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Neuer TikTok-Filter: „Nie habe ich mich hässlicher gefühlt"

Schrecklich schön: Der neue Beauty-Filter „Bold Glamour“ sorgt für eine faszinierende Generalüberholung des eigenen Gesichts – und für Diskussionen über den Schönheitswahn. Foto: Lars Heidrich / FUNKE Foto Services

Bochum/Düsseldorf. Auf TikTok sorgt ein neuer Beauty-Filter für Kritik. Warum die Veränderungen sogar einem Düsseldorfer Schönheitschirurgen zu weit gehen.

Die Haut glatter, die Lippen voller, die Nase schmaler: Schönheitsfilter auf TikTok und Instagram ermöglichen schon länger eine Generalüberholung des eigenen Gesichts. Musste man sich früher noch mit Bildbearbeitungsprogrammen auskennen, um kleinere Makel auszubessern, legen sich die Filter heute in Echtzeit über das Gesicht.

Besonders gefragt ist der neue TikTok-Effekt „Bold Glamour" (gewagter Glamour). Mehr als 17 Millionen Videos mit dem Filter wurden bereits auf der chinesischen Video-Plattform hochgeladen. Er macht aus einer Hakennase eine Stupsnase, spritzt Lippen auf, betont Wangenknochen. Und trotz der vielen Veränderungen wirkt „Bold Glamour" so realistisch wie kein Filter zuvor.

Von dieser technischen Perfektion sind viele begeistert - von der vermeintlichen Optimierung des Gesichts eher schockiert. „Nie habe ich mich hässlicher gefühlt", schreibt eine Userin. „Das bin gar nicht mehr ich. Das ist wirklich ungesund", eine andere. Der Vorher-Nachher-Vergleich hinterlässt bei vielen ein frustrierendes Gefühl. Daher geht „Bold Glamour" derzeit nicht nur viral, weil sich Userinnen und User mit dem Effekt attraktiver machen wollen. Sie nutzen den Filter auch, um in ihren Videos den Schönheitswahn zu kritisieren. Doch wie gefährlich sind virtuelle Beauty-Filter wirklich für junge Menschen?

„So ein Filter ist ja letztendlich nichts anderes als es vor zehn Jahren Germany's Next Topmodel war", sagt Stephan Herpertz, Leiter der Klinik für psychosomatische Medizin am LWL-Uniklinikum Bochum. Schon damals hätten sich Jugendliche mit den Models im Fernsehen verglichen und dadurch begonnen, an sich selbst zu zweifeln. „Die Schönheitsfilter sind dazu aber noch eine Steigerung: Was ich bei Germany's Next Topmodel als Ideal im Fernsehen sah, versuche ich nun mittels digitaler Technik auch an mir selbst zu verändern", so der Experte.

Dass das Schönheitsideal in den Sozialen Medien dauerhaft präsent ist, könne zu „Stress und Unzufriedenheit" führen - vor allem bei jungen Menschen, die sowieso häufig mit Selbstwertproblemen zu kämpfen hätten. „Wenn sie sich online mit anderen vergleichen, beginnt es an ihnen zu nagen. Aber sie können ja nicht gleich auf die Kö gehen, um sich operieren zu lassen. Also fangen sie an, ihr Gesicht digital zu verändern", sagt Herpertz.

Doch bei der rein virtuellen Veränderung bleibt es nicht immer, wie eine Mitgliederbefragung der „Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie" zeigt: Rund 70 Prozent der Schönheitschirurginnen und Schönheitschirurgen bestätigen, dass immer mehr Menschen mit bearbeiteten Selfies zu ihnen kommen - vor allem junge Frauen zwischen 18 und 25 Jahren.

„Man könnte denken, dass Schönheitsfilter unser Geschäft ankurbeln. Aber eigentlich beeinflussen sie es eher negativ", sagt Afschin Fatemi. Vor 20 Jahren hat er in Düsseldorf seine erste Praxis eröffnet, heute ist er Chef der Klinikkette „s-thetic" und einer der bekanntesten Schönheitschirurgen des Landes.

Immer häufiger kommen Patientinnen mit einem bearbeiteten Foto und der Vorstellung, auch im echten Leben genau so aussehen zu können, in seine Praxis - und verlassen sie ohne OP-Termin. Denn die Gesichts-Optimierung der Filter geht Fatemi zu weit. Wenn eine Patientin sich eine ebenmäßigere Haut wünscht, wie der Effekt sie ihr zaubert, sei das für ihn in Ordnung.

„Aber oft ist es ja kein Finetuning mehr, sondern es wäre so eine Veränderung, dass man den Menschen überhaupt nicht mehr wiedererkennt. Der Bold-Glamour-Filter ist da ja zum Beispiel schon sehr krass. Ich muss die Patientinnen also abweisen und ihnen erklären, dass sie niemals so aussehen werden wie auf dem bearbeiteten Foto und dass das auch gut so ist", sagt er.

Aus seiner Sicht sind die virtuellen Beauty-Filter nicht nur dann problematisch, wenn man sie auf das eigene Gesicht legt. Auch wenn man selbst in seinen Videos auf die Effekte verzichtet, sei man auf TikTok und Instagram permanent von bearbeiteten Fotos umgeben - und bekomme so eine falsche Vorstellung davon, „wie ein normaler Mensch aussieht", kritisiert Fatemi:

„Früher kamen die Patientinnen zu mir und haben gesagt: ,Ich hätte gerne JLOs Po oder die Nase von Britney Spears'. Heutzutage zeigen sie mir ein Foto von einer Influencerin und sagen: ,Ich hätte gerne die gleichen Lippen'. Dann muss ich sie manchmal sogar aufklären, dass die Influencerin auf dem Foto einen Filter benutzt hat und in echt gar nicht so aussehen kann."

Da viele Influencerinnen und Influencer dieselben Filter nutzen, verfestigen sie ein bestimmtes Schönheitsideal. Und weil die meisten von ihnen nicht deutlich machen, dass sie ihre Fotos und Videos überhaupt bearbeitet haben, wird anderen Nutzerinnen und Nutzern suggeriert: Du wirst dieses Schönheitsideal niemals erreichen - andere aber schon.

Die Sozialen Medien mit ihren Filtern und Effekten haben den Hang zum Perfektionismus auf die Spitze getrieben. Das führt auch dazu, dass die Patientinnen in Fatemis Praxis immer jünger werden. Früher seien eher Frauen ab Ende 20 mit einem Wunsch zur Veränderung zu ihm gekommen, heute würden sich auch schon 22-Jährige die Lippen anpassen oder kleine Fettpölsterchen wegmachen lassen.

Wenn Eltern merken, dass ihre Kinder aufgrund virtueller Filter beginnen, an sich selbst zu zweifeln, sollten sie das Gespräch mit ihnen suchen, rät Stephan Herpertz: „Man sollte ihnen Social Media nicht verbieten, das geht ja sowieso nicht. Aber man sollte sich zusammen mit seinem Kind damit auseinandersetzen und sich fragen: Wie kann ich meine Tochter mehr anerkennen? Wie kann ich ihr mehr Selbstvertrauen zukommen lassen? " Auf TikTok gehen viele Userinnen und User sogar noch weiter: Sie fordern, dass der „Bold Glamour"-Filter deaktiviert wird.

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