
Auslandskorrespondenten schätzen Wien nicht nur wegen der Lebensqualität. Die Stadt ist mediale Drehscheibe für Zentral- und Osteuropa. © pixabay
Mehr als 100 ausländische Korrespondenten leben und arbeiten in der österreichischen Bundeshauptstadt. Hans-Peter Siebenhaar, Handelsblatt-Korrespondent und Präsident des Verbandes der Auslandspresse in Wien, erklärt warum Wien weiterhin Drehscheibe für Journalisten aus dem Ausland ist.
Für viele Korrespondenten sind New York oder London Traumposten. Warum haben Sie sich für Wien entschieden?
Hans-Peter Siebenhaar: Mein Motiv nach Wien zu kommen, war, das andere Europa kennenlernen zu wollen. Ich lebte und arbeitete zuvor in Düsseldorf. Da fährt man zum Mittagessen in die Niederlande, zum Spazierengehen nach Belgien und wenn man am Wochenende fortfahren will, setzt man sich ins Auto und ist in vier Stunden in Paris. Also ein sehr westeuropäisch geprägter Blickwinkel auf Europa.
Ich wollte das neue Europa journalistisch erkunden und meinen Blick auf Europa erweitern. Deswegen ist Wien für mich ein Eldorado. In Österreich und Osteuropa habe ich Zugang zu vielen CEOs, zu Regierenden, zu Mächtigen und Nicht-Mächtigen. Sprich: Ich habe unmittelbare Informationen und das ist sehr reizvoll. Was ich wie meine Kollegen genieße, ist, dass über alle Parteien hinweg die internationalen Journalisten in Österreich geschätzt werden. Wir treffen nicht auf geschlossene Türen, sondern die Türen gehen in der Regel weit auf, weil viele österreichischen Unternehmen exportorientiert sind und deshalb natürlich großen Wert auf eine internationale Wahrnehmung legen. Ist diese niedrige Barriere, um Zugang zu bekommen, ein österreichisches Spezifikum, oder gibt es das auch in anderen Ländern? Es gibt hier hohen Respekt vor den internationalen Korrespondenten. Der ist auch deshalb so groß, weil sie unabhängig sind. Die kann man nicht in den Schwitzkasten nehmen. Deshalb ist auch die Glaubwürdigkeit der internationalen Journalisten in Österreich groß. Dieser Respekt und das Interesse an der internationalen Medienberichterstattung ist ein Privileg.
Haben es Auslandskorrespondenten in Österreich vielleicht sogar einfacher als heimische Journalisten?
Es gibt sicherlich etliche Akteure, die durchaus ausländische Medien bevorzugen, weil sie Dinge über ausländische Medien wieder nach Österreich herein spielen können. Es wird gerne mit uns gesprochen, um auch innenpolitisch zu wirken. Insofern besitzen wir bisweilen in Österreich einen Wettbewerbsvorteil.
Was macht der Verband der Auslandspresse in Wien, dessen Präsident Sie sind? Der Verband der Auslandspresse in Wien ist die Dachorganisation, in der die Auslandskorrespondenten organisiert sind. Wir haben derzeit mehr als 100 Mitglieder - von Japan über die Mongolei und Russland bis nach Ost- und Westeuropa. Daneben sich auch Presseagenturen wie dpa, Bloomberg oder AP bei uns organisiert. Natürlich sind auch zahlreiche deutsche Kollegen von Frankfurter Allgemeinen Zeitung über Süddeutsche Zeitung und Welt bis hin zu ARD, ZDF und Deutsche Welle Mitglieder der Auslandspresse.
Manche Kollegen interessieren sich sehr für die internationalen Organisationen in Wien, wie OSZE, Uno oder Opec. Andere sind vorrangig für österreichische Innen- und Außenpolitik hier. Aber es gibt auch Mitglieder, die machen überwiegend weiche Themen wie Lifestyle, Design. Die Bandbreite unserer Mitglieder ist sehr groß.
In der Auslandspresse haben wir vielfältige Aktivitäten. Diese Woche hatten wir ein Hintergrundgespräch mit Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein. Davor unternahmen wir eine viertägige Recherchereise nach Rumänien angesichts der Präsidentenwahl. Aber wir machen auch weichere Themen wie den Besuch des Hauses der Geschichte. Darüber hinaus veranstalten wir zwei hochkarätige Kongresse: Den europäischen Mediengipfel in Lech am Arlberg, der Ende November stattfindet und eher politisch sowie europäisch ausgerichtet ist. Im Sommer veranstalten wir den „Medienmittelpunkt Ausseerland", der eher ökonomisch ausgerichtet ist.
Wie viele der Korrespondenten arbeiten auf freier Basis, wie viele sind angestellt?
Wir haben keine Erhebung dazu. Doch wahrscheinlich arbeitet die Mehrzahl frei oder pauschal. Es ist immer mehr ein Privileg, wenn Medien nach dem klassischen Modell einen Korrespondenten nach Wien entsenden. Das hat natürlich etwas mit der wirtschaftlichen Lage der Medien zu tun. Insgesamt ist die Auslandspresse in Wien sehr heterogen: manche der Kollegen sind längere Zeiträume oder sogar ein ganzes Arbeitsleben hier, während die entsandten Kollegen aus Deutschland oft nur ein paar Jahre in Österreich arbeiten und dann in ein anderes Land oder zurück in die Zentrale gehen.
Mit acht Millionen Einwohnern ist Österreich ein eher klein geratenes Land, die Zahl von mehr als 100 Korrespondenten klingt dafür doch viel? Das lässt sich leicht erklären: Ich bin hier wie viele meiner Kollegen nicht nur für Österreich, sondern auch für Südosteuropa zuständig. Mein Einzugsgebiet reicht vom Bodensee bis zum Schwarzen Meer und zur Adria. Wien ist einer des großen Hubs für Mittel- und Osteuropa. Dafür dass so viele Korrespondenten in Wien und nicht in Budapest oder Prag leben und arbeiten, gibt es eine ganze Reihe Gründe.
Zunächst einmal ein ganz praktischer Grund: Die Austrian Airlines (AUA) verbindet von Wien aus alle Hauptstädte - und selbst Provinzstädte - in Osteuropa. Man kann innerhalb von eineinhalb Stunden in Bukarest, Tirana, Skopje oder Sofia sein. Hinzu kommt das immer besser werdende Straßennetz: Ich bin von Wien schneller in Laibach, Prag oder Budapest als in Bregenz oder Innsbruck.
Der zweite Grund: in Wien gibt es ein internationales Umfeld mit vielen Kompetenzfeldern. Wenn ich einen ökonomischen Überblick über Mittel- und Osteuropa, dann gibt es dafür Institute, Think Tanks, Stiftungen und Wissenschaftler in Wien. Darüber hinaus gibt es hier auch viele Unternehmen, die von Wien aus die Region betreuen. Diese Hub-Funktion hat sich im ökonomischen Bereich teilweise etwas abgeschwächt. Firmen verlegen ihre Zentral- und Osteuropa-Hauptquartiere immer öfter nach Prag, Warschau oder Bratislava. Hat Wien als Hub für diese Region auch medial an Bedeutung verloren? Wirtschaftlich nimmt die Hub-Funktion nicht zuletzt wegen der hohen Steuer- und Personalkosten ab. Medial allerdings nicht. Hinzu kommt auch der sprachliche Vorteil: In Wien wird deutsch gesprochen, und Englisch ist die Lingua Franca.
Ein nicht zu unterschätzender Vorteil für den Medienstandort Wien ist die hohe Lebensqualität und die überdurchschnittliche Infrastruktur. Korrespondenten leben und arbeiten nun mal viel lieber in Wien als in Preßburg, Budapest oder Belgrad - trotz der niedrigeren Steuern dort. Wie ist der Kontakt zu den heimischen Journalisten? Manchmal leben Auslandskorrespondenten ja in einer Blase unter sich. Es gibt das Netzwerk der internationalen Journalisten. Wir sind im engen Austausch. Man hilft sich gegenseitig. Die Korrespondenten sind quasi eine kleine Solidargemeinschaft. Der Verband der Auslandspresse ist sozusagen deren Dach. Es gibt keinen Graben zwischen internationalen und nationalen Medien. Eine Sprachbarriere existiert nicht. Zudem sind die österreichischen Journalisten sehr an internationaler Berichterstattung interessiert. In der Arbeit gibt es viele Schnittmengen. Daraus erwachsen auch länderübergreifende Freundschaften. Wie nehmen Sie die Medienlandschaft hierzulande wahr? Positiv finde ich die Vielfalt der Medien in einem Markt von achteinhalb Millionen Menschen. Erfreulich ist auch, dass in Österreich immer wieder neue Medien entstehen. Ich finde auch die Qualität des öffentlich-rechtlichen Fernsehens sehr gut: Der ORF bringt mit seinen überschaubaren finanziellen Mitteln eine teilweise höhere Programmleistung als die Konkurrenten außerhalb Österreichs.
Negativ fand ich in Zeiten der „message control" das geringe Selbstbewusstsein der Journalisten gegenüber den Mächtigen. Auch die geringe Konfliktfähigkeit und die viel zu starke Vernetzung mit den Mächtigen fällt negativ auf. Auf Wienerisch „Verhaberung"? Genau. Wie nehmen Sie Wien als Medienstandort war? Der Standort Wien ist professionell gemanagt. Ich finde die Dienstleistung, die zum Beispiel der Bundespressedienst erbringt, sehr vorbildlich. Man hat Zugang zu allem, es funktioniert alles. Darüber hinaus gibt es ein engmaschiges Netz an PR-Agenturen und Unternehmenskommunikatoren. Ich muss sagen, dass die Kommunikation im Vergleich zu Deutschland genauso gut ist - streckenweise sogar besser. Welche Rolle nimmt Berichterstattung über Österreich in deutschen Medien ein? Als ich 2013 nach Österreich kam, regierte noch die Große Koalition. Ich sagte zu Gabor Steingart (langjähriger Handelsblatt-Herausgeber und Chefredakteur, Anm.) nichtsahnend: "Österreichische Innenpolitik erscheint relativ langweilig. Ich möchte darum auch noch andere Kompetenzfelder betreuen, die spannend und wichtig sind. Ich würde mich gerne ums Öl kümmern, schließlich sitzt in Wien die Opec." Wie sehr hatte ich mich getäuscht.
Inzwischen warte ich auf meinen sechsten österreichischen Kanzler. Ich glaube, die politische Aufmerksamkeit - nicht zuletzt auch durch den Polit-Star Sebastian Kurz - ist in den vergangenen Jahren größer geworden. Der Durchbruch in der medialen Aufmerksamkeit war 2015 die Flüchtlingskrise und deren politische Folgen. Da hat man in Deutschland erkannt, wie wichtig die mittel- und osteuropäischen Staaten sind und wie wichtig auch der Partner Österreich ist. Die politische Bedeutung Österreichs ist medial zweifellos größer geworden in den vergangenen Jahren. Ihr Aufgabenbereich ist sehr breit. Haben Sie in diesem turbulenten Jahr - Stichwort Ibiza - personell Unterstützung vor Ort bekommen oder waren Sie auf sich allein gestellt? Ich bin als Korrespondent nur scheinbar auf mich allein gestellt. Denn bei verschiedenen Themen hole ich Kollegen aus Deutschland hinzu, die dann auch für Gespräche nach Österreich reisen. Als die Ibiza-Affäre aufgedeckt wurde, hatten wir beim Handelsblatt tatsächlich überlegt, noch Verstärkung vorübergehend nach Wien zu schicken. Aus einer Reihe von Gründen war das am Ende aber nicht notwendig. Der größte innenpolitische Skandal des vergangenen Jahrzehnts in Österreich wurde ausgerechnet durch zwei ausländische Medien - SZ und Spiegel - aufgedeckt. Warum? Es ist ein ungewöhnlicher Vorgang, dass zwei Leitmedien des Nachbarlandes den größten Skandal in der Geschichte der Zweiten Republik aufdecken und innerhalb von 24 Stunden die Regierung aus den Angeln heben. Mir würde kein vergleichbarer Fall einfallen. Für internationale Medien entstand dadurch ein Bedeutungszuwachs.
Hat sich in den deutschen Redaktionen das Bild Österreichs gewandelt? Es ist vollkommen klar, dass Österreich derzeit aus einer ganzen Reihe von Gründen sehr interessant ist: Wir stehen an der Schwelle einer Schwarz-Grünen Koalition. Wenn das zustande käme, wäre das eine Blaupause für Berlin. Wenn man sich die wirtschaftlichen Verflechtungen ansieht, ist Österreich wichtig und spannend: Volkswagen ist im Besitz zweier österreichischer Familien, René Benko, Strabag und Porr haben zahlreiche Bauprojekte in Deutschland, OMV, Voestalpine und Verbund sind der Bundesrepublik aktiv, deutsche Firmen wie Siemens, Infineon oder Boehringer-Ingelheim sind wiederum in Österreich stark engagiert. Unabhängig von Ibiza, ist die Verknüpfung so stark, dass die Aufmerksamkeit für Österreich kontinuierlich vorhanden ist oder sogar noch wächst.
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