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Alleine reisen: Wie der Urlaub ohne Freunde gelingen kann

Carolin aus Menden in NRW ist seit Jahren als Alleinreisende in der ganzen Welt unterwegs. Foto: Privat

Alleine zu verreisen erfordert Mut - hat aber auch viele Vorteile, wie drei Alleinreisende aus NRW berichten. Worauf es beim Solo-Trip ankommt.

Carolin hat Glück. Die wenigen Hängematten, die zwischen den Palmen angebracht wurden, sind nicht besetzt und in der kleinen Strandhütte werden noch Kokosnüsse verkauft. Dabei ist heute ein besonderer Abend. In den Wellen spiegelt sich das Feuer der Fackeln, die am Vortag im weichen Sand aufgestellt wurden.

„Die meisten denken jetzt wahrscheinlich: Weihnachten alleine feiern ist doch total das komische Erlebnis. Aber ich war einfach so glücklich. Das war Romantik pur", erinnert sich die 29-Jährige. Ob Weihnachten in Sri Lanka, Couchsurfing in Chile oder Work and Travel in Australien: Carolin aus Menden ist in der ganzen Welt unterwegs - und zwar allein, genauso wie viele andere.

Jeder fünfte Deutsche ist bereits ohne seine Freundinnen und Freunde verreist, Tendenz steigend. Zwischen 2015 und 2020 hat sich die Suche nach dem Wort „solo travel" (allein reisen) bei Google verdreifacht.

„Allein zu reisen ist momentan im Trend", hält Dirk Reiser, Professor für Nachhaltiges Tourismusmanagement an der Hochschule Rhein-Waal in Kleve, fest. Sich frei und unabhängig fühlen, Routinen, die als langweilig empfunden werden, hinter sich lassen, die Menschen vor Ort treffen, eine neue Kultur kennenlernen: Gründe, eine Reise allein anzutreten, gäbe es viele - und diese hätten sich mit den Jahren auch kaum verändert, so Reiser.

Denn die Deutschen sind nicht erst seitdem es Reiseblogger und Social-Media-Plattformen gibt allein unterwegs. „Alleinreisende gab es schon immer. Besonders seit den 80ern gibt es diese Veränderung: weg vom sogenannten Massentourismus hin zu mehr individualisiertem Entdecken. Alleinreisende wollen authentische Erfahrungen machen."

Das ist es auch, was Carolin am Solo-Reisen am meisten begeistert. Als sie 2016 ihre erste große Reise nach Australien antrat, war es für sie allerdings noch undenkbar, ohne Begleitung loszuziehen. „Es wollte niemand aus meinem Freundeskreis mit, also habe ich mir online eine Reisepartnerin gesucht", sagt sie im Rückblick.

Die beiden waren ein halbes Jahr zusammen unterwegs, bevor sich ihre Wege trennten. Danach lernte Carolin in Hostels oder übers Internet neue Reisepartnerinnen und Reisepartner kennen. Diese begleiteten sie auf kurzen Abschnitten, nie auf Dauer. „Ich habe dann aber gemerkt, wirklich allein alles zu erkunden, macht mir richtig Spaß. Ich fand es auch anstrengend, immer neue Leute kennenzulernen und sich abzusprechen."

Was möchtest Du heute unternehmen? Wo möchtest Du zu Abend essen? Wann wollen wir zu unserem Ausflug los? Sie sei es leid gewesen, all diese Fragen stellen zu müssen, erzählt sie: „Wenn man allein ist, ist man komplett flexibel. Ich mache alles so, wie es mir gerade passt."

Dadurch habe sie sich selbst auch auf eine „ganz neue Art und Weise" kennengelernt: „Die meisten von uns wissen nicht, was es heißt, wirklich mit sich allein zu sein. Klar ist man mal 'nen Sonntag alleine zuhause auf der Couch, aber wirklich mal über ein paar Tage nur mit sich zu sein, das kennt fast keiner. Und ich finde, das ist eine tolle Erfahrung."

Allein zu reisen kann heutzutage aber auch ganz anders aussehen. Mittlerweile ist die Art der Reise im Mainstream angekommen. Einige Reiseagenturen haben sich komplett auf Solo-Reisende spezialisiert, es gibt Gruppenreisen, an denen man als Einzelperson teilnehmen kann, Hotels und Kreuzfahrtschiffe weiten ihr Angebot an Einzelzimmern kontinuierlich aus.

„In den letzten Jahren ist ein richtiger Markt entstanden", sagt Tourismus-Professor Reiser. Dass die Branche boomt, liege vor allem an den Eigenschaften der jüngeren Generation - „sehr unabhängig, freiheitssuchend, die Arbeit ist nicht mehr so wichtig, Selbstfindung spielt eine große Rolle" - und daran, dass über alle Altersgruppen hinweg viele Menschen nicht in einer festen Beziehung und damit ohne Reisepartner sind, so Reiser, der auch aus persönlicher Erfahrung spricht.

„Ich war viel allein unterwegs, weil niemand von den Freunden Zeit oder Geld hatte. Ich weiß noch, als ich in den 80ern zum ersten Mal allein gereist bin, das war nach San Francisco. Da war eine der Motivationen, mir selbst zu zeigen, dass ich mich der Herausforderung stelle und das meistern kann."

Herausforderungen begegneten einem als Alleinreisenden zahlreiche: Ob es darum geht, ein schönes Erinnerungsfoto von sich zu schießen, umgeben von Pärchen das Essen im Restaurant zu genießen, auch dann auf sich allein gestellt zu sein, wenn man krank wird oder das ständig aufkeimende Gefühl der Einsamkeit zu überwinden.

Eine Person, mit der er die Erfahrungen vor Ort - ob schöne oder schlechte - teilen kann, habe Reiser oft gefehlt. „Ich habe dann vom Empire State Building aus meine Mutter angerufen. Und das hat sich so eingebürgert, dass ich sie immer von gewissen Punkten meiner Reise aus anrief", erzählt der 56-Jährige.

Eine weitere Schwierigkeit: Stets auf sich aufpassen zu müssen, auch in fremden Regionen für die eigene Sicherheit zu sorgen. Ein Punkt, der vor allem Frauen beschäftigt. „Wenn Frauen allein reisen, suchen sie andere Sicherheiten als Männer: Safety und niedrige Kriminalitätsrate spielen bei der Auswahl ihres Reiseziels oft eine ganz andere Rolle als bei Männern", sagt Reiser mit Blick auf verschiedene Untersuchungen.

Das scheint die meisten aber nicht davon abzuhalten, sich allein auf den Weg zu machen. Studien zufolge sind bis zu 85 Prozent aller Solo-Reisenden weiblich. „ Als Frau fühlt man sich ganz oft ganz unverstanden, wenn man 30 wird und es heißt: Was ist los mit dir? Krieg doch mal Kinder, bau mal ein Haus!", sagt Alicia.

Die 30-Jährige aus Neuss reist seit mehr als zehn Jahren ohne ihre Freunde und Freundinnen - und möchte anderen Frauen Mut machen, „auch allein auf Reisen zu gehen, auszubrechen, den gesellschaftlichen Forderungen etwas zu entgegnen".

Daher hat sie im vergangenen Jahr die Reise-Community „Reisemädchen - Women of our World" gegründet. Dort berichten sie und andere allein reisende Frauen von ihren Erfahrungen, tauschen sich aus, geben einander Tipps.

„Es gibt Dinge, die man als Frau in Deutschland nicht macht. Nachts durch dunkle, einsame Straßen laufen zum Beispiel. Das sind Sachen, die man auf Reisen dann eben auch nicht macht. Aber ich bin als Frau nicht automatisch überall unsicher. Man muss auf sein Bauchgefühl hören", findet Alicia.

Und ihr Bauchgefühl habe sie bisher nie getäuscht - sei es, als sie sich in Russland von einem Einheimischen die Gegend hat zeigen lassen oder der Einladung eines Chilenen folgte und innerhalb des Landes mehrere hunderte Kilometer zu ihm reiste, bei ihm und seiner Familie übernachtete und schließlich mit einem Naturspektakel belohnt wurde: der blühenden Atacama-Wüste.

„Das hätte ich nie erlebt, wenn ich nicht alleine unterwegs gewesen wäre." Auf Reisen habe sie außerdem gelernt, besser auf ihre eigenen Bedürfnisse zu achten. „Im Alltag habe ich immer unterbewusst Rollen gespielt: die Freundin, die Tochter, die Angestellte, die Kellnerin", sagt Alicia. „Aber wenn ich allein reise, kann ich die Person sein, die ich wirklich bin."

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