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Extremsportler aus NRW läuft 1000 Kilometer durch die Wüste

1000 Kilometer durch die Wüsten dieser Welt: Michele Ufer aus Herdecke in NRW nimmt in diesem Jahr am „4 Deserts Grand Slam“ teil. Foto: RacingThePlanet/Zandy Mangold

Michele Ufer aus NRW läuft in diesem Jahr gleich vier Wüsten-Ultramarathons. Wie er das schafft und warum er nichts von Motivationssprüchen hält.

Meterhohe Dünen, verkrustete Salzseen und tiefe Canyons trennen Michele Ufer von seinem Ziel: San Pedro de Atacama. In dem kleinen chilenischen Dorf, das mitten in den Anden liegt, endet der 250 Kilometer lange Ultramarathon „ Atacama Crossing ", bei dem Ufer Ende September antreten wird - und das nicht zum ersten Mal.

„Vor elf Jahren bin ich die Strecke durch die Atacama-Wüste schon mal gelaufen. Das war der erste Wettkampf meines Lebens", erinnert sich der heute 50-Jährige aus Herdecke. Seitdem hat er mehrfach extreme Distanzen hinter sich gebracht, zum Beispiel im Dschungel Perus, auf den Fidschi-Inseln oder am Mount Everest.

In diesem Jahr stellt sich der Ultraläufer nun einer besonderen Herausforderung: dem „ 4 Deserts Grand Slam ". Dafür muss er innerhalb eines Jahres gleich vier Ultramarathons absolvieren. Das haben weltweit bisher nur 78 Menschen geschafft.

Zwei der insgesamt vier Rennen kann Ufer bereits erfolgreich abhaken. Im Mai lief er 250 Kilometer in sechs Etappen durch die Namib-Wüste an der Südwestküste Afrikas, im Juli folgte ein Rennen durch das Kaukasus-Gebirge in Georgien. Halbzeit nach 500 Kilometern.

Sportler aus NRW nimmt an Wüsten-Ultramarathon teil - ohne Vorbereitung

Aktuell steckt er mitten in den Vorbereitungen für den Ultramarathon in der Atacama-Wüste. Er gehe regelmäßig laufen, lege große Distanzen mit dem Fahrrad zurück, um seine Ausdauer und seine Muskeln zu trainieren.

Doch fast noch wichtiger als die körperliche Vorbereitung ist für Ufer das mentale Training. „Bevor ich meinen ersten Ultramarathon in Chile gelaufen bin, hatte ich mit dem Laufen überhaupt nichts am Hut", sagt er.

Er habe zuvor weder einen Marathon noch einen Halbmarathon, ja nicht mal ein 10-Kilometer-Rennen absolviert. „Mein ganzes Umfeld hat gesagt: Du bist doch bekloppt", erinnert sich Ufer, der auch als Sportpsychologe arbeitet.

„Aber ich habe das Rennen für mich als psychologisches Labor definiert und als Selbsttest, weil ich erleben und demonstrieren wollte, wie man mit mentalem Trainingstechniken doch ganz erheblich seine Leistungsfähigkeit steigern kann."

Beim mentalen Training gehe es darum, bestimmte Routinen zu etablieren, die einem in schwachen Momenten helfen, wieder zu Kräften zu finden. Ein Beispiel: „In Namibia waren es tagsüber bis zu 56 Grad. Die Füße schwellen so sehr an, dass man seine Schuhe zwei Nummern größer kaufen muss. Man hat überall Sand, der sich in den Schuhen anfühlen kann wie Schmirgelpapier. Man bekommt Blasen. Kurz gesagt: die Füße tun weh", erzählt Ufer.

Damit er während des Rennens nicht über die Schmerzen nachdenken müsse, überlege er sich schon vorab, was er stattdessen fühlen möchte. In diesem Fall: frische, erholte Füße.

„Ich stelle mir dann vor, wie ich am Strand entlang schlendere. Ich spüre dann richtig, wie das kühle Wasser über meine Füße schwappt und wie eine leichte Brise das Gefühl der Frische noch verstärkt", sagt Ufer. Jetzt denken viele vielleicht, dass das doch nichts mit der Realität zu tun hat. Muss es auch nicht. Ein Bild von etwas, das nicht real ist, kann unmittelbar reale Auswirkungen haben."

Ziel müsse es daher sein, für jede mögliche Herausforderung während des Laufens eine Strategie zu entwickeln. „Man kann sich das vorstellen wie bei einem Pilot, der gedanklich alles vorher durchspielt: Wenn das Triebwerk ausfällt, mache ich das und das. Wenn ein Kabinenbrand passiert, mache ich das und so weiter."

Mentale Techniken ermöglichten es Ufer nicht nur, den Ultramarathon zu überstehen- sondern ihn zu genießen, „auch wenn es natürlich kein einfaches Herumtänzeln ist". Im Gegenteil: Die Atacama-Wüste ist die trockenste Wüste der Welt.

„Man muss teilweise über messerscharfe Krusten der vertrockneten Salzseen laufen, die sich sogar durch die Schuhsohlen bohren können", sagt Ufer.

Bei seinem ersten Rennen habe er die Landschaft als surreal empfunden: „Man läuft durch Felsenlandschaften, in denen es überraschenderweise fast oasenmäßig ist, weil das eiskalte Schmelzwasser der Anden dadurch fließt. Gleichzeitig blickt man auf schneebedeckte, fast 7000 Meter hohe Vulkane. Und nachts ist es so, als könnte man die Sterne vom Himmel pflücken."

Die Nächte verbringt er gemeinsam mit den rund 100 anderen Läuferinnen und Läufern in einfachen Gruppenzelten. Bis auf Wasser wird den Teilnehmenden im Camp und auch während des Laufes selbst keine Verpflegung gestellt.

Alles, was sie zum Überleben brauchen, müssen sie in einem Rucksack bei sich tragen: von Kleidung über Stirnlampen samt Ersatzbatterien bis zu Iso-Matte und Schlafsack. „Zur Verpflegung habe ich Riegel, Gels und Trekking- oder Astronautennahrung dabei", sagt Ufer. Bis zu zehn Kilo wiege sein Rucksack, was das Laufen erheblich anstrengender mache.

Generell seien die Pausen zwischen den täglichen Etappen zu kurz, um sich wirklich zu regenerieren, so Ufer: „Man läuft auf seinen Akkus." Zu sehen, was in einem steckt, ans Limit gehen: Das macht für ihn den Reiz des Rennens aus.

Von Motivationssprüchen wie „Nur die Harten kommen in den Garten", „ Gib' niemals auf!", oder „Reiße deine Grenzen ein!" hält er trotzdem wenig. „Es gibt Motivationsheinis, die einem erzählen wollen, dass man immer weiter machen muss und nicht aufgeben darf. Das ist totaler Schwachsinn. Und das ist auch gefährlich", kritisiert Ufer. Vielmehr seien Grenzen „wichtig und nötig".

Wer seine Leistung steigern und seine persönlichen Grenzen erweitern oder gar überwinden wolle, müsse sich dabei stets die Frage stellen: „Wie geht das, ohne dass ich mich selbst dabei kaputt mache?" Grenzkompetenz nennt Ufer diese Fähigkeit.

Auch den Läuferspruch „Did not finish is no option!" (dt.: Nicht beenden ist keine Option) sieht er kritisch. „Manchmal ist das Abbrechen eines Laufes sehr wohl eine Option, und sogar eine intelligente. Es schützt davor, dass wir vielleicht bleibende Schäden davontragen."

Er selbst habe bisher keinen Ultramarathon vorzeitig beenden müssen und hofft, dass das auch mit dem Rennen in Chile so bleibt.

„Aber auch das Atacama-Crossing ist ja nur ein Etappenziel", sagt Michele Ufer. Das Finale findet erst im November statt. Anstatt Sand und Hitze erwarten ihn dann ewiges Eis und eisige Temperaturen - beim Ultramarathon in der Antarktis.

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