Sophie Schädel

Freie Journalistin, Dortmund

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Kippt Paragraf 219a? Arzt hofft auf Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibungen

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Kippt Paragraf 219a?

Er macht 250 Abtreibungen im Jahr: "Man sieht das Herz schlagen"

Interview Von Sophie Schädel

Aktualisiert am 13.05.2022 Lesedauer: 5 Min.

Plakat auf einer Demonstration und Dr. Holger Bartnitzky (Montage/t-online): Er hofft auf eine Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibungen. (Quelle: privat/snapshot/imago-images-bilder)

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Dr. Holger Bartnitzky führt in seiner gynäkologischen Praxis in Duisburg Abtreibungen durch. Bisher darf er darüber auf seiner Homepage nicht detailliert aufklären - das sogenannte Werbeverbot im Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs verbietet das. Das könnte sich bald ändern.

Der Bundestag debattierte am heutigen Freitag darüber, ob das Werbeverbot für Abtreibungen gestrichen werden soll. Es verbietet Praxen und Kliniken, ausführlich darüber zu informieren, welche unterschiedlichen Methoden es für den Abbruch gibt.

Bundesjustizminister Marco Buschmann verteidigte die geplante Abschaffung des Paragrafen 219a. "Wir wollen, dass eine Frau, wenn sie es möchte, informierter entscheiden kann, und das sollte in einer aufgeklärten Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit sein", so der FDP-Politiker am Freitag.

Derzeit sei die Lage so, dass Menschen im Internet "jeden Unsinn über Schwangerschaftsabbrüche" verbreiten könnten, aber Ärztinnen und Ärzten "verbieten wir, sachliche Informationen bereitzustellen", sagte Buschmann im Bundestag. "Das ist doch absurd".

Auch Dr. Holger Bartnitzky hofft, seine Patientinnen künftig besser aufklären zu dürfen. Im t-online-Interview berichtet er außerdem, wie es sich für ihn anfühlt, jährlich rund 250 Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen.

t-online: Der Paragraf 219a im Strafgesetzbuch verbietet die Werbung für Abtreibung. Der Begriff Werbeverbot ist aber umstritten. Was halten Sie davon?

Dr. Holger Bartnitzky: Ich würde auf keinen Fall für Abtreibung werben und sowas schreiben wie "Machen Sie eine Abtreibung bei mir, bei mir ist es am besten". Der Ausdruck "Werbung" ist völlig deplatziert. Eine Werbung, wie man sie zum Beispiel aus der Schönheitschirurgie kennt, fände ich im Bereich Abtreibung anstößig und absurd.

Aber wenn Frauen ungewollt schwanger sind, dann sollten sie im Internet niedrigschwellig alle Informationen bekommen, die sie brauchen. Sie haben nicht viel Zeit und sind in einer psychischen Ausnahmesituation. Sie sollten nicht warten müssen, bis sie einen Termin bei mir bekommen, um sich zu informieren.

Bisher steht auf Ihrer Homepage nur, dass Sie Abtreibungen mithilfe von Medikamenten anbieten. Gäbe es das Werbeverbot nicht, was würden Sie dann auf Ihrer Seite schreiben?

Dann könnte ich über die Methode im Detail informieren, sodass sich die Frauen besser darauf einstellen können. Dann würde ich schreiben, dass der zweite Teil des Abbruchs bei den Frauen zu Hause stattfinden kann. Damit könnten die Frauen sich vorher überlegen, welcher Termin für sie praktisch ist, wo die Kinder so lange sein sollen, wer die nötige Begleitperson sein kann. Das alles muss organisiert werden, und ich würde das gerne detaillierter beschreiben. Da besteht einfach Handlungsbedarf.

Die gesamte Debatte um Schwangerschaftsabbrüche ist sehr emotional. Viele Ärzte, die Abtreibungen durchführen, werden dafür angefeindet. Wer ausführlich über diese Leistung informiert, kann wegen Verstoßes gegen das Werbeverbot angezeigt werden. Haben Sie solche Erfahrungen auch schon gemacht?

Nein, nie. Ich bin mit diesem Thema nicht exponiert - bis zu diesem Interview zumindest. Aber ich habe schon mal Sammel-E-Mails bekommen. Die verschicken Abtreibungsgegner an alle Praxen, die die Bundesärztekammer auf einer öffentlichen Liste über Abbrüche aufführt. Die Gegner schreiben dann, dass ich mich schuldig machen würde am mehrfachen Töten von menschlichem Leben, und dass ich das unterlassen soll. Aber mich ganz persönlich angegriffen hat bisher noch niemand.

Die Debatte um Abtreibung kreist oft um die Frage, wann menschliches Leben beginnt. Wann beginnt es für Sie?

Das ist schwierig. Der Schwangerschaftsabbruch mit der medikamentösen Methode, die ich ja anwende, ist erlaubt bis zum Ende der neunten Schwangerschaftswoche. Zu dem Zeitpunkt ist der Embryo im Ultraschall schon gut sichtbar und rund zwei Zentimeter groß. Dann sieht man auch schon das Herz schlagen. Das beschäftigt mich durchaus. Es ist aus meiner Sicht schon menschliches Leben. Nur ist da meine Loyalität der Patientin gegenüber größer als die dem ungeborenen Leben.

Und ich kann gut nachvollziehen, wenn zum Beispiel eine ungewollt Schwangere schon zwei Kinder allein großzieht und das gerade so schafft neben dem Beruf und jetzt ihre dritte Schwangerschaft nicht austragen will. In der Abwägung haben dann für mich die Interessen meiner Patientinnen Vorrang.

Eine Demonstration in München (Archivbild): Dort wurde die ersatzlose Streichung der Paragrafen 218, 219 gefordert. (Quelle: aal.photo/imago-images-bilder)
Was würden die Frauen wohl tun, wenn sie keine Hilfe bekämen?

Es ist unstrittig, dass bei hohen Hürden gegen Abtreibung oder wenigen Ärzten, die das anbieten, die Zahl der Abtreibungen nicht sinkt. Die Frauen, die eine Schwangerschaft abbrechen wollen, finden immer Wege - mit dann zum Teil verheerenden Folgen, wenn sie keinen Arzt haben, der das professionell durchführt. Da sehe ich uns Gynäkologen einfach in der Pflicht. Wer soll denn den Frauen in der Situation sonst helfen?

Wie fühlt es sich an, eine Abtreibung durchzuführen? Ist das für Sie eine Leistung wie jede andere auch?

Grundsätzlich ist das für mich eine normale Leistung. Im Einzelfall kann es aber natürlich auch mal emotional ganz schön aufwühlend sein. Da bin ich dann mit meiner vollen Empathie gefragt. Die Frauen sind in einer Krisensituation. Beim Schwangerschaftsabbruch sitzen auch manchmal Frauen vor mir, die wirklich mit sich ringen. Insofern ist das etwas Besonderes. Aber diese Emotionalität gibt es nicht nur bei Abbrüchen, sondern auch bei anderen Tätigkeiten in meiner Praxis: die Trauer, wenn ein Baby nicht mehr lebt, obwohl die Schwangerschaft so sehr gewünscht war. Oder wenn ich eine Krebsdiagnose überbringen muss.

Neben diesen negativen Emotionen bei Abbrüchen gibt es aber auch eine andere Seite. Häufig sind die Frauen einfach unglaublich erleichtert, wenn sie den Abbruch gut geschafft haben und alles geklappt hat. Sie hatten große Angst vor der Abtreibung, und wenn sie es hinter sich haben, fällt eine Last von ihnen ab. Ich bekomme von diesen Patientinnen ganz viel Dankbarkeit zurück.

In manchen Regionen haben Frauen Schwierigkeiten, eine Praxis in ihrer Nähe zu finden, die Schwangerschaftsabbrüche anbietet. Wie ist die Versorgungslage in Duisburg? Auf der Liste zu Abtreibung der Bundesärztekammer stehen Sie als einziger Duisburger Arzt.

In Duisburg ist die Versorgung gut. Es gibt mehr Ärzte, als die Bundesärztekammer auflistet. Hier bieten vier Praxen Abbrüche an. Die Patientinnen haben die Wahl zwischen der operativen und der medikamentösen Methode. Zu mir kommen aber nicht nur Duisburger Frauen, sondern auch Schwangere aus dem Umland.

Wobei das nicht nur an einer schlechteren Versorgung im ländlichen Raum liegt. Viele Frauen wollen nicht im eigenen Dorf abtreiben, selbst wenn sie die Wahl hätten. Die Frauen wollen Anonymität, die in der Großstadt mehr gegeben ist als auf dem Land, wo man viele im Wartezimmer persönlich kennt.

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Wo haben Sie Abtreibung gelernt? Im Medizinstudium und der Facharztausbildung werden Abbrüche ja in der Regel nicht gelehrt.

Ich habe vor zirka zehn Jahren eine Fortbildung über medikamentöse Abbrüche bei einem Kongress gemacht. Dazu kam dann über die Jahre hinweg immer wieder fachlicher Austausch mit anderen Ärzten, die sich mit Abtreibung auskennen. Für medikamentöse Abbrüche reicht das.

Ich finde aber, dass operative Abbrüche sowohl im Studium als auch in der Facharztausbildung ein Thema sein sollten. Sie sind immerhin der häufigste gynäkologische Eingriff.

Eigenes Interview mit Dr. Holger Bartnitzky
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