Gegenseitiges Vertrauen ist einer der wichtigsten Antriebsriemen unserer Gesellschaft. Doch woher kommt es? Wie wird man vertrauenswürdig? Und warum ist diese Haltung gerade heute so wichtig?
Ein Essay von Stefan Schlögl
Braune Augen sind gut, blaue Augen weniger. Intelligenz schadet nicht, genauso wenig wie eine grundsätzlich optimistische Einstellung zum Dasein. Dazu noch einen Schuss des Hormons Oxytocin in den Drink des Gegenübers - und schon sind Sie das personifizierte Vertrauen.
Es ist, zieht man Studienergebnisse aus der einschlägigen Forschung zurate, also ziemlich einfach, Vertrauen herzustellen und als vertrauenswürdig zu gelten. Tatsächlich aber ist dieses Gefühl, diese Haltung zum Leben eine gefährdete Spezies. Überall, so scheint es, ist von einer „Vertrauenskrise" die Rede, sind einst als ehern bezeichnete Institutionen wie Politik, Kirche, Medien, ja auch Schule dem Verdacht ausgesetzt, das in sie gesetzte Vertrauen nicht einzulösen, gar zu missbrauchen.
Ein Gift namens „Fake News"Misstrauisch werden seit der Finanzkrise Banken und multinationale Konzerne beäugt, das Vertrauen in Informationen, Nachrichten, Journalisten, die Medien an sich, hat heftig Schlagseite bekommen. Stattdessen träufelt ein Gift namens „Fake News" in die sozialen Kanäle. Nicht zuletzt in der Politik ist allenthalben von „Vertrauensbruch" des Koalitionspartners, des (ehemaligen) Parteikollegen etc. die Rede.
Gleichzeitig wird das V-Wort in schöner Regelmäßigkeit abgefragt, beschworen, eingefordert - ganz gleich, ob beim Bäcker ums Eck, in der hohen Politik oder in der Liebe. Während der eine seine Semmeln mit dem Hinweis auf regionale Zutaten und dem Vertrauen auf Nachhaltigkeit und ehrliches Handwerk veredelt, werden Politiker in Umfragen regelmäßig per Vertrauensfrage vermessen.
Eine Erkundigung, die in abgewandelter Form nicht zuletzt über den Bestand, die Zukunft jeder Beziehung entscheidet. Vertraust du mir? Kann ich dir vertrauen? Vertrauen wir einander? Mehr Fragen bedarf es nicht, um den Wert einer Ehe, einer Freundschaft, einer beruflichen Partnerschaft oder das vielzitierte „Vertrauensverhältnis" zwischen Eltern und ihren Kindern, Lehrerinnen und Lehrern und Schülerinnen und Schülern zu verorten.
Ein Schmiermittel unserer GesellschaftVertrauen ist, so könnte man sagen, das Schmiermittel unserer Gesellschaft. Wer vertraut, schließt eine Wette auf die Zukunft ab und geht davon aus, dass sich eine Sache oder eine Vereinbarung wie versprochen bzw. erhofft entwickelt. Wo diese Übereinkunft fehlt, gibt es keine Verbindlichkeit, keine Verlässlichkeit, ist jede Beziehung, sei es beruflich oder privat - zum Scheitern verurteilt.
Zu groß jedoch sollte der Glaube in das Gute auch wieder nicht sein. Vom nigerianischen Prinzen, der via E-Mail ein Vermögen verspricht, über den vom Urlaubshotel aus „perfekt erreichbaren" Strand bis zum treuherzig blickenden Filius, der natürlich nichts anderes macht, als für die Prüfung zu büffeln, hält der Alltag genügend Anlässe für das vielzitierte gesunde Misstrauen bereit. „Zu wenig und zu viel Vertraun [sic] sind Nachbarskinder", beschreibt Wilhelm Busch dieses ständige Ausbalancieren zwischen Optimismus und Skepsis.
Warum jedoch dieser Vorschuss an Zuversicht, diese Überzeugung bei dem einen stärker, bei dem anderen schwächer ausgeprägt ist - darauf gibt es nicht die eine Antwort. Vielmehr hängt der Grad der Vertrauensseligkeit eines Menschen von unzähligen Faktoren ab - von der Situation etwa, von Vorurteilen, vom Informationsstand und Vorwissen.
Das Urvertrauen - gewissermaßen die Grundeinstellung, mit der wir unserer Umwelt begegnen - ist nichts anderes als erlerntes Verhalten, eine Erfahrung, die bis zu unserer Kindheit zurückreicht. Zwei Faktoren sind Psychologen zufolge für dessen Entwicklung verantwortlich: Selbstvertrauen, also die Zuversicht in die eigenen Fähigkeiten, sowie die Ausbildung eines Fremdvertrauens und damit die prinzipielle Gewissheit, sich auf Eltern, Geschwister, später Freundinnen/Freunde und Lehrer/innen verlassen zu können.
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