UDE-Friedensforscher Tobias Debiel: Wie der Ukraine-Krieg enden könnte – und warum mehr Machtpositionen von Frauen besetzt werden sollten.
Essen/Duisburg. UDE-Friedensforscher Tobias Debiel: Wie der Ukraine-Krieg enden könnte - und warum mehr Machtpositionen von Frauen besetzt werden sollten.
Der Friedensforscher Tobias Debiel ist stellvertretender Direktor des Instituts für Entwicklung und Frieden an der Universität Duisburg-Essen. Mit Sophie Sommer sprach er darüber, wie der Ukraine-Krieg enden könnte, warum viele Kriege zu schnell in Vergessenheit geraten und ob die Welt eine friedlichere wäre, wenn mehr Frauen an der Macht wären.
Kurz nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges bezeichnete Kanzler Olaf Scholz diesen als eine „Zeitenwende" Hatte er recht damit?
Tobias Debiel: Der Begriff trifft es nur zum Teil. Wir sind jetzt stärker bereit, in Verteidigung zu investieren und sind sehr viel skeptischer gegenüber Russland. Das ist eine wirkliche Zeitenwende. Es besteht aber die Gefahr, zu sagen: Wir konnten es nicht kommen sehen. Der Krieg hat sich jedoch in vielen Momenten angedeutet. Wir sollten jetzt auch nicht alles über Bord werfen, was wir über Kooperationen und die Konfliktbeilegung in Zeiten des Kalten Krieges gelernt haben. Zeitenwende darf nicht Tabula rasa bedeuten.
Wie stehen Sie vor diesem Hintergrund zu den Waffenlieferungen an die Ukraine?
Sie sind ein notwendiges Mittel zur Verteidigung. Wir müssen uns vor Augen halten, dass es für die Ukraine ein Verteidigungskrieg ist, in dem es einen klaren Aggressor gibt. Diese berechtigten Waffenlieferungen dürfen in Deutschland allerdings nicht zu einem Dammbruch führen. Waffenlieferungen an Staaten wie Ägypten sind nach wie vor hoch problematisch, weil ein solches Land Menschenrechtsverletzungen begeht. Auch in der Ukraine muss man aufpassen, wofür die Waffen eingesetzt werden. Wir sollten zum Beispiel ausschließen, dass die Waffen russisches Terrain treffen, weil die nukleare Drohung ernst zu nehmen ist.
Wie real schätzen Sie die Gefahr eines Atomkriegs ein?
Die russische Führung hat zum Teil verdeckt, zum Teil aber auch sehr explizit deutlich gemacht, dass sie mit dem Gedanken spielt. Damit hat sie ein nukleares Tabu gebrochen. Ich sehe von daher eine reale Gefahr, dass auf ukrainischem Territorium zum Beispiel eine schmutzige Bombe eingesetzt wird.
Hat sich dadurch auch unser Sicherheitsgefühl verändert?
Ja, in jedem Fall. Das haben aber beispielsweise auch Terroranschläge, ob rechtsextremistisch oder islamistisch. Sie treffen ins Mark der Gesellschaft. Dagegen müssen wir uns schützen, wie man zum Beispiel auch an den Absperrungen an Weihnachtsmärkten sieht. Auch wenn dieser Schutz uns täglich vor Augen führt, dass es eben diese Unsicherheiten gibt. Zum Glück ist die Zahl der Opfer durch Terrorattentate aber rückläufig. Dies gilt weltweit und auch für Europa und Nordamerika.
Durch die Inflation und die gestiegenen Energiepreise spüren wir die Auswirkungen des Ukraine-Krieges auch im Alltag. Worin sehen Sie angesichts dieser Herausforderungen die größte Gefahr einer gesellschaftlichen Verwerfung?
Menschen fühlen sich durch eine verschärfte wirtschaftliche und soziale Lage von Abstiegsängsten bedroht. Da ist es immer naheliegend, nach anderen zu suchen, denen man nicht genau das gönnt, was man selber hat. Für die Flüchtlinge aus der Ukraine gab und gibt es jedoch eine große Solidaritätswelle. Man wird jetzt darauf achten müssen, diese Solidarität aufrecht zu erhalten.
Auch bei den Flüchtlingen, die 2015 und 2016 aus Syrien und Afghanistan gekommen sind, gab es anfangs viel Hilfsbereitschaft. Aber dann kam auch schnell die polarisierte Gegenbewegung, die zum Aufstieg der AfD beigetragen hat. Zu 2015 und 2016 sehe ich aktuell allerdings nur bedingt Parallelen.
Warum?
Weil Länder wie Afghanistan und Syrien weiter entfernt sind, die Menschen einen anderen Glauben haben und man sich daher mehr Sorgen um die Integration gemacht hat. Die ist ja erstaunlich gut gelungen, muss man im Nachhinein sagen.
Auch wenn viele Probleme überwunden werden mussten. Diese Lage haben wir durch die größere kulturelle Nähe bei der Ukraine deutlich weniger. Gerade aufgrund der gestiegenen Energiepreise gilt es aber jetzt, die Abfederungsmaßnahmen so auszugestalten, dass diejenigen besonders profitieren, die wirtschaftlich und sozial am Rande der Gesellschaft stehen.
Frieden ist ja ein sehr komplexer Begriff. Wie definieren Sie ihn?
Wenn man eine ganz eingegrenzte Definition nutzt, dann ist Frieden die Abwesenheit von Krieg. Diese Definition greift aber natürlich nicht sehr weit. Wichtig ist, dass Menschen sich entlang ihrer Menschenrechte und ihrer sozialen Bedürfnisse entfalten können. Und dass sie auch von Alltagsgewalt, die ja per Definition keine Kriegsgewalt ist, verschont bleiben. Es geht oftmals unter, dass nach einem Krieg Alltagsgewalt andauert.
Von dieser Alltagsgewalt sind meist Frauen betroffen. Wäre die Welt also eine friedlichere, wenn mehr von ihnen in Machtpositionen wären?
Es gibt interessante Studien, die zeigen: Wenn Frauen an Friedensverhandlungen beteiligt sind oder Frieden einfordern, dann ist es wahrscheinlicher, dass es zu einem Friedensabkommen kommt und dieses auch hält. Wir sollten aber nicht glauben, Frauen seien per se friedlicher. Es geht eher darum, bestimmte Rollen der Männlichkeit anders zu definieren.
Ich bin sehr dafür, den Anteil der Frauen in entscheidenden Positionen wie auch bei Verhandlungen zu stärken, damit ihre Belange entsprechend berücksichtigt werden. Aber nur, wenn wir Rollenverständnisse in der Politik ändern, machen wir die Welt auch friedlicher.
Wie friedlich ist denn unsere Welt? Oder anders gefragt: Wie viele Kriege gibt es?
Dazu gibt es verschiedene Zählungen. Bewaffnete Konflikte gibt es 170 bis 200. Wenn man auf größere Konflikte mit hohen Todes- und Opferzahlen schaut, kommt man auf etwa 20. Im Schatten des Ukraine-Krieges ist in der Öffentlichkeit beispielsweise der Krieg in Tigray in Äthiopien sehr wenig behandelt worden. Da könnte möglicherweise eine halbe Millionen Menschen ums Leben gekommen sein, die meisten durch Hunger oder die Zerstörung der Gesundheitsversorgung.
Warum geraten Kriege wie dieser scheinbar in Vergessenheit?
Dafür gibt es verschiedene Gründe. Die Nachrichten bei uns werden von europäischen und innenpolitischen Themen dominiert. Es ist auch so, dass in den Kriegsgebieten die Berichterstattung zum Teil sehr schwierig ist. Und es gibt eine öffentliche Ermüdung, immer wieder von Kriegen und Krisen zu hören. Von daher ist es wichtig, auch zu berichten, wenn Länder es geschafft haben, Frieden zu schließen oder zu bewahren.
Was ist ein Beispiel für solch eine positive Geschichte?
Ein positives Beispiel, das nur wenige kennen, bildet Somaliland. Das ist ein Teil im Norden Somalias, der es geschafft hat, durch lokale Vermittlungsbemühungen zwischen den Clan-Ältesten Frieden zu schaffen - obwohl in Südsomalia weiterhin gewaltsame Auseinandersetzung stattfinden.
Was sind die Voraussetzungen dafür, dass Verhandlungen Erfolg haben?
Ein Krieg ist meistens dann reif für eine Vermittlung, wenn die Verluste so hoch sind, dass die Unterstützung für Politiker in der eigenen Gruppe nachlässt. Um einen Krieg zu beenden, ist es auch wichtig, dass man immer an einer Idee für einen Friedensvertrag arbeitet. Das geht zum Beispiel im Ukraine-Konflikt im Moment unter.
Damit es dort zu Verhandlungen kommt, ist es zum einen wichtig, dass der Druck auf Russland bestehen bleibt. Gleichzeitig muss Vertrauen wieder Schritt für Schritt aufgebaut werden. Da sind kleinere Abkommen, wie die zu Getreidelieferungen ein erster Ansatz, aber noch lange nicht hinreichend. Und der zweite wichtige Punkt ist: Man braucht Garantiemächte. Sollten sich die russischen Truppen tatsächlich zurückziehen und sollte es zu einer Verhandlungslösung kommen, ist es denkbar, dass internationale Truppen in den umstrittenen Gebieten darauf achten, dass ein Waffenstillstand eingehalten wird. Für eine Friedensregelung wird man vermutlich auch in Kauf nehmen müssen, dass bestimmte Fragen erst einmal eingefroren werden, also erst mittelfristig gelöst werden können.
Wie optimistisch sind Sie, dass es zwischen Russland und der Ukraine in naher Zukunft zu erfolgreichen Friedensverhandlungen kommt?
Optimistisch bin ich leider nicht, was die Perspektive der nächsten Wochen und Monate anbetrifft. Ich glaube aber, dass es wichtig ist, in der Öffentlichkeit diese Option weiter zu thematisieren und darauf hinzuweisen, dass die ohnehin hohen Opferzahlen noch weiter steigen werden. Eine Friedenslösung sollte man insofern für 2023 durchaus in den Blick nehmen.
Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Wochenende
Zum Original