoretischen waren es sogar 42 Prozent. Kirschs Fahrschule ist in Frankfurt an gleich drei Standorten vertreten. Die große Zahl der Führerscheinprüfungen, die der TÜV für 2022 auf rund 3,6 Millionen theoretische und praktische Prüfungen bezifferte, hat er in seinem Unternehmen nur begrenzt wahrgenommen - es lief schon immer gut. Alteingesessene Fahrschulen wie seine profitieren von Mundpropaganda.


Trotzdem hat auch sein Geschäft einen Anstieg der Prüfungen um etwa 20 Prozent erfahren, etwa 120 Prüfungstage verzeichnete seine Fahrschule vergangenes Jahr. Besonders stark sei der Zuwachs in der Motorradausbildung gewesen, die im Gegensatz zum Autofahren eher als Luxus gelte. Kirsch erklärt sich dies vor allem mit den Bedingungen während der Corona-Pandemie. Manch einer, der zu Hause im Homeoffice saß, habe sich vermutlich überlegt: „Na ja, was mache ich denn mit meinem Geld? In den Urlaub kann ich nicht fahren, Zeit habe ich auch. Dann kann ich mir vielleicht mal einen Traum verwirklichen."


Wachsende Zuwanderungsrate erhöht Durchfallquote

Einen weiteren Grund für die stetig wachsende Zahl an Führerscheinprüfungen, zumindest in Großstädten, sieht der Fahrlehrer in der letzthin hohen Zuwanderungsrate: „Frankfurt ist ja eine multikulturelle Stadt.“ Auf dem Land sei das aber vermutlich wieder ein bisschen anders, da würden die Kollegen eher über zu geringe Schülerzahlen klagen.


Den wachsenden Migrationsanteil nennt Kirsch als einen weiteren Grund für die steigende Durchfallquote, vor allem in den theoretischen Prüfungen. Etwa 50 bis 60 Prozent machen die Prüflinge mit Migrationshintergrund in seiner Schülerschaft aus. Viele von ihnen seien „der deutschen Sprache eben nicht so mächtig. Da ist schon eine Sprachbarriere.“ Zwar bietet der TÜV die theoretische Führerscheinprüfung mittlerweile in zwölf Sprachen, darunter Polnisch, Arabisch und Türkisch, an. Viele würden sie nach Kirschs Erfahrung aber trotzdem auf Deutsch machen, was dann dazu führe, dass die Durchfallquote nach oben gehe.


Mit diesem Aspekt kennt sich Mustafa Yildiz gut aus. Er ist seit zehn Jahren mit seiner Fahrschule in Frankfurt selbständig und hat hauptsächlich migrantische Fahrschüler am Steuer. Häufig auch solche, die das klassische Prüflingsalter von 17 oder 18 Jahren schon länger überschritten haben. Sie brauchen laut Yildiz oftmals länger, weil sie die Sprache nicht so gut verstehen. Circa 250 Menschen brachte Yildiz voriges Jahr durch die Fahrprüfungen. Die Durchfallquote in seiner Fahrschule lag bei 30 bis 40 Prozent. Im Vergleich: Bei Kirsch fielen etwa 20 Prozent durch den ersten Versuch.


Und durch den zweiten, wenn nicht gar dritten? „Es gibt Leute, die fallen einmal durch und bestehen beim nächsten Mal direkt. Und dann gibt's welche, die fallen zwei-, drei-, viermal durch“, berichtet Kirsch. Letztere wollen dann kein Geld mehr für weitere Übungsstunden ausgeben. „Das ist ja auch verständlich bei den Preisen, die wir im Moment im Fahrschulgewerbe haben. Aber dann kann ich auch nicht erwarten, dass ich besser werde.“ Er nennt das „Sparen an der falschen Stelle“.


Und dann ist da ja noch die Sache mit den Prüfungen an sich. Mustafa Yildiz erklärt, dass besonders die theoretischen Prüfungen von Jahr zu Jahr schwieriger werden. Denn jährlich werden neue Fragen in den Katalog aufgenommen, rausgeworfen dagegen aber nur wenige: „Das sind über 1200 Fragen zurzeit, die werden immer mehr.“ Dafür, sagt Kirsch, gebe es heute aber Lern-Apps mit Lernkontrolle, die vieles erleichtern: „Früher musste man ja noch Kreuzchen auf dem Papier machen.“


Der Fahrschüler und das Internet

Als einen der gravierendsten Gründe für die auffällig sinkende Erfolgsrate in den Prüfungen nennen beide eins: das Internet. Diese neue Generation, die da jetzt hinter dem Steuer sitzt – sie unterscheidet sich aus Sicht der beiden Fahrlehrer in ihren Wertvorstellungen und Gewohnheiten sehr von den Jahrgängen vor ihr. Denn früher, als es etwas wie soziale Medien noch nicht gab, sei die Wertschätzung für den Führerschein und das Autofahren laut Kirsch eine ganz andere gewesen: „Wenn man sich treffen wollte, musste man mobil sein, da ist man von A nach B gefahren. Heute gründet man eine Whatsapp-Gruppe.“ Man brauche gar nicht mehr unbedingt ein Auto, um mit Freunden in Kontakt zu kommen. „Und in dem Moment, wo ich da keinen Wert mehr drauf lege, fällt natürlich auch so ein bisschen die innere Bereitschaft“, folgert Kirsch.


Durch den ständigen Medienkonsum seien viele junge Fahrschüler „geistig immer wo ganz anders“. Kirsch, der seit 33 Jahren als Fahrlehrer arbeitet, erzählt von einem besonders kuriosen Fall: Während einer praktischen Prüfung klingelte einmal das Handy des Prüflings. Der bemerkte es und wollte drangehen. „Bei einer Prüfungsfahrt, können Sie sich das vorstellen?“ Die Geschichte macht Kirsch immer noch sprachlos. „Das war für den das Normalste auf der Welt. Da war der Anrufer wichtiger als seine Prüfungsfahrt.“


Die hohe Handynutzung hat laut Kirsch auch noch einen ganz anderen Effekt. Wenn man früher als Kind bei den Eltern im Auto mitgefahren ist, gab es nichts anderes, das man machen konnte. Also habe man sich angeschaut, wie die Mutter oder der Vater denn eigentlich so fährt. Oder Schilderraten gespielt und sich über das Schild mit dem Spiegelei drauf gewundert. Als aktiver Beifahrer wächst man in Kirschs Augen schon ganz anders in das Verkehrsgeschehen rein.


Doch heute würden sich viele junge Leute ins Auto reinsetzen und nur mit ihrem Handy beschäftigen. „Die haben ja überhaupt keinen Blick mehr dafür, dass man mal beim Abbiegen Fußgänger rüberlässt oder dass man weiß, o. k., die haben Vorfahrt. Die werden wie so ein Taxi von A nach B gefahren und nehmen am Straßenverkehr mit null Komma null teil.“ Kirsch weiß aber auch: Wäre er heute in dieser Generation jung, wäre er genauso.


Weniger Stress, mehr „Take it easy“

Zu alledem kommt für Kirsch auch eine sinkende Belastungsgrenze hinzu. Immer wieder beobachtet er, dass seine Fahrschüler bei der Bedienung des Wagens schnell überfordert sind. Die Wurzeln davon sieht er im motorischen Bereich. Viele junge Leute können seiner Meinung nach nicht mal mehr einen Ball fangen oder auf einem Bein stehen. „Wenn die sich jetzt ins Auto setzen und mit Kupplung, Gas und Bremse klarkommen müssen … Am liebsten würden die ihren Führerschein am Computer machen.“


Ist das Bequemlichkeit? Bei seinen Schülern erlebt Kirsch eine immer größer werdende „Ach ja, ich probier’s mal“-Einstellung. Er erzählt eine weitere Anekdote: Den Rekord für die meisten Versuche in der Theorieprüfung hält eine Schülerin mit sage und schreibe 17 Anläufen. Die habe nie gelernt, sondern einfach immer nur die Prüfung gemacht – und dafür sehr viel Geld in die Hand genommen. Warum? „Weil sie keine Lust hatte“, sagt Kirsch.


Die junge Generation handle gerne nach dem Motto „Take it easy“. Besteht einer seiner Prüflinge die Theorie nicht, hört er oft den Satz: „Dann mach ich’s halt noch mal.“ Früher sei es laut Kirsch Ehrenkodex gewesen, die Prüfung zu bestehen, ansonsten wäre man „bei den Kumpels unten durch“ gewesen. Weil das Autofahren eben einen anderen Stellenwert hatte. Heute sei es nicht mehr schlimm, durchzurasseln, meint Kirsch.


Mit einem alten Gerücht möchten Kirsch und Yildiz auch noch aufräumen: Junge Männer lernen nicht schneller und besser Autofahren als Frauen. Beide sagen, dass ihre Fahrschülerinnen oft viel fleißiger und ehrgeiziger seien als die männlichen, besonders im theoretischen Teil. „Das kennt man ja auch aus der Schule, die besseren Noten haben immer die Mädels geschrieben“, meint Kirsch mit einem Augenzwinkern. Und aufgrund dessen, dass die jungen Frauen sich mehr mit den Regeln und Verkehrszeichen auseinandersetzen, seien sie den Männern am Ende sogar einen Tick voraus. Schließlich müsse man ja „nach allen Regeln der Kunst durch den Frankfurter Stadtverkehr fahren können“, sagt Kirsch.













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