Sophie Schädel

Freie Journalistin, Dortmund

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Opa, ich hab dich wieder lieb

Als ich klein war, hatten mein Opa und ich großen Spaß miteinander. Wir haben uns hartgekochte Eier im Ganzen in den Mund gesteckt und wer es zuerst schaffte, „bap" zu sagen, ohne dass alles über den Esstisch flog, hatte gewonnen. Wir haben bis zum Umfallen Domino gespielt und hatten beide eine diebische Freude, wenn der andere verlor.

Meine ersten Computerspiele habe ich auch mit Opa gespielt. Er ist bei Zuma bis zum höchsten Level mit dem Titel „Sonnengott" gekommen und hat alle paar Monate eine neue Maus gebraucht, weil seine Finger mit absurder Kraft auf die Tasten gehauen haben. Er war einfach super.

Als ich kein Kind mehr war, haben wir uns auseinandergelebt. Opa konnte gefühlt nichts mehr mit mir anfangen. Ich glaube, das hatte mehrere Gründe. Alte Menschen werden trübe und kommen schlecht mit, wenn sich Dinge verändern. Und ich war nicht mehr zum Spielen aufgelegt, war kein Kind mehr, sondern eine pubertierende Jugendliche. Wenn ich Oma und Opa angerufen habe, ging er dran und sagte direkt „Warte, ich geb dir die Oma." Sie hat den Kontakt gehalten, er stand daneben und hat höchstens mal gefragt, ob ich im Studium voran komme. Ich habe ihm sein mangelndes Interesse übel genommen, bin ebenfalls auf Abstand gegangen. Irgendwie haben wir nicht mehr zueinander gepasst.

Auf dich, Opa.

Heute ist alles anders. Opa lebt jetzt im Heim. Er ist dement. Er kann seine Kinder manchmal nicht auseinanderhalten, er hat keine Ahnung von Corona oder was er heute zum Frühstück hatte.Die meisten Worte hat er vergessen, ein Satz kann eine Minute dauern. Jetzt habe ich keine Ansprüche mehr an ihn, dass er nach meinen Freund:innen fragt oder weiß, wo ich wohne und was ich so mache. Und er ist wieder zugewandter, mit den Mitteln, die ihm die Demenz noch lässt. Was immer geht: ihm einen Rotwein ins Heim schmuggeln und mit ihm anstoßen. „Auf dich, Opa."

Dann strahlt er vor Freude und man muss die Flasche schnell weit oben im Schrank verstecken, damit er sie nicht auf einmal leert. Da ist er wieder ganz der Lebemann von früher. Wenn man ihm noch einen Gefallen tun will, fragt man ihn, wie es war, als er Kind war und einen Hund hatte. An guten Tagen kann Opa darauf sogar antworten. An den Tagen, an denen er fast gar nicht spricht, kann man ihm immer noch den Rücken kratzen. Dann brummt er vor Freude und kann gar nicht genug davon kriegen. Ich genieße diese Momente. Jetzt ist mir egal, dass wir uns mal auseinandergelebt haben. So traurig es ist, dass Opa die meisten Erinnerungen und fast alles an Denkvermögen verloren hat, dass er im Heim lebt und sich nicht mehr selbst versorgen kann - ich bin froh um die Nähe, die uns die Krankheit gebracht hat. Solange Opa noch da ist, haben wir jetzt doch noch eine gute Zeit.

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