Sophie Schädel

Freie Journalistin, Dortmund

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Wenig Chancengleichheit für pflegende Studierende

Wer sind die Studierenden, die Angehörige pflegen? Wie passt beides in einen Kalender, und wie hilft die UDE? Wir haben mit Prorektorin Barbara Buchenau darüber gesprochen und uns für euch die wenigen Studien angeschaut, die Rückschlüsse auf die kaum beachtete Gruppe pflegender Studierender zulassen.

Wie viele Studierende Angehörige pflegen, ist nicht so einfach zu sagen, denn genaue Zahlen aus NRW oder Deutschland gibt es dafür nicht. Im Wintersemester 2019/20 ergab eine Umfrage der Universität Duisburg-Essen (UDE) unter den Studienanfänger:innen, dass 7 Prozent von ihnen in die Betreuung von Angehörigen eingebunden sind.

Diejenigen von ihnen, die sich an der Uni beraten lassen, sind mehrheitlich Frauen: „Auch an der UDE zeigt sich ein Gender Care Gap", beobachtet Barbara Buchenau. Sie ist Prorektorin für gesellschaftliche Verantwortung, Diversität und Internationalität an der UDE und hat damit auch die Studierenden im Blick, die „nebenher" Pflegeverantwortung haben. Da nicht bekannt ist, wie viele Studierende Angehörige pflegen, lässt sich auch schwierigbeziffern, welche Probleme diese Doppelbelastung mit sich bringt. Die Universität Bremen führte 2018 eine nicht repräsentative Umfrage unter ihren Studierenden mit Pflegeaufgaben durch, die zumindest Hinweise darauf geben kann. Dort gab über die Hälfte der Befragten an, mehr als 20 Wochenstunden in die Pflege von Angehörigen zu investieren. Bei der Frage nach ihren Hauptproblemen nannten sie häufig Schlafmangel und zu wenig Freizeit, die Einhaltung der Regelstudienzeit, die Teilnahme an Veranstaltungen und Prüfungen und finanzielle Schwierigkeiten. Insgesamt bezeichneten in der Bremer Studie alle Befragten die Kombination aus Studium und Pflege als belastend.

Studium und Pflege passen nur schwer in einen Kalender

Eine besonders große Herausforderung für pflegende Studierende: das Zeitmanagement. Mitten in der Vorlesung kann das Handy wegen eines Notfalls klingeln; der eigene Stundenplan muss mit dem Pflegedienst abgestimmt werden, Arzttermine liegen im Zeitraum des Seminars mit Anwesenheitspflicht. Diese externen Faktoren können die Studierenden kaum selbst beeinflussen. „Dementsprechend hat sich die UDE verpflichtet, Studierende, die Pflegeverantwortung übernommen haben, bevorzugt zu Lehrveranstaltungen zuzulassen", erklärt Buchenau.

„Pflegeaufgaben, das wissen wir aus der Studienberatung, hängen häufig zusammen mit langsameren Studienverläufen, schlechteren Noten und auch Studienabbrüchen", erklärt die Prorektorin. Diese Doppelbelastung führt zu einem Phänomen, das sich Mental Load nennt: Die Pflegeverantwortung bleibt im Kopf, auch wenn der sich gerade mit einer Statistikübung oder dem Nebenjob befassen sollte. Bei der Pflege von schwerkranken Angehörigen kommt dann noch die Sorge um sie dazu und in manchen Fällen auch Trauerverarbeitung. „Das führt zu geistiger Ermüdung und erhöhtem Stress", warnt Buchenau.

Pflegende Studierende werden rechtlich kaum gesehen

Wenn Studierende ausfallen, um ihre Angehörigen zu pflegen, können sie beantragen, dass Fristen und Termine im Studium für sie verschoben werden. Allerdings geht das nur, wenn ihre Pflegeaufgaben attestiert sind, erklärt Buchenau. „Und wenn die zu pflegenden Angehörigen plötzlich krank werden, können Studierende die Möglichkeiten des Prüfungsrücktritts nutzen, des entschuldigten Nichtantritts zur Prüfung, Gewährung von Urlaubssemestern und entschuldigte Prüfungs- und Studienzeitverzögerungen." Doch wenn Studierende wegen ihrer Pflegeverantwortung Prüfungen verschieben müssen, kann das bedeuten, dass sich ihr Studium dadurch insgesamt in die Länge zieht.

Dazu kommt: Studierende mit Pflegeaufgaben haben nicht nur schlechtere Chancen auf einen Nebenjob, sie werden auch beim BAföG benachteiligt. Denn wer die Regelstudienzeit überschreitet, wird auch nicht mehr gefördert. Erst die Pflege eines Angehörigen mit mindestens Pflegestufe Drei berechtigt Studierende dazu, BAföG auch über die Regelstudienzeit hinaus zu beantragen. Das sind Menschen, die quasi rund um die Uhr Unterstützung benötigen. „Dabei ist schon die Pflege eines Angehörigen mit niedrigeren Pflegegraden nicht unaufwändig", so Buchenau. „Doch dafür gibt es keinerlei Berücksichtigung."

Was tut die UDE?

Langfristig hat Buchenaus Prorektorat das Ziel, dass Studierende ihr Engagement als Leistung im Studium geltend machen können. „Universität zukunftsfähig zu machen bedeutet auch, stärker generationenübergreifend zu denken. Als familiengerechte Hochschule schauen wir nicht nur darauf, Kinder auf dem Campus zu ermöglichen", betont die Prorektorin. Die Universität hat ein Familienservicebüro, das gerade an Veranstaltungen und einem Beratungsangebot für pflegende Studierende feilt.

Und zumindest um finanzielle Nachteile müssen sich mittlerweile weniger pflegende UDE-Studierende sorgen: Im vergangenen Jahr begann an der UDE ein Stipendium mit dem Titel Chancengleichheitsfonds. Es richtet sich an Studierende mit Care-Aufgaben. 57 Stipendiat:innen bekommen ein halbes Jahr lang 400 Euro monatlich. Die Finanzierung kommt vom Prorektorat für gesellschaftliche Verantwortung, Diversität und Internationalität und vom Land NRW. Ob die Förderung auch nach 2021 noch bestehen soll, will das Ministerium für Kultur und Wissenschaft im Laufe des Jahres entscheiden.

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