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Neuer Taliban-Chef für US-Drohne gesucht

Friedensgespräche zwischen militanten Islamisten und Islamabad standen kurz bevor. Doch bevor es dazu kam, schlug eine US-Drohne zu

Das Büro des afghanischen Präsidenten Hamid Karzai fand den Zeitpunkt unpassend, Pakistans Innenminister Chaudhry Nisar nannte es Mord, und die pakistanischen Taliban waren außer sich: "Jeder Tropfen seines Blutes wird sich in einen Selbstmordattentäter verwandeln." Die Reaktionen auf den Tod Hakimullah Mehsuds, Anführer der pakistanischen Taliban, der bei einem US-Drohnenangriff am Freitag ums Leben kam, waren wütend.

Die Tehrik-i-Taliban (TTP), Pakistans Taliban, sind ein loser Zusammenschluss aus 30 militanten Gruppen aus den pakistanischen Stammesgebieten entlang der Grenze zu Afghanistan. Ihr Zentrum liegt jedoch in Wasiristan, wo die TTP im Jahr 2007 von Baitullah Meshud gegründet wurde. Viele der Kommandeure der pakistanischen Taliban haben in Afghanistan gekämpft und so ihre afghanischen Brüder an die Macht gebracht. Als die USA nach dem 11. September 2001 einmarschierten, flohen viele der Militanten nach Pakistan. Die TTP-Kommandeure waren großzügige Gastgeber - auch für Kämpfer der Al-Kaida.

Welle der Gewalt

Doch durch die steigende Präsenz der militanten Islamisten wurden auch die Stammesgebiete radikalisiert, die TTP konnte ihren Einfluss steigern und sich tief ins pakistanische Kernland ausbreiten. Schnell wurde die TTP zu einem gefürchteten Feind des pakistanischen Staates. Für die unerbittlichen Drohnenkampagnen der Amerikaner, einen Bombenangriff auf eine Madrasa im Jahr 2006 und die Belagerung der Roten Moschee im Jahr 2007 schworen sie Rache.

Sie drangen tief in den pakistanischen Militärapparat vor, griffen bei einem Selbstmordattentat die Kantine einer Spezialeinheit an, nahmen Geiseln im Hauptquartier des Generalstabs der Armee und attackierten im September 2008 das Hotel Marriott in Islamabad und 2009 das Hotel Pearl Continental in Peshawar. Auch das Attentat auf Benazir Bhutto wurde der radikal-islamischen Gruppe zugeschrieben, hinter dem Attentat auf Malala Yousafzai sollen ebenfalls die pakistanischen Taliban stecken.

Für die Vereinigten Staaten war die TTP eine Terrororganisation, sie setzten daher fünf Millionen Dollar für die Ergreifung ihres Anführers Hakimullah Mehsud aus. Der erlitt nun das gleiche Schicksal wie sein Vorgänger. Hakimullah Mehsud wurde Anführer der TTP, nachdem sein Vorgänger Baitullah Meshud im August 2009 ebenfalls bei einem Drohnenangriff getötet wurde.

Vom Fahrer zum Taliban-Kommandeur

Begonnen hat Mehsud seine Karriere als Fahrer für die Taliban, stieg aber schnell die Karriereleiter empor. Zu verdanken hat er seinen Aufstieg zum Taliban-Kommandeur unter anderem seinem Ruf als rücksichtsloser und grausamer Anführer. Als Sultan Amir, ein pakistanischer Geheimdienstoffizier, von den militanten Islamisten gefangen genommen wurde, baten Verbündete und befreundete Taliban-Kommandeure, darunter auch der afghanische Taliban-Chef Mullah Omar, um Gnade. Amir arbeitete oft und lange mit den Taliban zusammen. Doch Hakimullah Mehsud ignorierte die Gnadengesuche und war bei der Hinrichtung Amirs persönlich anwesend.

Vor den US-Drohnen, die ihn letztlich töteten, hatte Mehsud keine Angst: "Wir müssen alle einmal sterben", meinte er in einem seiner seltenen Interviews mit der BBC vor wenigen Wochen.

Nachfolge

Die Suche nach einem Nachfolger könnte sich schwierig gestalten, wurde doch mit Abdullah Behar bei dem Angriff am Freitag auch Mehsuds Stellvertreter getötet. Behar wurde erst kürzlich Ersatzmann, nachdem der bisherige Stellvertreter, Latif Mehsud, in Afghanistan in US-Gefangenschaft geriet.

Sosehr Mehsud vor seinem Tod bei vielen Pakistanern verhasst war, so sehr bedauern nun Politiker und die pakistanische Öffentlichkeit seinen Tod. Nach Jahren der Kämpfe, Anschläge und Gegenoffensiven wollte die pakistanische Regierung in Friedensverhandlungen mit den militanten Islamisten treten. Einen Tag bevor eine Regierungsdelegation in die nordwestlichen Provinzen fahren sollte, um das Gespräch mit der TTP zu suchen, schlug jedoch die US-Drohne zu. Pakistans Innenminister Nisar nannte den tödlichen Drohnenangriff "einen Versuch, die Friedensgespräche zu sabotieren".

Viel hängt nun davon ab, wer Mehsud als Chef der TTP folgt. Von der US-Drohnenkampagne noch unbeschadet blieb bisher Khan Said Sajna, Kommandeur der Anhänger von Waliur Rehman (Rehman wurde im Mai 2013 selbst Opfer eines US-Drohnenangriffes). Sajna favorisierte bis Freitag Friedensgespräche mit Islamabad, galt aber innerhalb der TTP auch als Gegner von Hakimullah Mehsud. Ob er auch nach dem Tod Mehsuds offen für Gespräche ist, bleibt jedoch offen. ( Stefan Binder, derStandard.at, 5.11.2013)


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