Sophie Schädel

Freie Journalistin, Dortmund

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Artikel

Zwischenfazit zum Prozess gegen rechte Terrorgruppe

Im Verfahren gegen die rechtsterroristische „Gruppe S" sitzen elf Männer in Stuttgart auf der Anklagebank, die Anschläge auf Moscheen geplant haben sollen. Drei von ihnen kommen aus NRW: Der Polizist Thorsten W. aus Hamm sowie die beiden Mindener Thomas N. und Markus K. Der Strafsenat widersprach nun der Einschätzung der Bundesanwaltschaft, er hält mehrere Angeklagte für weniger schuldig.

Die „Gruppe S" plante der Anklage zufolge, durch bewaffnete Angriffe auf Moscheen eine aggressive Reaktion von Türk:innen oder Muslim:innen zu provozieren. Dagegen, so das Kalkül der Gruppe, sollten Rechte in ganz Deutschland zu den Waffen greifen. Wie fallende Steine beim Dominoeffekt sollten Auseinandersetzungen in einen Bürgerkrieg münden, an dessen Ende eine nationalsozialistische Gesellschaftsordnung etabliert werden sollte. Bis in den Nationalsozialismus schaffte es die „Gruppe S" dann aber doch nicht: Im Februar 2020 wurden die Mitglieder verhaftet, bevor sie einen Anschlag begehen konnten.

Recht eindeutig ist, dass die zentralen Punkte der Anklage zutreffen dürften: Die terroristische Vereinigung wollte Moscheen angreifen, besaß Waffen und sammelte Geld für weitere. Diese Erkenntnisse bestätigten mehrere der Beschuldigten bereits. Doch welcher der Angeklagten was genau tat, ist seit nunmehr 24 Prozesstagen Gegenstand von Diskussionen vor Gericht. Und der Prozess wird sich voraussichtlich noch bis in den Sommer 2022 hinziehen.

Paul-Ludwig U.: Angeklagter, Zeuge oder V-Mann?

Das Problem: Die Ermittlungen begannen erst wegen eines Hinweises durch Paul-Ludwig U. Er ist selbst ein Rechter und Mitglied der Gruppe und warnte die Behörden, weil ihm die Anschlagspläne zu weit gingen. Ein halbes Jahr lang blieb er Teil der Gruppierung und versorgte die Behörden mit Informationen. Die Polizei begann, Chats und Telefonate mitzuschneiden und observierte, wer zu den Treffen kam. Was dort allerdings besprochen wurde, wissen nur die Angeklagten. Paul-Ludwig U. erzählt viel, widerspricht sich oft und neigt zu Übertreibungen. Ist Verlass auf seine Aussagen?

Außerdem kam in den letzten Verhandlungstagen vor der Sommerpause des Verfahrens etwas auf, das der Anwalt eines der Angeklagten als „Justizskandal" bezeichnete: Paul-Ludwig U.s Rolle muss neu geklärt werden. Er war lange als einziger Angeklagter auf freiem Fuß. Er ist, wie er selbst sagt, zum Schutz vor seinen Kameraden aktuell im Zeugenschutz untergebracht, ist aber kein Zeuge, sondern Angeklagter. Auf welcher Basis er den Ermittlungsbehörden erzählte, was die „Gruppe S" tat, erhitzte zuletzt die Gemüter im Gerichtssaal. War U. einfacher Bürger, der ohne Auftrag und ohne Gegenleistungen sein Wissen mit der Polizei teilte, so wie die Ermittlungsbehörden immer wieder betonen?

Drei mögliche Motive für U.: Straffreiheit, Geld und Zeugenschutz

In abgehörten Telefonaten zwischen U. und einem engen Vertrauten, die in den letzten Verhandlungstagen vor der Sommerpause als Beweisstücke eingeführt wurden, zeichnet U. ein anderes Bild. Darin erzählt er, dass jemand aus der Generalbundesanwaltschaft versprochen habe, er werde nicht als Beschuldigter, sondern als Quelle geführt, weil er dadurch mehr Rechte habe und Straftaten begehen könne, ohne Repression zu fürchten. Tatsächlich wurde U. einmal zufällig kontrolliert, als er eine Schusswaffe im Rucksack hatte, für die er einen Waffenschein gebraucht hätte. Das war nicht nur ein Verstoß gegen das Waffenrecht: U. war zu dem Zeitpunkt auf Bewährung. Diese Bewährung wurde trotz der Straftat offenbar nicht widerrufen. Genauso, wie U. es Ende 2019 und Anfang 2020 triumphierend seinem Vertrauten am Telefon vorausgesagt hatte.

Neben der Zusicherung von Straffreiheit bekam U. offenbar wöchentlich 100 Euro vom LKA und das Versprechen, ihn in den Zeugenschutz zu nehmen, wenn die „Gruppe S" festgenommen würde. Da U. oft übertreibt und seine Erzählungen ausschmückt, ist nicht ganz klar, ob all diese Punkte wahr sind. Faktisch scheint er selbst jedoch zumindest in den Telefonaten mit seinem Vertrauten fest davon auszugehen. Ob er sich das alles ausgedacht hat oder U. tatsächlich offiziell als Quelle geführt wurde und dafür Gegenleistungen bekam, muss noch geklärt werden. In der Vergangenheit platzten einige ähnliche Verfahren gegen rechte Gruppen, als herauskam, dass die Erkenntnisse von Quellen kamen, die selbst in den Gruppen aktiv waren und dort Straftaten begingen, gleichzeitig aber von der Polizei bezahlt wurden.

Angeklagter auf freiem Fuß: Strafsenat hält mehrere Beschuldigte für weniger schuldig

Neben dieser großen Frage sorgte der Strafsenat vor der aktuell laufenden Sommerpause für eine Überraschung: Er widersprach der Einschätzung, die die Bundesanwaltschaft in der Anklage formulierte, und gab bekannt, dass er einige der Angeklagten als weniger schuldig betrachtet. Zu Prozessbeginn war nur der Polizist Thorsten W. als Unterstützer der terroristischen Vereinigung angeklagt, alle anderen wurde die Mitgliedschaft vorgeworfen. Der Strafsenat sieht das nun anders: Er hält vier weitere Angeklagte lediglich für Unterstützer statt für Mitglieder - eine Unterscheidung, die unter anderem eine weniger lange Haftstrafe bedeuten dürfte. Der Mindener Markus K. sowie die Angeklagten Michael B., Stefan K. und Marcel W. sollen die Gruppe nach Ansicht des Senats lediglich unterstützt haben.

Michael B. ist sogar seit Anfang August auf freiem Fuß. Für ihn ist das Statement des Strafsenats besonders relevant: Neben der Einschätzung der Schuld der Angeklagten geht der Senat davon aus, dass sich die „Gruppe S" nicht schon, wie die Bundesanwaltschaft in der Anklage schrieb, im September 2019 an einem Grillplatz im schwäbischen Alfdorf gründete. Stattdessen sieht der Strafsenat den Gründungsakt der Gruppierung erst am 7. Februar 2020 im westfälischen Minden. Da Michael B. am Treffen in Alfdorf, nicht aber an dem in Minden teilnahm, ist folgerichtig, dass er wohl kein Mitglied der Gruppe war. Dass der Senat die Gründung der „Gruppe S" erst am 7. Februar 2020 sieht, bedeutet, dass die Gruppe nur eine Woche bestand: Denn am 14. Februar 2020 nahm die Polizei die Beschuldigten fest. So dürften nur Taten aus einer Woche berücksichtigt werden.

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