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Obwohl er extrem stottert: Duisburger will Rapper werden

Artjom Chechik aus Duisburg stottert, seitdem er sprechen kann. Als Kind wurde er dafür gemobbt. Jetzt will er als Musiker durchstarten – denn beim Rappen stolpern seine Worte nicht.

Artjom Chechik stottert - nur nicht, wenn er rappt. Jetzt will er Karriere machen: als „erster stotternder Rapper Deutschlands".

Wenn Artjom Chechik spricht, stolpern seine Worte. Mitten im Satz muss er Pausen machen, seine Augen verkneifen sich vor Anstrengung. Chechik stottert - und das schon sein Leben lang. „Es gab eine Zeit, in der ich nicht nur mein Stottern, sondern mich und mein Leben gehasst habe ", sagt der 32-jährige Duisburger.

Insgesamt stottern laut „Bundesvereinigung Stottern und Selbsthilfe" (BVSS) mehr als 830.000 Menschen in Deutschland. Bei einigen tritt die Störung des Redeflusses nur im Kindesalter auf, andere begleitet sie ihr ganzes Leben. So wie Chechik. Er versucht, die vermeintliche Schwäche als Vorteil zu nutzen - und vermarktet sich als „erster stotternder Rapper Deutschlands".

In seinen Musikvideos posiert er auf einer Jacht, tanzt mit einer Frau in Cancún oder fährt mit einem Rolls Royce durch Dubai. Beim Rappen fühlt er sich frei. Denn wenn er seine Zeilen melodisch ins Mikrofon spricht, sprudeln die Sätze flüssig aus ihm heraus. Kein Einzelfall, sagt Ulrike Genglawski von der BVSS.

Ob Popstar Ed Sheeran, der „Graf" der Musikgruppe „Unheilig" oder der US-amerikanische Musiker Scatman John: Sie alle haben als Kinder oder auch noch als Erwachsene gestottert, konnten sich beim Singen jedoch stets flüssig ausdrücken. „Singen und Sprechen werden von verschiedenen Bereichen und Abläufen im Gehirn gesteuert. Da Stottern eine neurologisch bedingte Störung des Sprechens ist, tritt es beim Singen so gut wie nie auf. Auch die Atmung ist anders, was hilfreich sein kann", erklärt Genglawski.

Chechik hat bereits als Jugendlicher zum Rap gefunden. „Mein Vater hat früher Gedichte geschrieben. Ich habe schon immer zu ihm aufgeschaut. Mit 12 oder 13 Jahren kam dann Deutschrap in mein Leben. Dabei sind mir als Erstes die besondere Lyrik, die Reimtechnik und die vielen Wortspiele aufgefallen", erinnert er sich.

Da er es gewohnt sei, sich seine Sätze im Kopf vorher genau zurechtzulegen, mit Wörtern zu jonglieren, wie er es nennt, versuchte er sich an ersten eigenen Versen. Bis heute ist die Musik seine „Therapie", in seinen Texten spricht er über Träume und Ängste, verarbeitet persönliche Erfahrungen.

„Stotterndes Immigrantenkind, mein Dad meinte: ,Glaub mir, du wirst es schaffen mein Sohn!' Es war eine ständige Last wie die Gravitation", heißt es etwa in einem seiner Songs. Chechik wuchs in Russland auf, bis er drei Jahre alt war. 1993 zog seine Familie nach Duisburg.

Seine Kindheit war geprägt von Besuchen beim Logopäden, Mobbing in der Schule und der Frage: „Warum muss ausgerechnet ich stottern?" Für seine Mitschülerinnen und Mitschüler wurde er zum Klassenclown, setzte dafür seine guten Noten aufs Spiel. „Ich habe entdeckt, dass Witze im Unterricht zu machen und Grenzen zu überschreiten mir all das von meinen Mitschülern gab, was mir immer gefehlt hat: Anerkennung, Respekt, Liebe", erzählt er.

Von Selbstzweifeln, Scham und Diskriminierung berichten viele Betroffene, sagt Ulrike Genglawski. Das Stottern selbst sei dabei oft nur die „Spitze des Eisbergs", so die Expertin: „Man sagt oft: Das Schlimmste am Stottern ist die Angst davor. " Stottern ist neurologisch bedingt. Doch was genau die Störung des Redeflusses auslöst, lässt sich nach heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht eindeutig sagen, so Genglawski.

Es wird allerdings davon ausgegangen, dass die Erkrankung genetisch veranlagt ist. Wenn Eltern bei ihren Kindern erste Anzeichen erkennen, sollten sie eine logopädische Beratung in Anspruch nehmen. Bei einem Großteil der betroffenen Kinder lege sich das Stottern zwar wieder, 20 bis 30 Prozent stottern jedoch ihr Leben lang.

Ein wichtiger Bestandteil der Therapie sei daher die Desensibilisierung für das eigene Stottern, also zu lernen, es zu akzeptieren. Um Betroffene dabei zu unterstützen, brauche es auf gesellschaftlicher und politischer Ebene noch mehr Aufklärung und Akzeptanz, fordert Genglawski: „Stottern ist keine lebensbedrohende Beeinträchtigung, aber dennoch eine ernstzunehmende Behinderung. Betroffene werden häufig mit ungefragten Tipps überfrachtet, weil jeder denkt, er wüsste übers Stottern Bescheid."

Was hingegen wirklich helfe, sei - „wie bei jedem höflichen Gespräch" - den Blickkontakt zu halten und die Person nicht zu unterbrechen oder ihre Sätze zu beenden. „Ich würde lügen, würde ich sagen, dass ich heute gerne stottere. Aber ich würde es nicht mehr weghaben wollen", sagt Artjom Chechik. „Ohne mein Stottern und die Erfahrungen, die ich dadurch gemacht habe, wäre ich nicht die Person, die ich heute bin."

Indem er öffentlich zu seinem Stottern steht, versuche er, für andere das Vorbild zu sein, das er sich selbst als Kind gewünscht hätte. Mittlerweile sei er stolz auf sich, habe bereits vieles von dem, was er sich vorgenommen hat, erreicht - „nicht trotz, sondern dank des Stotterns."

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