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Der Tag, an dem Somalias Krieg nach Nairobi kam

Mindestens 62 Menschen starben bei einem Attentat auf ein Einkaufszentrum in Kenias Hauptstadt. Die Rache Al-Shabaabs kam jedoch nicht unerwartet

Bis letzten Samstag deutete in den Straßen Nairobis nur wenig auf einen Krieg hin. Sogar im diesjährigen Wahlkampf spielten die Kämpfe im nordöstlichen Nachbarland Somalia eine Nebenrolle - Debatten über Abgeordnetengehälter und den Internationalen Strafgerichtshof waren wichtiger. Doch dann trugen die somalischen Al-Shabaab-Milizen ihren Kampf in Kenias Hauptstadt: Mindestens 62 Menschen wurden getötet und mehr als 175 verletzt, als Attentäter der radikalen Islamisten das glamouröse Westgate-Einkaufszentrum stürmten.

Trotzdem kam der Angriff alles andere als überraschend. Seit im Oktober 2011 rund 4.000 kenianische Soldaten über die Grenze in das vom Bürgerkrieg gebeutelte Somalia geschickt wurden, um die radikalen Islamisten zurückzudrängen, hat Al-Shabaab Rache geschworen.

Zwar haben die somalischen Islamisten in der Vergangenheit immer wieder Drohungen verkündet, die sie nicht wahr machen konnten, doch manche Racheschwüre setzten sie schon in der Vergangenheit in die Tat um: Vor drei Jahren starben 76 Menschen, die in der ugandischen Hauptstadt Kampala das Finale der Fußball-WM auf Leinwänden verfolgten, bei einem Doppelanschlag. Es war Al-Shabaabs Antwort auf das Engagement ugandischer Truppen unter dem Mandat der Afrikanischen Union in Somalia.

Entführungen und Piraterie

Das militärische Engagement Kenias in Somalia war anfangs unilateral. Dem Land ging es weniger um die Stabilisierung Somalias als darum, die islamistischen Milizen zu vertreiben, um eine Pufferzone zwischen den beiden Staaten zu etablieren. Das Gebiet, das die kenianische Regierung schaffen wollte, sollte ein Überschwappen des Konflikts auf Kenia verhindern, für das Fremdenverkehr und Schifffahrtsindustrie so wichtig sind. Das Land hatte auch allen Grund, besorgt darüber zu sein.

Vor dem Eingreifen des kenianischen Militärs standen Piraterie und Entführungen in Somalia auf der Tagesordnung. Als die Beute in Somalia selbst immer geringer wurde, versuchten die somalischen Piraten und Kidnapper ihre Fühler weiter auszustrecken. Kenianische Urlaubsresorts mit reichen westlichen Touristen schienen da geradezu perfekt zu sein: Ausländer wurden in mehreren Urlaubsresort entführt, internationale Helfer im somalisch-kenianischen Grenzgebiet.

Gleichzeitig machten immer mehr Schiffe wegen der Piraten-Bedrohung einen großen Bogen um den für Kenia so wichtigen Hafen Mombasa. Der nicht enden wollende Flüchtlingsstrom aus Somalia setzte das Land weiter unter Druck. Eine Lösung musste her, und so wurden Truppen nach Somalia geschickt - für die ohnehin unpopuläre Regierung auch eine Möglichkeit, von ihren eigenen Problemen abzulenken, vor allem der weit verbreiteten Korruption.

Erfolg mit Konsequenzen

Der Erfolg gab ihr anfänglich recht: Ohne jegliche Zurückhaltung gingen kenianischen Truppen in die Offensive und vertrieben Al-Shabaab aus wichtigen Hochburgen. Sogar aus Kismayo, ihrer De-facto-Hauptstadt, mussten die radikalen Islamisten fliehen. Der kenianische Vormarsch hatte sogar einen ungeplanten Nebeneffekt: Die Offensive im Süden nahm Druck von den Truppen der Afrikanischen Union in Mogadischu, was der Stadt einen seltenen Auftrieb und Entspannung brachte.

Al-Shabaab hingegen kam immer mehr unter Druck: Sie verlor beständig an Territorium und Bedeutung und wurden immer mehr in den Untergrund gedrängt. Genau dieser Verlust an Einfluss durch den kenianischen Einmarsch ist für die islamistischen Milizen auch die Legitimation für ihren Anschlag auf das Einkaufszentrum.

Vorlage Mumbai

Der Anschlag ist allerdings auch ein Warnsignal für Nichtkenianer. Denn der Angriff ähnelt in seiner Taktik dem Anschlag von Mumbai 2008, bei dem 164 Menschen ums Leben kamen und der seither offenbar als Vorlage für weitere Anschläge dient. Selbst in einer Stadt wie Nairobi, in der die Sicherheitsvorkehrungen in öffentlichen Gebäuden und sogar Supermärkten deutlich höher sind als in Europa, ist ein derartiges Attentat offenbar leichter und auch billiger als aufwendige und teure Bombenanschläge zu bewerkstelligen.

Einige opferbereite Männer, Maschinenpistolen und Munition reichen, um Chaos, Tod und vor allem Aufmerksamkeit zu erzeugen. ( Stefan Binder, derStandard.at, 23.9.2013)

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