2 Abos und 2 Abonnenten
Artikel

Heiraten in NRW: Was eine freie Trauung besonders macht

Um eine möglichst emotionale Rede halten zu können, versucht Traurednerin Laura Verena Berger aus Bottrop tief in das Leben der Brautpaare und in ihre Beziehung einzutauchen. Foto: Matthias Jaworski

Gelsenkirchen/Bottrop/Heiligenhaus. Die Hochzeitssaison 2022 hat gezeigt: Freie Trauredner werden im Ruhrgebiet immer beliebter. Was lernt man in diesem Beruf über Beziehungen?

Mit dem Oktober endet auch die Hochzeitssaison. Ein Trend, der sich in diesem Jahr erneut deutlich abgezeichnet hat: Freie Trauungen werden immer beliebter. Sie bieten eine Alternative zur kirchlichen Trauung und sind vor allem wegen ihrer Individualität gefragt. Der Ablauf der Hochzeitsfeier ist nicht festgelegt und das Brautpaar kann sich theoretisch an jedem beliebigen Ort das Jawort geben - ob im eigenen Garten, vor Industriekulisseoder am Strand.

Geleitet wird die Zeremonie von freien Traurednern und Traurednerinnen. Sie halten eine möglichst emotionale Rede über die Liebesgeschichte des Brautpaares, das sie dafür in kurzer Zeit intensiv kennenlernen müssen. Was lernt man in diesem Beruf über Beziehungen? Wie werden Hochzeiten heutzutage gefeiert? Und warum gehen Paare überhaupt noch den Bund der Ehe ein? Drei Hochzeitsrednerinnen und -redner aus dem Ruhrgebiet blicken zurück auf die Saison.

Laura Verena Berger, freie Traurednerin aus Bottrop:

„Mir ist es wichtig, wirklich tief in das Leben der Paare und in deren Beziehung einzutauchen. Denn das ist die Basis dafür, dass die Trauung individuell und persönlich wird. Im ersten Schritt des langen Gesprächs planen wir die Zeremonie, zum Beispiel: Wie soll der Einzug ablaufen? Welche Musik wird gespielt? Wer bringt die Ringe nach vorne? Das ist ein Punkt, den viele Leute unterschätzen. Die denken, ich stelle mich da hin, halte 15 Minuten lang eine Rede und bin wieder weg. Dabei traue ich das Paar.

Im zweiten Schritt des Gesprächs geht es um das Paar selbst. Ich will vor allen Dingen herausfinden, was sie aneinander lieben, was sie an der Beziehung schätzen. Aber auf der anderen Seite will ich auch wissen - und das macht die Rede letztendlich unterhaltsam - wie sie sich charakterlich unterscheiden, welche Ecken und Kanten sie haben. Generell würde ich sagen, dass 99 Prozent der Paare Vertrauen, Zusammenhalt und Wertschätzung wichtig sind.

Aber gleichzeitig auch die individuelle Freiheit in der Beziehung. Gerade die Frauen machen sich weniger abhängig vom Mann als noch ihre Großmütter, die damals ja auch selten eine andere Wahl hatten. Ich glaube, das ist auch ein Grund, warum freie Trauungen gerade so beliebt sind: die Kombination aus Individualität und Tradition.

Alles lässt sich frei gestalten und trotzdem wollen viele Bräute mit ihrem Papa einziehen. Generell öffnen die Paare sich mir gegenüber immer relativ schnell. Erst letztens hat ein Bräutigam zu mir gesagt: ,Ich muss zugeben, ich habe bisher mit noch niemandem so offen und tiefgründig über mich und meine Beziehung gesprochen.'

Er sagte, dass es sich wie eine Paartherapie angefühlt hat. Da mussten wir alle lachen. Aber ja, wann reflektiert man sich selbst und die eigene Beziehung schon mal im Alltag? Ich finde, da sollten wir alle uns grundsätzlich mehr Zeit für nehmen."

Karina Nickel, freie Traurednerin aus Gelsenkirchen:

„In diesem Jahr habe ich 48 Paare getraut, weil in den letzten zwei Jahren so viele Feiern wegen Corona ausgefallen sind. Die ganze Saison über hatte ich kein freies Wochenende. Aber das ist gar nicht schlimm, denn warum ich den Job trotzdem so liebe? Weil es darum geht, wie Menschen sich verlieben.

Und das tun sie heute oft übers Internet. Ich würde sagen, dass jedes dritte Paar sich über Tinder kennenlernt, was ich überhaupt nicht schlimm finde. Was mir aufgefallen ist: Die meisten Paare sind unfassbar lange zusammen, bevor sie heiraten - und haben schon viele Herausforderungen überstanden. Ich habe zum Beispiel mal ein Paar getraut, bei dem der Mann fremdgegangen ist und die andere Frau von ihm schwanger wurde.

Dann hat sich seine Partnerin natürlich von ihm getrennt. Aber nach einem knappen Jahr sind sie wieder zusammengekommen, weil sie gemerkt haben, dass sie gar nicht ohneeinander können. Wenn man sich wirklich liebt, findet die Liebe ihren Weg. Das habe ich durch den Job gelernt.

Und fast noch wichtiger: Jede Beziehung ist anders. Tatsächlich passiert es schon mal, dass ich mir denke: Vielleicht ist die Ehe gerade doch noch nicht das Richtige für euch. Aber Paare leben halt anders miteinander. Wir streiten zuhause zum Beispiel ganz selten und wenn ich dann Paare kennenlerne, die sagen, bei uns fliegen drei Mal in der Woche die Fetzen, muss ich respektieren, dass sie einfach eine andere Streitkultur haben.

Man sollte sich nicht vergleichen. Auch nicht, wenn es um die Trauung geht. Hochzeiten werden immer mehr zu Events. Meine Eltern sind nach dem Standesamt einfach in den Kleingartenverein gegangen zum Feiern. Heute ist es ganz oft: höher, schneller, weiter.

Das setzt die Paare natürlich unter Druck. Diese typischen Bridezillas werden zwar immer weniger, die Bräute rasten also nicht aus, aber sie sind einfach unfassbar angespannt, wenn es nicht pünktlich losgeht oder der Schleier nicht richtig sitzt. Da denke ich mir: Entspannt Euch. Ihr gebt so viel Geld für den Tag aus, genießt ihn auch!"

Jens Kehlen, freier Trauredner aus Heiligenhaus

„Als Pastor habe ich viele kirchliche Trauungen durchgeführt. Seit zehn Jahren arbeite ich nebenbei auch als freier Trauredner, vor zwei Jahren habe ich mich dann komplett selbstständig gemacht. Ich mache zwar noch kirchliche Trauungen, aber das ist weniger geworden.

Es gibt aber auch Leute, denen ihr Glaube wichtig ist, obwohl sie aus der Kirche ausgetreten sind. Ich freue mich immer, wenn ein Paar mich bittet, es während der freien Trauung zu segnen oder ein Gebet zu sprechen. Insgesamt würde ich sagen, dass sich eine kirchliche und eine freie Trauung nicht so sehr voneinander unterscheiden.

Mein Anspruch ist es sowieso immer, eine Trauung sehr persönlich zu gestalten. Das geht bei einer freien Trauung noch etwas leichter, weil man eben nicht viel Liturgie durchführen muss. Dass ein Standesamt für viele keine ausreichende Alternative zur kirchlichen Trauung ist, verstehe ich. Das ist für viele halt eher ein bürokratischer Akt.

Warum heiratet man eigentlich überhaupt noch? Ist das ,Bis dass der Tod Euch scheidet' noch von Bedeutung? Das will ich immer von den Paaren wissen. Und da habe ich festgestellt, dass sich die Ansichten bei kirchlichen und freien Trauungen nicht unterscheiden.

Jeder hat den Wunsch, eine feste und stabile Partnerschaft zu führen, die Höhen und Tiefen übersteht. Deshalb bin ich fest davon überzeugt, dass Hochzeiten immer ein Teil unserer Gesellschaft bleiben werden. "

Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Wochenende

Zum Original