Sophie Schädel

Freie Journalistin, Dortmund

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Artikel

Corona: Ein Virus für Arme

Corona trifft die Alten besonders hart. Und die mit Vorerkrankungen. Eine große Risikogruppe wird in dieser Aufzählung vergessen: die Armen. Warum trifft Covid-19 sie besonders hart? Eine Kolumne über die vielleicht größte Leerstelle im vermeintlichen Gemeinschaftsgefühl gegen das Virus.

Bäckereichef Bosselmann aus Hannover ruft auf Instagram unter Tränen dazu auf, weiterhin die lokalen Bäckereien zu unterstützen. „Wir brauchen einen bestimmten Mindestumsatz, sonst wird unser Unternehmen innerhalb von sechs bis acht Wochen sterben. [...] Wir haben alle um unsere Jobs eine Scheißangst." Doch gegenüber seinen Mitarbeitenden ist von Gemeinschaftsgefühl mit allen, die um ihre Jobs bangen, wenig zu spüren. Wer sich in der Freizeit „leichtsinnig" ansteckt, dem droht Bosselmann mit einer fristlosen Kündigung. „Krankmeldungen wegen Erkältung ohne Fieber werden nur mit vorgelegter Corona-Testierung akzeptiert. Andernfalls werden wir keine Lohnfortzahlung zahlen", so Bosselmann in einem Aushang an seine Angestellten.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten machen nun wegen der Corona-Krise Milliarden locker - für Unternehmen. Die, die für sie arbeiten, bekommen nach aktuellen Plänen keine so weitreichenden Rettungspakete. Ihnen zahlt der Staat nur Anteile ihres eigentlichen Gehalts, wenn sie in Kurzarbeit gehen müssen. Gewerkschaften befürchten, dass so Millionen Menschen in Hartz-IV abrutschen. Viele sagen, die staatliche Rettung der Unternehmen rette auch ihre Angestellten. Nein, sie rettet die Unternehmen, und die anderen sind dann ihrer Gnade ausgeliefert. Nicht weil Unternehmen böse wären, nein. Sondern weil in der Krise alle zuerst nach sich selbst schauen und schauen müssen. Da kommen Arbeitnehmer*innen mit ihren Rechten und ihrer Versorgung schnell mal unter die Räder. Aber hey, der Markt wird das schon regeln.

Gerade unter denjenigen, die ohnehin schon prekär beschäftigt sind, selbstständig arbeiten oder um ihre Teilzeitstelle bangen, machen sich jetzt schon Verdienstausfälle und Panik breit, dabei ist der Höhepunkt der Erkrankungen in Deutschland erst noch zu erwarten. Viele von ihnen können nicht im Homeoffice arbeiten. Sie müssen weiter zum Job und sich dem Risiko einer Infizierung aussetzen. In der Freizeit sollen sie Abstand halten und ihre Freund*innen nicht treffen, aber Arbeiten und der Weg dorthin mit dem oft vollen öffentlichen Nahverkehr wird ihnen weiterhin abverlangt. Aber hey, der Markt wird das schon regeln.

Kapitalverbrechen

Wer ohne Kontakt zu einer positiv getesteten Person und ohne Ausreise aus einem Risikogebiet Corona-Symptome hat, wird aktuell meist nicht getestet. Vielen wird aber angeboten, den Test einfach aus privater Kasse zu bezahlen. Ca. 200 Euro kostet die Gewissheit, die Arbeitgeber*innen wie Bosselmann einfordern, wenn sich jemand wegen Husten krankschreiben lassen will. Ja, die Tests sind knapp, allerdings doch nicht so knapp, dass nicht das Portemonnaie noch mitreden dürfte. Aber hey, der Markt wird das schon regeln.

Und nun wenden wir mal den Blick über den bundesdeutschen Tellerrand hinaus. Keine Angst: Vom Hinsehen werdet ihr nicht krank. Man könnte sich jetzt wieder mal über das Versagen der US-amerikanischen Präsidenten aufregen, wenn es um die Einführung einer Krankenversicherung für alle geht. Man könnte panisch auf die Verhältnisse in weiten Teilen des afrikanischen Kontinents blicken, wo Mangelernährung und eine auch ohne Virus frappierende gesundheitliche Versorgung für eine weitaus höhere Todesrate in der Coronapandemie führen werden. So kommen auf 50 Millionen Kenianer*innen 130 Intensivbetten.

Aber so weit müssen wir nicht blicken, um uns vor Augen zu führen, wie sehr die Krise die Geldfrage stellt, wenn es um die Gesundheit und Sicherheit der Menschen eines Landes geht. Der Sparzwang der EU brachte die italienische Regierung dazu, 15 Prozent der dortigen Krankenhäuser zu schließen und weitere Kürzungen im Gesundheitssektor vorzunehmen. Dort fehlt es jetzt an Personal, Betten und Material. Ärzt*innen müssen entscheiden, welche der sterbenden Patient*innen beatmet werden sollen. Das Militär muss Bergamo beim Abtransport von Toten in Särgen helfen, weil es zu viele sind. Und die Welt steht noch am Anfang der globalen Pandemie. Da ist nur zu hoffen, dass an keinem Ort jemals eine private Krankenversicherung oder Bestechung diese Entscheidung beeinflussen werden. Aber hey, der Markt wird das schon regeln.

Hurra, diese Welt geht unter

Gehen wir noch einen Schritt weiter, wagen wir einen Blick auf die türkisch-griechische Grenze. Im Lager Moria auf Lesbos zeichnet sich ab, wie chancenlos Arme die Pandemie über sich ergehen lassen müssen. Noch ist dort niemand positiv auf Corona getestet worden. Aber sobald es soweit ist, wird das Lager zum Virusmoloch werden. 25.000 Menschen auf engstem Raum, kaum medizinische Versorgung, kaum Trinkwasser, kaum Waschmöglichkeiten, kaum Toiletten. An Quarantäne, zwei Meter Abstand zueinander und häufiges Händewaschen mit Seife ist hier nicht zu denken. Die Geflüchteten können dort nur der Pandemie harren, die da kommen wird. Aber hey, der Markt wird das schon regeln.

Ja, das alles wird der Markt schon regeln - wenn man ihn lässt. Dann wird nach Angebot und Nachfrage entschieden. Und wer nur nachfragt, ohne der Meistbietende zu sein, wird sich auch für Lebensnotwendiges hinten anstellen müssen. Wie die Gesellschaft hier und global danach aussehen wird, zeichnet sich gerade erst ansatzweise ab - in einer dystopischen Zukunftsvision. Die Corona-Krise legt den Finger in die Wunden der Gesellschaft im Kapitalismus. Und von einer Lösung, die alle mitdenkt, sind wir noch meilenweit entfernt. Hoffen wir, dass sie schneller kommt, als Covid-19 dafür sorgt, dass an vielen Stellen jede Hilfe zu spät kommt.

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