Stefan Rochow

Journalist und Medienunternehmer, Schwerin

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Lagerwahlkampf in Berlin

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Bisher galt immer: Wenn nichts mehr geht, eine Große Koalition geht immer – Nun denkt der Regierende Bürgermeister über Rot-Rot-Grün nach. Von Stefan Rochow

Am 18. September wird in Berlin ein neues Abgeordnetenhaus gewählt. Die Volksparteien SPD und CDU werden kräftig Federn lassen müssen. Bisher galt die Dichotomie, dass sich mit der SPD und der CDU zwei große Parteien gegenüberstehen und sich im politischen Gefüge gegenseitig ergänzen. Die politische Stabilität ging einher mit der Stabilität der beiden Volksparteien. Das ist vorbei.

CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel stemmt sich verzweifelt gegen das vorhergesagte Hauptstadtdesaster. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA vom 11. August würden nur 18 Prozent der Wähler den Berliner Christdemokraten ihre Stimme geben. Die jüngste Umfrage von Infratest dimap vom 17. August sieht die CDU bei 20 Prozent und damit knapp hinter der SPD, die auf 21 Prozent kommen würde. Die SPD, die bis jetzt eine Koalition mit der CDU bildet, ist schon vor Monaten auf Distanz zu ihrem Bündnispartner gegangen. Die Stimmung wurde immer eisiger und die Scheidung scheint unvermeidlich. Michael Müller, der Regierende Bürgermeister, hat Frank Henkel gerade erst als „Bremser und Blockierer“ bezeichnet und spätestens damit einen Lagerwahlkampf in Berlin eingeleitet.

Ohnehin sieht es im Moment nicht danach aus, dass es nach der Wahl für ein Zweierbündnis reichen wird. Bisher galt immer die Devise: Wenn nichts mehr geht, eine Große Koalition geht immer. Angesichts der Schwäche der Volksparteien gehört das der Vergangenheit an. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller hat die CDU als Koalitionspartner längst abgeschrieben und in dieser Woche laut über ein rot-rot-grünes Bündnis aus SPD, Linke und Grünen nachgedacht.

Wundern darf sich Henkel darüber nicht. Mit seiner Forderung nach einem Burka-Verbot und der Abschaffung des Doppelpasses hatte er sich schon zuvor deutlich von der SPD abgegrenzt. In der rot-schwarzen Partnerschaft hat es schon seit langer Zeit gerumpelt. Ob bei der Frage der Integration oder dem öffentlich ausgetragenen Streit zwischen dem Regierenden Bürgermeister Müller und seinem Innensenator Henkel über den Umgang mit den Hausbesetzern in der Rigaer Straße 94 – Harmonie zwischen Bündnispartnern sieht anders aus.

Henkel wirkt wie ein Getriebener und gibt sich mit Vorliebe als schwarzer Sheriff von Berlin. Er schielt damit auf Stimmen aus einer Richtung, die ihm das Wahlergebnis kräftig versalzen kann. Die AfD legt auch in Berlin von Umfrage zu Umfrage zu. Henkel weiß spätestens seit den vergangenen drei Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, dass die Rechtspopulisten die große Unbekannte am Wahlabend sein werden. Bei 14 und 15 Prozent sehen Demoskopen die AfD im Moment. Hinter vorgehaltener Hand weiß aber jeder Wahlstratege, dass die AfD durchaus das Zeug hat, den großen Parteien noch viel näher auf den Pelz zu rücken. Davor fürchtet man sich nicht nur in der CDU-Landesgeschäftsstelle.

Der Berliner CDU geht es wie den Landesverbänden in den jüngsten Wahlkämpfen auch: Sie fühlen sich von der Bundespartei im Stich gelassen. Viele langjährige Wähler misstrauen seit der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel der CDU und könnten diesmal ihr Kreuz bei der AfD machen. Henkel ist in einem Dilemma verfangen. Auf der einen Seite muss er loyal zur Kanzlerin stehen, auf der anderen Seite ist es die Bundes-CDU, die ihm das Leben schwer macht. Als der Berliner Innensenator, mit seinen Innenminister-Kollegen der Union, in der „Berliner Erklärung“ das Burka-Verbot und die Aufhebung der doppelten Staatsbürgerschaft andachte, kam prompt aus dem unionsgeführten Bundesinnenministerium und dem Kanzleramt eine klare Absage. Doppelpass-Abschaffung wird es nicht geben und ein Burka-Verbot könnte nicht verfassungskonform sein. Für den Wahlkämpfer Henkel ein Tiefschlag. Wie ein angeschlagener Boxer hängt er seitdem in den Seilen.

Berlin braucht einen Aufbruch. Der Unmut der Menschen mit ihrer Stadtregierung ist schon lange nicht mehr zu überhören. Als Michael Müller im Dezember 2014 von Klaus Wowereit das Amt des Regierenden Bürgermeisters übernahm, versprach er, aus den desolaten Berliner Behörden funktionsfähige, bürgergerechte und kundenfreundliche Verwaltungen zu machen, die nicht jeden Amtsbesuch zum Drama werden lassen. Passiert ist bisher noch nicht viel. Noch im Juni stand kurzzeitig sogar im Raum, dass man die Wahl verschieben müsse. Die Landeswahlleiterin hatte Softwarefehler öffentlich gemacht, die zwar inzwischen behoben sind, aber deutlich zeigen, dass Vieles in der Stadt im Argen liegt. Zwar feiert der Senat den Zuzug neuer Menschen in die Bundeshauptstadt, schafft aber keine Bedingungen, die Menschen gerne in ihrer Stadt leben lässt.

Wer sich in Berlin umhört, erfährt von zwei Welten: Auf der einen Seite das innovative, zukunftsorientierte Berlin, das weltweit Anziehungskraft auf kreative Menschen hat. Ein Berlin, das ein Jobmotor ist, wo die Wirtschaft mit der Gründerwelle und vielen neuen Jobs in diesem Bereich boomt. Auf der anderen Seite die Ämter, die eher bremsen und sich immer mehr zu einem Ärgernis entwickeln. Es ist ein Wunder, dass es dem Senat nicht gelungen ist, den Enthusiasmus dieser Menschen zu erschüttern. In Berlin wird alles verschoben, nicht nur die Eröffnung des Flughafens Berlin-Brandenburg (BER), mit der es auch im Jahr 2018 knapp werden soll. Nichts geht voran. Das dürfte sich auch nach der Wahl nicht wesentlich ändern.
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