Grüter: Es gibt Studien, die zeigen, dass sich das Virus in geschlossenen Institutionen wie Heimen schneller ausbreitet. Das kann man ja eins zu eins auf die Haft übertragen.
Grüter: Das Justizministerium hat für die Gefängnisse einen weitgehenden Lockdown verhängt. Es sollen so wenig Personen wie möglich rein und raus. Das betrifft privaten Besuch, Therapeuten, ehrenamtliche Betreuer und so weiter. Sie alle haben keinen Zutritt mehr. Lockerungen wie die Erlaubnis, zu Ende der Haftzeit in der Anstalt zu schlafen aber tagsüber Freigang zu haben, sind gestrichen. Zurzeit darf nur raus, wer draußen eine feste Arbeitsstelle hat.
Grüter: Die Nerven liegen blank. Sie sitzen überwiegend in ihren Hafträumen. Jegliches Freizeitprogramm fällt aus. Therapie und Besuch auch. Die tägliche Freistunde an der frischen Luft kann man kaum langfristig einschränken, das wird sicherlich weiterhin stattfinden. Ich weiß auch, dass die meisten Leute noch Umschluss machen dürfen, also sich gemeinsam mit einem anderen Gefangenen in seine Zelle einschließen lassen. Insgesamt ist der Alltag noch trister, als er vorher schon war. Sie machen sich natürlich Sorgen um ihre Leute draußen und können nicht helfen. Viele haben kranke Angehörige oder kleine Kinder. Die Inhaftierten sind zunehmend verzweifelt, aber auch wütend.
Viele Gefangene sind Eltern. Wie ist ihre Situation gerade
Grüter: Kinder können im Moment ihre Angehörigen im Knast gar nicht besuchen, und das auf unabsehbare Zeit. Sie sind ja aber die, die überhaupt nichts für die Haft ihrer Eltern können. Artikel 6 des Grundgesetztes schützt den Kontakt zwischen Eltern und Kindern, aber der Lockdown unterbindet das komplett. Da werden Rechte von Kindern gerade massiv beschnitten, das ist schon dramatisch.
Grüter: Ich kann das schwer einschätzen, weil ich mich nicht mit Seuchenvermeidung nicht auskenne. Aber ich sehe viele Schwachstellen. Zum Beispiel gehen die Beamten rein und raus und haben draußen Sozialkontakte, tragen bei der Arbeit aber keine Masken. Die Gefangenen müssen nach wie vor in Gruppen duschen, teilweise 15 Männer auf einmal, und oft gibt es nicht genug Seife für alle. Außerdem werden sie auf den engen Fluren aneinander vorbeigeführt. Gleichzeitig haben sie aber krasse Einschränkungen des Privatlebens und ihrer familiären Kontakte. Ich halte für fragwürdig, ob das alles so geeignet ist, um die Ausbreitung des Virus einzuschränken.
Grüter: Jede Anstalt hat Anstaltsärzte, quasi Hausärzte. Die haben den Erstkontakt und sind genauso gut oder schlecht wie jeder Hausarzt auf die Pandemie vorbereitet. Dann gibt es das Justizkrankenhaus in Fröndenberg, keine Ahnung wie die sich vorbereiten. Generell weiß ich, weil mir das aus fast allen Gefängnissen berichtet wurde, dass Hygienemittel wie Seife und Desinfektionsmittel kaum vorhanden sind.
Grüter: Die Situation ist ja für alle neu und es gibt keine erprobten Lösungen. Normalerweise wenn Gefangene im Krankenhaus draußen behandelt werden müssen, liegen sie in einem Einzelzimmer und werden von Beamten bewacht. Wie das auf einer Intensivstation läuft und gerade auf einer Coronastation, kann ich überhaupt nicht sagen. Ich denke, die Justiz wird versuchen, die Leute aus Sicherheits- und Personalgründen in ihren eigenen Räumlichkeiten zu halten und nur im äußersten Notfall Leute in externe Krankenhäuser bringen.
Grüter: Überhaupt nicht. Die haben das vorher schon nicht geglaubt, weil die medizinische Versorgung in der Haft generell relativ defizitär ist. Sie glauben dementsprechend auch nicht, dass der Justizvollzug gut mit einer Pandemie umgehen kann.
NRW hat viele Gefangene wegen Corona vorübergehend freigelassen. Ist das eine gute Maßnahme?
Grüter: Jede Entlassung freut mich. Aber der Erlass ist, so wie sich das liest, vor allem für die Öffentlichkeit geschrieben. Er gilt nur für Strafen unter 18 Monaten, keine Sexualdelikte, man muss sich vorher relativ beanstandungsfrei im Vollzug geführt haben. Manche Anstalten haben auch Gefangene mit Vorerkrankungen vorerst freigelassen. Ich weiß aber zum Beispiel von einer Gefangenen mit HIV und einer anderen mit schwerer COPD [Anm. d. Red.: eine chronische Lungenerkrankung], die weiter festgehalten werden. Der Schutz von Risikogruppen hängt also auch davon ab, in welcher Anstalt sie inhaftiert sind.
Grüter: Ja, grundsätzlich schon. Ich habe auch schon von mehreren Seiten von heiklen Situationen erfahren. Auf dem Freistundenhof kam es zu einer Unruhesituation, manche nennen es fast eine Meuterei. Gefangene sollen sich da an die Abstandsregeln halten und dürfen sich nicht unterhalten, aber müssen mit 15 Mann duschen. Das macht sie sauer. Aus anderen Anstalten hört man auch, dass die Stimmung zunehmend angespannt ist.