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Essener Roma-Familie über Vorurteile: Wir sind keine Bettler

ESSEN-ALTENDORF.  Altendorf gilt als Essener Brennpunkt, oft kommt es zu Konflikten – auch mit den Roma-Familien. Wie es einer Familie aus Rumänien damit geht.

Als Wolfgang Zacheja zum ersten Mal bei Familie David in Essen-Altendorf klingelt, hat er eine Liste dabei. „Einlaminiert, damit sie auch lange hält.“ Ab 22 Uhr gilt in Deutschland Nachtruhe, der Müll wird getrennt und viele weitere Regeln werden darauf auf Rumänisch erklärt.

Nachbarn hatten sich darüber beschwert, dass Sandel (32) und Dorina (30) David, die 2018 zusammen mit ihren Kindern aus ihrem Heimatland Rumänien nach Essen gekommen sind, viel zu laut seien. Der Streit drohte, zu eskalieren – und Zacheja wurde eingeschaltet.

Der Ex-Polizist ist fast täglich im Stadtteil unterwegs, sucht im Auftrag des Diakoniewerks das Gespräch mit den Bewohnerinnen und Bewohnern. Es geht um Konflikte im Zusammenleben, um Lärm, Müll und Vandalismus.

Von diesen Konflikten seien häufig auch Roma-Familien betroffen. Das liege zum einen an der Sprachbarriere und daran, dass viele Familien keinen Kontakt „zur Außenwelt“ suchten, da sie im Stadtteil gut untereinander vernetzt seien.

Zum anderen problematisiert Zacheja aber auch die Ausgrenzung der Roma: „Klar gibt es Sprachprobleme. Aber es ist auch ein Problem, dass man gar nicht mit ihnen reden will. Das sage ich knallhart.“

So hätten auch die Nachbarn der Davids direkt die Polizei eingeschaltet, anstatt das Gespräch mit der Familie zu suchen. „Wir wussten gar nicht, dass wir sie stören. Wir haben uns sehr gefreut, dass Herr Zacheja uns Bescheid gegeben hat“, sagt Sandel David im Rückblick.

Seitdem schließt er immer das Fenster, wenn er singt oder gemeinsam mit seiner Frau auf dem Akkordeon spielt. Das Instrument ist ihre Leidenschaft, erinnert sie an ihre Heimat. „Wir spielen nicht für Geld, nur privat für uns. Wir betteln nicht“, sagt Dorina David, um Vorurteile aus dem Weg zu räumen.

Ihre Finger fliegen über die Tasten, mit der linken Hand zieht sie den Balg auseinander. Ihr Mann steigt in die Melodie mit ein, lächelt dabei Wolfgang Zacheja an, der im Wohnzimmer der beiden Platz genommen hat.

Es ist nicht das erste Mal, dass er bei ihnen zu Besuch ist. Zwei Wochen, nachdem er sie gemeinsam mit der Übersetzerin Deliana Fahsi im September des vergangenen Jahres über die Beschwerde informiert hatte, meldeten sich die Nachbarn erneut bei Zacheja. Was er getan habe, wollten sie wissen, es sei auf einmal so ruhig im Haus gegenüber.

Für Zacheja ein Grund, erneut unangekündigt bei den Davids zu klingeln – um sich bei ihnen zu bedanken. Denn ihr Fall sei ein geglücktes Beispiel, in vielen anderen Situationen ließen sich die Probleme nicht so einfach lösen.

Nur wenige Minuten, nachdem sie geklingelt hatten, fanden Zacheja und Fahsi sich auf dem Sofa wieder, hörten ihrem ersten „Privatkonzert“ zu. Seitdem sind sie einmal im Monat bei der Familie eingeladen.

„Die Tapete ist aber schön geworden. Beim letzten Mal hatte ich noch gesagt, dass die Wand so karg ist“, sagt Zacheja, als er an diesem Nachmittag die Wohnung betritt. In seiner Hand trägt er einen Beutel, gefüllt mit Obst und Süßigkeiten für die Kinder der Davids.

Drei von ihnen leben mit den Eltern in Essen, die älteste Tochter ist in der Heimat bei den Großeltern geblieben. Eine weitere Tochter ist blind und konnte in Rumänien nicht behandelt werden, deshalb ist die Familie nach Deutschland gekommen. Sandel David hat zuerst eine Wohnung und einen Job in Essen – wo er viele Verwandte hat – gesucht, dann seine Frau und die Kinder nachgeholt.

Seitdem musste er schon oft den Arbeitgeber wechseln, zurzeit ist er als Reinigungskraft angestellt. „Armut ist ein großes Problem, hier und in Rumänien“, sagt er. „Aber die Lebensbedingungen hier sind etwas besser und die Ablehnung ist geringer als in Rumänien.“

Wirklich gewollt fühlen sie sich allerdings auch in Deutschland nicht. „Aber wir lassen uns nicht unterkriegen“, sagt Sandel David und zuckt mit den Schultern. Ihre Kinder hätten in der Schule zwar Freunde gefunden, außerhalb des Unterrichts verabreden diese sich jedoch nicht.

„Die Grenze ist immer noch da. ‘Du darfst nicht mit den Kindern spielen’. Das sind die ‘Schmuddel-Kinder’. Das erlebe ich immer wieder“, sagt Zacheja. „Es gibt diese latente Ablehnung. Das können wir nicht weg reden.“

Die Wissenschaft hat dieser Ablehnung einen Namen gegeben: Antiziganismus wird als eine Form des Rassismus definiert, der Sinti und Roma stigmatisiert und diskriminiert. Um dem entgegenzuwirken, hat die Bundesregierung im März 2022 mit dem Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler erstmals einen Antiziganismus-Beauftragten berufen.

Klassische Vorurteile sind laut Bundeszentrale für politische Bildung etwa die Annahmen, dass die Personen „nicht sesshaft“, „kriminell veranlagt“ oder „arbeitsscheu“ sind. „Natürlich verletzt es uns, wenn wir so etwas hören“, sagt Dorina David. „Aber wenn man die Regeln in Deutschland beachtet, hat man keine Probleme.“

Zu Konflikten kommt es in Altendorf allerdings immer wieder, das Viertel gilt als Brennpunkt. Das erlebe auch Zacheja täglich, Zugang zu den zugezogenen Menschen aus Südosteuropa finde er nur schwer.

Eine Ursache dafür ist seiner Erfahrung nach auch, dass viele von ihnen staatliche Organe ablehnen und meiden. „Woher kommt das? Wie kann ich da entgegenwirken?“, will er von den Davids wissen. Eine Antwort haben sie nicht parat.

„Ich habe insgesamt noch viel zu wenig Kontakt zu den Roma hier im Stadtteil. Aber es ist ein Fuß in der Tür“, sagt der Streetworker. So hoffe er, dass geglückte Kontakte wie mit den Davids ein Türöffner zu weiteren Familien im Stadtteil sein werden, die Gespräche bisher ablehnen.

Denn er hat Sorge vor wachsender Ausländerfeindlichkeit: „Wenn die Integration nicht klappt, kann das auch hier in Altendorf ganz schnell kippen.“ Umso wichtiger sei es, dass Sandel und Dorina David, die – anders als ihre Kinder – kein Deutsch sprechen, einen Sprachkurs absolvieren.

Das notiert er sich, wie viele andere Aufgaben, auf einer Liste, bevor er die Wohnung der Davids wieder verlässt. Ein weiterer wichtiger Punkt darauf: Er möchte ein Konzert am Ehrenzeller Platz organisieren, an dem alle Menschen aus dem Stadtteil zusammenkommen und die Davids mit ihren Akkordeons auftreten können. „Aber nicht für Geld“, sagt Dorina David. „Wir sind ja keine Bettler.“

Weitere Infos:
In Eu­ro­pa leben schät­zungs­wei­se zwölf Mil­lio­nen Sinti und Roma. In vie­len Län­dern ist ihre Lage pre­kär, be­son­ders in Süd­ost­eu­ro­pa ste­hen sie häu­fig am Rande der Ge­sell­schaft.

In Deutsch­land ar­bei­ten viele Roma in der Fleisch­in­dus­trie, deren teils sehr schlech­te Ar­beits­be­din­gun­gen im Zuge der Co­ro­na-Pan­de­mie öf­fent­lich wur­den. „Meine Schwes­ter ar­bei­tet auch in einer Fleisch­fa­brik. Sie ar­bei­tet sehr viel und ver­dient sehr wenig“, sagt Do­ri­na David.


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