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Gegen Schubladendenken: Düsseldorfer ist Profitänzer - und dick

„Hätte ich das Tanzen nicht gehabt, weiß ich nicht, wo ich gelandet wäre“, sagt Chris Fandrey. Heute leitet er seine eigene Tanzschule in Düsseldorf – und will ein Vorbild für andere sein. Foto: Lars Heidrich / FUNKE Foto Services

Düsseldorf. Chris Fandrey aus Düsseldorf ist erfolgreicher Tänzer - und dick. Warum das kein Widerspruch ist und wie er sich für „Body Neutrality" einsetzt.

Chris Fandrey rückt noch schnell die schwarze Cap zurecht, dann nickt er seinen Schülerinnen, die sich bereits hinter ihm aufgestellt haben, zu. Aus der Box dröhnt der Beat von „Chai Tea with Heidi". Als Snoop Dogg beginnt, die ersten Zeilen zu rappen, starten Fandrey und die sechs Tänzerinnen mit ihrer Choreographie.

Ein weiter Schritt nach rechts, dabei leicht in die Knie gehen, dann die Arme vor dem Oberkörper verschränken, die Pose einen Moment lang halten. Schnelle Drehungen, kreisende Hüften, wackelnde Arme. Klatschen, schnipsen, lachen. Die Tanzschule ist Fandreys „safe space", sein Rückzugsort.

„Hätte ich das Tanzen nicht gehabt, weiß ich nicht, wo ich gelandet wäre", sagt der 34-Jährige im Rückblick. Hier wurde er nie „komisch angeguckt", war „immer nur der Chris, der gerne tanzt".

Komische Blicke, die kennt er zu gut. Er war ihnen schon ausgesetzt, als er als kleiner Junge mit seiner Mutter in der Jeansabteilung nur die Hosen mit Gummizug anprobieren konnte. Und er ist ihnen noch heute ausgesetzt, wenn er einen Salat bestellt oder im Fitnessstudio trainiert.

Fandrey ist dick, wie er selbst sagt. Sein Körper entspricht nicht der Norm, die in den sozialen Medien und in der Werbung als schön, sportlich oder erstrebenswert verkauft wird. Dieses „Schubladendenken" will er aufbrechen.

Sein Motto lautet „Dance has no size", also Tanz hat keine Größe. „Natürlich denken immer alle daran, dass es nur um die Konfektionsgröße geht. Aber ich meine damit eigentlich, dass jeder tanzen kann. Selbst wenn du deinen Körper gar nicht bewegen kannst, dann kannst du im Kopf tanzen."

Er selbst hat als Kind bei den „tanzenden Teufelchen", der Kirchengruppe in seiner Heimatstadt Oer-Erkenschwick, mit dem Tanzen angefangen. Später fuhr er ins benachbarte Recklinghausen, um eine richtige Tanzschule besuchen zu können.

„Von da an ging es nur noch ums Tanzen", sagt Fandrey. Sobald der Bass durch die Boxen schallt und er sich zum Takt der Musik bewegen kann, konnte er bereits als Jugendlicher all den Druck, all die Kritik, all die Selbstzweifel ausblenden.

„Ich war ein ganz normal proportionierter Junge, der vielleicht ein bisschen Bauch hatte. Aber du bekommst quasi von der Pike auf mit: Irgendwas ist falsch mit dir." Auf eine Diät folgte die nächste, das Gewicht auf der Waage ging hoch und wieder runter, er zählte Weight-Watchers-Punkte, Kalorien und die ungefragten Kommentare zu seiner Figur.

„Aus dem Kreis kommst du eigentlich gar nicht raus. Du versuchst, alle glücklich zu machen, aber vergisst dich dabei." Nur beim Tanzen fühlte er sich unbeschwert - obwohl seine Figur für viele nicht ins Bild des erfolgreichen Tänzers passte. „Tanzschulinhaber oder Trainer, die einen nicht persönlich kennen, haben immer gesagt: Wenn du abnehmen würdest, wärst du so ein guter Tänzer", sagt Fandrey.

„Mir war das als Jugendlicher gar nicht so bewusst, dass die an mir rummäkeln, aber das macht natürlich tief innen was, wenn du die ganze Zeit gesagt bekommst, du bist nicht in Ordnung."

Heute will er ein Vorbild für andere sein. In seiner Düsseldorfer Tanzschule bietet er daher auch gezielt Kurse für dickere Menschen an. „Es geht darum, zu zeigen: Wenn ihr euch woanders nicht traut, kommt in den safe space und fühlt euch wohl. Du merkst, wie frei die dann sind. Es juckt keinen, ob das T-Shirt kurz hochrutscht. Und wenn bei einer Übung der Bauch stört, dann ist das okay, weil der bei mir ja auch stört."

Auch auf der Social-Media-Plattform Instagram setzt Fandrey sich für mehr Sichtbarkeit und Akzeptanz ein. Auf seinem Profil @chrisfan3 teilt er Videos davon, wie er sich vor den großen Spiegeln seiner Tanzschule, mitten in der Düsseldorfer Altstadt oder am Rhein zur Musik bewegt.

Unter die meisten seiner Beiträge schreibt er #bodyneutrality. Der Begriff lässt sich als „körperliche Neutralität" übersetzen. Weg von der Obsession mit dem eigenen Aussehen, dem Körper weniger und den inneren Werten dafür mehr Relevanz zuzuschreiben: Das ist das Ziel der Bewegung - die langsam in der Tanzbranche Einzug hält, sagt Fandrey.

Er hat bereits im Musikvideo von Beatrice Egli mitgetanzt und ist bei der TV-Sendung „Fame Maker" aufgetreten, erzählt er: „Das Bild des perfekten Körpers wird langsam durchbrochen. Aber es muss noch viel mehr passieren."

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