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Essenerin: So ist mein Ehrenamt als Kinderhospizbegleiterin

Seit vier Jahren unterstützt Kledia Stefanie die Familie von Mia im Alltag, jeden zweiten Samstagvormittag verbringen die beiden zusammen – und lachen dabei immer besonders viel. Foto: Privat

Essen. Kledia Stefani unterstützt die Familie der schwer kranken Mia in Essen - als Kinderhospizbegleiterin. Was ihr Ehrenamt ausmacht.

Als Kledia Stefani zum ersten Mal bei Mia klingelt, ist sie aufgeregt. „Ich weiß noch ganz genau, wie ich zu ihr reingegangen bin. Das war ein gutes Gefühl", erinnert sie sich. Mia (16) ist schwerkrank, Stefani ihre Kinderhospizbegleiterin. Seit vier Jahren engagiert sich die 38-Jährige im Kinder-Palliativ-Netzwerk der Caritas-SkF in Essen. Zusammen mit rund 50 anderen Ehrenamtlichen unterstützt sie „lebensverkürzend erkrankte" junge Menschen und ihre Familien im Alltag.

Jeden zweiten Samstagvormittag verbringen Stefani und Mia gemeinsam. Sie singen und tanzen, hören Musik und spielen auf kleineren Instrumenten. „Es ist so schön, dass wir die Musik gemeinsam genießen können", sagt Stefani, die als Konzertpianistin an der Folkwang-Universität arbeitet. Die beiden verbindet noch eine weitere Leidenschaft: Bücher. Als sie sich aufgrund der Corona-Pandemie zeitweise nicht treffen konnten, las Stefani Mia stundenlang per Videoanruf Geschichten vor.

„Einmal habe ich ihr ein Buch mit ziemlich schwarzem Humor vorgelesen. Und da hat sie ganz anders gelächelt als sonst", erzählt Stefani. „Ich frage mich manchmal, wie viel Mia wahrnimmt. Und dann ist es besonders schön zu sehen, wie viel doch bei ihr ankommt. Dass sie dann zum Beispiel lacht, wenn sie etwas witzig findet."

Mia kann - wie viele Kinder und Jugendliche, die vom Palliativ-Netzwerk begleitet werden - nicht sprechen. Auf welchen anderen Wegen kann man mit ihnen kommunizieren, wie am besten eine Verbindung aufbauen? Um diese und viele weitere Fragen hat sich der 130-stündige Vorbereitungskurs gedreht, an dem alle Ehrenamtlichen teilnehmen müssen.

130-stündiger Vorbereitungskurs für Hospizbegleiter in Essen

„Im Kurs geht es uns auf der einen Seite um Wissensvermittlung. Wir sprechen über Wege der Kommunikation, die generelle Entwicklung von Kindern und ihre Trauerkonzepte", erklärt Sozialarbeiterin Wilma Neuwirth, die die Freiwilligen auf ihr Ehrenamt vorbereitet.

Auf der anderen Seite sei es wichtig, dass die Ehrenamtlichen lernen, sich selbst zu reflektieren. „Es ist wichtig, die Päckchen, die man mit sich herumträgt, zu kennen, um auch in Krisensituationen für die Familie da sein zu können", sagt Neuwirth. Ihr Motto: „Keiner soll begleiten, ohne begleitet zu werden."

Die Ehrenamtlichen müssen lernen, sich ihren eigenen Ängsten zu stellen und sich auch mit dem Thema Tod auseinanderzusetzen. Für Stefani war das eine neue Erfahrung. „Ich komme aus Albanien und da ist der Tod schon ein starkes Tabu-Thema. Obwohl ich sagen muss, dass es hier in Deutschland eigentlich genauso ist", sagt sie.

Ihr sei erst während ihrer eigenen Schwangerschaft, die mit zahlreichen Tests und Untersuchungen auf Krankheiten verbunden war, bewusst geworden, wie viele Kinder schwer erkrankt sind. „Mein Sohn wurde zum Glück gesund geboren. Aber was ist mit den Kindern, die schwer krank sind? Wieso wusste ich so wenig darüber? Wieso höre ich nie etwas davon?"

Diese Fragen hätten sie nicht mehr losgelassen. Wenige Monate später entschied sie sich dazu, Kinderhospizbegleiterin zu werden. Als berufstätige Frau und Mutter stellte es sie anfangs vor eine Herausforderung, im Alltag Zeit für ihr Ehrenamt zu finden.

Wer sie fragt, warum sie sich dennoch engagiert, muss nicht lange auf eine Antwort warten: „Ich lerne so viel dabei. Die wortlose Kommunikation fasziniert mich und hat mich bereichert." Außerdem wolle sie etwas dagegen tun, dass in unserer „leistungsorientierten Gesellschaft" häufig weggeschaut werde, wenn es um Menschen geht, die nicht ins System passen. „Aber meine größte Motivation ist Mia", sagt Stefani. Bereits nach dem ersten Treffen habe sie das Haus auch mit einem guten Gefühl wieder verlassen. Das können sich viele nicht vorstellen.

„Wie schön, dass Du das machst. Aber für mich wäre das nichts!" oder „ Respekt, aber ich könnte das auf keinen Fall! ": Sätze wie diese hört Stefani immer wieder aus dem Freundes- und Bekanntenkreis. „Viele haben das Bild von einem Kind im Kopf, das in kurzer Zeit sterben wird. Aber das ist es eben nicht", sagt Stefani.

Die Kinder seien zwar schwerkrank, könnten aber ein gutes Leben führen - zumindest für eine gewisse Zeit. Mias gesundheitlicher Zustand sei derzeit stabil, Stefani müsse sich nicht „akut" damit auseinandersetzen, sie bald nicht mehr treffen zu können. „Es kann schnell passieren. Aber auch mir kann es schnell passieren. Der Tod ist eben ein Teil vom Leben. Das lernt man hier."

Um damit umgehen zu können, sei es für die Ehrenamtlichen wichtig, Grenzen zu wahren. Sie sei trotzdem vor jeder Untersuchung aufgeregt, erzählt Ricarda Stücker. Seit sechs Jahren begleitet sie die Familie eines Jungen, der eine seltene Muskelerkrankung hat. Als Stücker ihn kennenlernte, war die Krankheit noch nicht weit fortgeschritten.

„Der kleine Mann ist mir auf dem Klettergerüst davon geklettert und auf dem Spielplatz vor mir weggelaufen", sagt die 64-Jährige. Stundenlang haben sie auf dem Boden in seinem Kinderzimmer gesessen und mit Lego gespielt oder gepuzzelt. Das geht heute nicht mehr. Seit einem Jahr verschlechtert sich der Zustand des mittlerweile 13-Jährigen zunehmend.

Heute sitzen sie beim Puzzeln am Tisch, aber Ausflüge unternehmen sie trotzdem noch. „Vor ein paar Tagen waren wir zusammen mit seiner Mutter und seiner Schwester im Freizeitpark. Ich bin eigentlich nur mitgegangen, damit die Mutter was mit den Kindern machen kann, während ich dann zum Beispiel auf die Sachen aufpasse. Aber vor der Geisterbahn haben die beiden Kinder dann gerufen: ,Ricarda, kannst du bitte mit uns fahren?'"

Nicht nur Zeit mit dem kranken Kind zu verbringen, sondern mit der ganzen Familie - auch das gehört zur Arbeit der Kinderhospizbegleiterinnen und -begleiter. „Es geht darum, die Familie im Alltag zu unterstützen. Das kann auch bedeuten, dass das gesunde Geschwisterkind zum Schwimmtraining gefahren wird, was sonst nicht möglich wäre, weil die Eltern beim erkrankten Kind sein müssen", sagt Sozialarbeiterin Neuwirth.

Dass die Krankheit eines Kindes die ganze Familie beeinflusst, erlebt Ricarda Stücker auch bei sich selbst. „Es ist nicht so, dass ich da abends aus der Tür gehe und dann ist es für mich abgearbeitet. Klar muss man einen gewissen Abstand halten, aber man schließt sie natürlich ins Herz. Aber ich kann damit ganz gut umgehen. Man wächst da ja so rein und man wächst auch mit der Krankheit mit", sagt sie. Über all diese Erfahrungen tauscht sie sich auch mit anderen Ehrenamtlichen aus. „Das Ehrenamt verbindet die unterschiedlichsten Menschen. Man lernt Leute kennen, die man sonst nie kennengelernt hätte. Ich habe hier Freundinnen gefunden", sagt Stücker.

Sie selbst ist auch für den Jungen, den sie betreut, eine „gute Spielfreundin". Sie lachen viel zusammen, reden aber auch über seine Krankheit. „Mir gibt es so viel, wenn ich sehe, dass er Spaß hat", sagt Stücker. „Das füllt mein Leben."


>>> Infos zum Ehrenamt

Rund 50 Ehrenamtliche engagieren sich zurzeit im Kinder- und Jugendhospizdienst des Kinder-Palliativ-Netzwerks in Essen. Sie begleiten für wenige Stunden in der Woche jeweils eine Familie mit einem schwerkranken Kind zu Hause oder in einer stationären Einrichtung, um diese im Alltag zu entlasten.

Wer sich zur Kinderhospizbegleiterin oder zum Kinderhospizbegleiter ausbilden lassen möchte, muss vorab einen 130-stündigen Kurs belegen. Alle wichtigen Infos finden interessierte unter www.cse.ruhr oder telefonisch unter der 0201/319375386.


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